"Ich weiß, worum es im Leben geht"

Von Interview: Jochen Tittmar
Pirmin Schwegler hat bei Eintracht Frankfurt noch einen Vertrag bis 2015
© Getty

Bei Pirmin Schwegler von Eintracht Frankfurt wurde früh in seinem Leben die Krankheit Leukämie diagnostiziert. Nun gehört der 25-Jährige zu den besten Sechsern der Bundesliga. Im Interview spricht der Schweizer über die harten Zeiten seiner Kindheit, den Absturz in der letzten Bundesliga-Rückrunde und das kongeniale Zusammenspiel mit Nebenmann Sebastian Rode.

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SPOX: Ihr 28-jähriger Bruder Christian spielt seit 2009 bei Red Bull Salzburg und ist dort bereits dreimal Meister geworden. 2005 war er ein Jahr vor Ihnen nach Deutschland aufgebrochen, kam bei Arminia Bielefeld aber nie zum Einsatz. Wäre er mittlerweile einer für die Bundesliga?

Pirmin Schwegler: Er ist ein moderner Außenverteidiger und trotz seines Alters noch ziemlich schnell (lacht). Er würde also schon die Qualität für die Bundesliga mitbringen, dieser Traum war bei ihm auch immer da. Mit Bielefeld hatte er damals einfach nicht den richtigen Verein erwischt, um sich in Deutschland fest zu setzen. In Salzburg dagegen läuft es für ihn wirklich rund, daher bezweifle ich, ob das mit der Bundesliga noch etwas wird.

SPOX: Sie selbst wechselten ein Jahr später nach Deutschland und unterschrieben bei Bayer Leverkusen. Dort pendelten Sie aber immer wieder zwischen Bank und Startelf.

Schwegler: Ich hatte auf meiner Position in Carsten Ramelow und Simon Rolfes große Konkurrenz. Es wurde klar kommuniziert, dass man mir Zeit gibt. Das ist im ersten Moment für einen jungen Spieler zwar nicht immer zu verstehen, aber ich habe dort dann nach und nach meine Chancen bekommen und war in den ersten beiden Jahren zufrieden mit meinen Einsätzen.

SPOX: Im dritten Vertragsjahr war das dann aber nicht mehr der Fall. Wie wichtig für Ihre Weiterentwicklung war daher der Wechsel nach Frankfurt?

Schwegler: Der Zeitpunkt für den nächsten Schritt war einfach reif - auch wenn die Eintracht unterhalb von Leverkusen anzusiedeln ist. Hier konnte ich mich auf Anhieb als Stammspieler etablieren. Der Wechsel nach Frankfurt war daher entscheidend für meine Karriere, so wie sie jetzt gerade läuft.

SPOX: In Frankfurt lief es eineinhalb Jahre sehr gut für Sie. 2011 folgte nach einer katastrophalen Rückrunde aber der Abstieg. Können Sie die Prozesse beschreiben, die in einer solchen Phase innerhalb einer Mannschaft in Gang gesetzt werden und eine derartige Eigendynamik entwickeln, dass sie nicht mehr aufzuhalten sind?

Schwegler: Das ist schwierig, weil es ein sehr komplexer Sachverhalt ist. Ich bin der Meinung, dass wir von der Hinrunde geblendet waren und möglicherweise für das Geleistete auch zu weit oben in der Tabelle standen. Wir kamen mit dem extremen Druck von außen überhaupt nicht mehr klar und konnten diese Eigendynamik als Mannschaft nicht mehr auffangen. Man nimmt das zwar schon bewusst wahr, kann es aber nicht mehr rückgängig machen.

SPOX: Inwiefern hat diese Misserfolgsserie damals Ihr eigenes Spiel verunsichert?

Schwegler: Jeder einzelne macht sich natürlich einen Haufen Gedanken und hadert mit sich und der Situation. Ich hatte einen solchen Absturz auch noch nie erlebt. So blöd es klingt, aber man lernt viel in einer solchen Phase über sich und das Innenleben einer Mannschaft - leider aber erst im Nachhinein. Ich kenne nun das Gefühl und bin jetzt weiter im Kopf.

