Der Schrei nach Liebe

Von Fatih Demireli
Vor allem Arjen Robben (l.) profitierte von der Verpflichtung von Matthias Sammer (r.)
© getty

Der FC Bayern ist Europas Krösus im Jahr 2013. Eine Entwicklung, die auch Matthias Sammer zu verdanken ist. Der Sportvorstand lehnt die Wichtigkeit seiner Rolle ab, dabei erkennt er selbst, dass seine Arbeit gefruchtet hat. Besonders Spieler wie Arjen Robben haben von Sammer profitiert.

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Es war einer der vielen Termine, die der FC Bayern München im vergangenen Sommer wahrnehmen musste. Die Bundesliga, und explizit der Rekordmeister, mussten im Zuge der Auslandsvermarktung der DFL in Fernost zur Schau gestellt werden. Daher bereiste der deutsche Vorzeigeklub für ein paar Tage den größten Markt China.

Geprägt war der Trip nach Shanghai vor allem vom Umstand, dass Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger die Reise nicht antraten. Da kolportiert wurde, Schweinsteiger habe persönlich darum gebeten, nicht mitzureisen, schimpfte Heynckes mit deutlichen Worten über die Berichterstattung. Das Thema hielt sich - warum auch immer - tagelang in den Schlagzeilen.

Nicht schon wieder Schludrigkeit

Matthias Sammer kümmerte die etwas künstlich aufgebauschte Thematik damals nicht sonderlich. Vielmehr war der gerade erst frisch eingestellte Sportvorstand damit beschäftigt, die schon im Vorfeld seiner Tätigkeit festgestellten "fehlenden Prozentpunkte" beim FC Bayern tiefgründig unter die Lupe zu nehmen und im Idealfall gleich einzugreifen. Die Umsetzung erfolgte früh genug.

Es war das Spiel gegen den VfL Wolfsburg. Der FC Bayern führte bereits 2:0, ehe man in der 90. Minute den Anschlusstreffer kassierte. Sammer war wütend und verheimlichte dies keineswegs, polterte demonstrativ auf der Bank. Aus gutem Grund. Bayern verspielte erst wenige Wochen zuvor den sicher geglaubten Champions-League-Titel in den Schlussminuten gegen den FC Chelsea. Nicht schon wieder eine Schludrigkeit, dachte sich Sammer - und reagierte.

Sein Credo: Die Inhalte in den Mittelpunkt stellen. Darunter fiel auch, mehr Konzentration für das Wesentliche aufzubringen. "Das habe ich als Schwachstelle gesehen", erklärt Sammer. "Es war nicht nur das Champions-League-Finale, sondern auch das eine oder andere Spiel, als man dem Gegner das Gefühl gab, dass er noch lebt."

CL-Finale mit ganz eigener Geschichte

Wolfsburgs Anschlusstreffer in diesem letztlich beinahe belanglosen Spiel war der Anstoß zu dem, was Sammer die "Entwicklung eines neuen Geistes" nennt. "Schön war nicht, dass ich mich darüber aufgeregt habe, sondern dass viele Spieler erkannt haben: das stimmt." Dass es richtig ist, was Sammer verlangt und er bis heute - auch nach dem größten Vereinserfolg seit zwölf Jahren - predigt.

"Der Wille, sich verbessern zu wollen, ist sehr ausgeprägt", sagt Sammer. Dem Sportvorstand wurde beim Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund warm ums Herz, als er seine Mannschaft werkeln sah. "Das Spiel hatte eine ganz eigene Geschichte, in dem man bezüglich der Reife des Klubs und der Spieler sehr viel interpretieren und erkennen konnte", sagt Sammer.

Hoeneß verspricht weitere Neuverpflichtungen

Die Münchener hatten in den ersten 20 Minuten große Probleme gegen eine starke Dortmunder Mannschaft, die sowohl spieltechnisch, als auch offenbar psychologisch den Bayern deutlich überlegen war.

