"Dortmund und Doll - das passte nicht"

Von Interview: Christoph Köckeis
Thomas Doll hat bei der Suche nach einem neuen Engagement keine Eile
© getty
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SPOX: Unweigerlich wird der Name Doll beim BVB mit Ihrer Wutrede, die mittlerweile Kult-Faktor erlangte, assoziiert. Schütteln Sie darüber nach mehreren Jahren Erfahrung den Kopf?

Doll: Daran kann ich mich nicht erinnern (lacht). Viele sagen, es war richtig, auf den Tisch zu hauen. Ich würde es allerdings nicht erneut machen, ginge heute souveräner damit um. Ich wollte die Spieler schützen. Ob Robert Kovac oder Christian Wörns - sie bekamen immer ihr Alter vorgehalten. In einer Pressekonferenz fragte man mich dann, ob ich mitbekommen hätte, dass ein Nachfolger für mich gesucht wird. All das prasselte vor dem Pokalfinale ein, Bayern rückte in den Hintergrund. So wie es Jürgen Klopp mit dem Mario-Götze-Transfer erging. Irgendwann willst du das nicht mehr hören, sondern den Moment genießen.

SPOX: Sie erklärten in einem Interview, der Ausbruch hätte an Ihrem Image gekratzt, Sie wären damit nicht sorgsam genug umgegangen. Wie darf man das verstehen?

Doll: Vielleicht war ich zu jugendlich. Manche Spieler traf ich beim Abendessen oder in einer anderen Location. Ich lebte damals in Dortmund im Hotel, hätte vorsichtiger, aufmerksamer sein müssen.

SPOX: Frühere Mitspieler wurden zu Schützlingen: Fehlte die Distanz, um als Trainer respektiert zu werden?

Doll: Eigentlich nicht! Sergej Barbarez wollte mich im Hamburg nach Gesprächen im Trainerzimmer sogar siezen. Nur, bis heute bin ich überzeugt, die Anrede ist nicht entscheidend. Bedeutender ist, Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit auszustrahlen, zu zeigen, sie können sich auf mich verlassen und wissen, woran sie sind. Ein Trainer muss dazu stehen, was er sagt, vernünftig mit den Spielern umgehen und eine Vorbildfunktion haben. Damit holt man sich den Respekt. Mittlerweile zogen Jahre ins Land, ich bin 47. Da sind Jungs dabei, die waren, als ich Fußball spielte, noch gar nicht auf der Welt. Den Dolli gibt es nicht mehr, das "Sie" stellte eine normale Entwicklung dar - in Ankara und Saudi-Arabien.

SPOX: Zwei Traditionsklubs im Eiltempo durchlebt, ging es in die türkische Abgeschiedenheit zu Genclerbirligi. Ein bewusster Transfer, um der medialen Präsenz zu entkommen und sich selbst zu finden?

Doll: Ich wollte als Profi nie eine Auszeit, jetzt ebenso wenig. Natürlich sollte man nachdenken. Als Trainer ist man mental voll gefordert, muss danach Kraft schöpfen. Ich hatte damals Kontakt zum FC Basel, einem Verein, der ständig unter Druck steht und in der Schweiz immer die Meisterschaft holen muss. Letztlich kam die Anfrage aus der Türkei. Ich fühlte mich damit wohl, mein Trainerteam war bereit. Die Stadien sind dort nicht so modern, weniger Fans strömen ins Stadion. Back to the roots.

SPOX: Mit Ihrem Präsidenten pflegten Sie ein spezielles Ritual.

Doll: Wir trafen uns oftmals zum Gedankenaustausch in seiner Fabrik. Er versorgte das ganze Land mit Mehl, war ein ganz erfahrener Mann und wollte über die Mannschaft informiert sein. Dienstag oder Mittwoch fuhr ich stets zu ihm, er hieß mich in seinem Büro mit einer Tasse Tee willkommen. Es war ein ganz andere Mentalität.

SPOX: In Saudi-Arabien erlebten Sie den nächsten Kulturschock: In unseren Breitengraden ist Al Hilal eine Unbekannte. Der Klub bezeichnet sich als das Real Madrid Asiens. Ein gewagter Vergleich?

Doll: Vom Training und den Bedingungen war es wirklich top, die Kultur mir allerdings völlig fremd. Ich musste Rücksicht auf Gebetszeiten nehmen oder den Ramadan während der Vorbereitung. Die Einheiten fanden nach Sonnenuntergang statt. Beeindruckend: Selbst wenn wir auswärts spielten, hatten wir mehr Fans als der Gegner. Al Hilal ist über das ganze Land verteilt.

SPOX: Über ein strenggläubiges, erzkonservatives Land: Wie lebten Sie mit der veralteten Staatsform?

Doll: Das Leben zu genießen, ist schwer. Schon vor der Unterschrift sagte ich zu meinem Trainerteam, es wird Abende geben, an denen wir uns alleine fühlen. Wobei ich mich schnell akklimatisierte und an die Umstände gewöhnte. Etwa die Geschlechtertrennung. Überall gibt es Single-Sections. Mit Frau musstest du dich woanders anstellen und andere Restaurants besuchen. Oder die Kontrollen. Bevor wir in unser Compound fuhren, wurde das Auto und der Unterboden nach Bomben gecheckt. Eine sehr lehrreiche Zeit.

SPOX: Seither befinden Sie sich auf Jobsuche. Mal direkt gefragt: Gibt es Kontakte?

Doll: Netter Versuch (lacht). Im Sommer bestand Interesse aus der 2. Liga. Kurz zuvor kehrte ich aus Saudi-Arabien zurück. Ich wollte den Schritt nicht sofort wagen, obwohl es eine sehr reizvolle Aufgabe gewesen wäre. Mal abwarten, was in den nächsten Wochen passiert. Falko Götz heuerte nach langer Zeit bei Erzgebirge Aue an, Peter Neururer kehrte zum VfL Bochum zurück.

SPOX: Sie erwecken den Eindruck, geduldig abzuwiegen, um nicht erneut in Gefahr zu kommen, zu scheitern. Liege ich damit richtig?

Doll: Ich würde das nicht als Scheitern bezeichnen. Weder bei Al-Hilal noch in Ankara. Dort wurden Vereinbarungen nicht eingehalten. Mir wurden in der Türkei Neuzugänge versprochen, um den UEFA-Cup zu realisieren. Letztlich wurden Spieler, die ich nie gesehen habe, auf Video-Basis verpflichtet. Bei Al Hilal war das Umfeld problematisch, es gab Unstimmigkeiten mit dem Sportdirektor. Deshalb will ich das Gefühl haben, es passt, das traue ich mir zu. Dafür müssen die Anfragen stimmen. Ich würde lieber in Deutschland bleiben, als nach Vietnam oder Thailand zu gehen. Obwohl es dort schöne Herausforderungen gibt, die Sonne scheint und weniger Druck herrscht. Es wird etwas kommen.

Thomas Doll im Steckbrief