Sammer verlangt nach Führungsspielern

"Wir waren etwas verkrampft, es war nicht auszulöschen, dass man vorher zwei Finals nicht gewinnen konnte", analysiert Sammer. Aber zum einen setzte schnell Konzentration statt Panik ein, die er gebetsmühlenartig einforderte. Und zum anderen kam eine weitere Facette zum Tragen, die sich der Spin Doctor des FC Bayern seit Beginn seiner Amtszeit zur Aufgabe gemacht hat: Die fortgeschrittene Entwicklung der Kategorie "Führungsspieler".

"Man hat sie auf dem Platz gesehen", freut sich Sammer. "Erst einmal Manuel Neuer, aber auch speziell Bastian Schweinsteiger. Wenn Philipp Lahm und Dante dann auch noch das Gefühl entwickeln, dass nur sie das Spiel entscheiden können, dann haben wir in diesem Klub ein Schritt nach vorne gemacht."

Schon zu Zeiten als DFB-Sportdirektor war ihm der Gedanke zuwider, alle Spieler seien gleich. "Eine komplett flache Hierarchie widerspricht jeglicher Realität, wir dürfen nicht alle Spieler über einen Kamm scheren", sagte Sammer damals. Auch deshalb arbeitete er für den Nachwuchsbereich feste Kategorisierungen aus: Führungsspieler, Teamspieler und Individualisten.

Beim DFB trug diese Entwicklung Früchte. Beim FC Bayern nun auch. "Es werden Entscheidungen auf dem Feld getroffen von Spielern, die das Gefühl haben müssen, sich verantwortlich fühlen zu wollen und die Verantwortung des Klubs bekommen. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse in diesem Jahr für Bayern, um so ein Spiel dann auch zu gewinnen."

Tägliche Gespräche mit Robben

Neuer, Schweinsteiger, Lahm und Dante. Das sind für Sammer Bayerns Führungsspieler. Und kein anderer. Von Javi Martinez erhofft er sich mittelfristig, dass der Spanier dazu stößt. Dagegen seien "Ribery und Robben keine Führungsspieler". Was sich wie Kritik anhört, ist mitnichten eine. Denn Sammer ist es auch zuwider, Freigeistern wie Bayerns Technikern Führungsaufgaben zu geben: "Man darf sie nicht überfrachten"

Auch diesen Prozess hat Sammer in Gang gebracht. Mit Robben sprach er, als dieser nach einer schwierigen Saison die Vorbereitung zur aktuellen Spielzeit aufnahm, fast täglich, um ihm seine Wichtigkeit zu demonstrieren.

Ihn und Ribery nahm Sammer im Sommer aber auch in die Pflicht: "Wir brauchen Individualisten wie Robben und Ribery. Aber diese Spieler müssen auch wissen, dass sie alleine nicht funktionieren."

Individualisten schreien nach Liebe

Beide Spieler haben verstanden. Und siehe da: "Sie bekommen viel mehr Anerkennung und Wertschätzung, wenn sie mitarbeiten. Für die Gruppe. Das ist doch kein Zufall. Jetzt haben sie eine wunderbare Anerkennung. Also: Nur für sich zu spielen, nur auf sich zu achten, das hat keine Wertschätzung gebracht. Jetzt ist es anders."

Javi Martinez: Der Wadlbeißer für die letzten Prozente

Beide sind in der Sammer'schen Kategorisierung Individualisten. "Und Individualisten schreien nach Liebe", wie es der Sportchef etwas pathetisch formuliert. Robben schätzt den Einfluss Sammers, auch dessen Penetranz und Nachhaltigkeit im Wirken mit der Mannschaft. Vor allem, weil diese "mit Respekt" geschehe.

Sammer hat die fehlenden Prozentpunkte beim FC Bayern addieren können, und mag dennoch seine Rolle nicht zu wichtig nehmen. "Ich sehe mich als Bestandteil dieses Klubs und versuche zu helfen. Markus Hörwick versucht das, die Teammanagerin, die wir haben, tut es." In der Sammer'schen Kategorisierung hieße das: Teamplayer.

Matthias Sammer im Steckbrief