SPOX: Wie schwer war es im ersten Moment, den Angeboten, die ja da waren, abzusagen und mit der Eintracht in die 2. Liga zu gehen?

Schwegler: Man denkt einen kurzen Moment sicher auch mal egoistisch und überlegt, ob man nicht den einfachen Weg geht und aus der Misere abhaut. Dafür bin ich als Typ aber nicht geschaffen. Es war schnell klar, dass ich bei der Korrektur des Abstiegs dabei sein will.

SPOX: Armin Veh ernannte Sie dann erstmals in Ihrer Karriere zum Kapitän. Wie fühlt sich das Amt für Sie an?

Schwegler: Mir fällt es relativ leicht, Kapitän zu sein. Ich bin ein geselliger Mensch, der einen Blick auf das große Ganze wirft und versucht, alle Jungs mit ins Boot zu nehmen. Gerade auch die Spieler, die hinten dran stehen, denn diese Situation kenne ich gut und weiß, wie schwierig es ist, da immer positiv an die Sache heranzugehen. Nun als Aufsteiger ist es sehr wichtig, dass die gesamte Mannschaft eine Einheit bildet. Das hat uns bislang auch stark gemacht.

SPOX: Bereits mit 17 feierten Sie beim FC Luzern Ihr Debüt als Profi. Jetzt sind Sie 25 Jahre alt. Fühlen Sie sich mittlerweile als älterer Spieler?

Schwegler: 25 ist im Fußball echt schon alt (lacht). Es stimmt aber, dass ich gefühlt lange dabei bin und viel miterlebt habe. Daher sehe ich mich nicht mehr als jungen Spieler, aber auch nicht bereits als alten. Erfahren passt gut, finde ich.

SPOX: Gehen wir einmal vom 25-jährigen Pirmin Schwegler zurück zum knapp 2-Jährigen. Damals sind Sie im Alter von 16 Monaten an Leukämie erkrankt. Wie ging das genau los?

Schwegler: Wir waren mit der Familie im Urlaub, als ich plötzlich nicht mehr ansprechbar war. Meine Eltern haben mich daraufhin natürlich sofort ins Krankenhaus gebracht, wo dann nach etlichen Untersuchungen die Krankheit diagnostiziert wurde. Die Heilungschancen lagen bei zehn Prozent. Ab dann begann eine harte Zeit, aber eher für meine Eltern als für mich. Ich habe das zu dieser Zeit ja gar nicht in vollem Umfang realisieren können.

SPOX: Wie haben Sie es wahrgenommen?

Schwegler: Es ist komisch: Auf der einen Seite eigentlich gar nicht, da ich so gut es ging auch ganz normal mit den anderen Kindern gespielt habe. Auf der anderen Seite war ich an 250 Tagen im Jahr im Krankenhaus - ohne mich wirklich krank gefühlt zu haben. Das gesamte Ausmaß wurde mir erst bei den Nachkontrollen klar, als ich mich bereits auf dem Wege der Besserung befand und älter war. Dann redet man natürlich auch mit den Eltern darüber, wie genau sie diese Zeit erlebt haben.

SPOX: Wie sah damals die Betreuung durch Ärzte aus?

Schwegler: In der akuten Phase stand ich eben diese 250 Tage im Jahr unter ärztlicher Beobachtung und habe insgesamt zwölf Chemotherapien hinter mich gebracht. Elf Jahre lang musste ich vier Mal im Jahr immer wieder von Luzern nach Bern ins Spital reisen und mich untersuchen lassen. Das war eine schlimme Zeit, aber heute kann zum Glück jeder in meiner Familie sagen, dass ihn das auch geprägt und die Augen für das gesamte Leben geöffnet hat.

SPOX: Wie sehr hat Sie die Krankheit im Alltag gehindert, dasselbe tun zu können wie gesunde Kinder?

Schwegler: In den ersten Monaten und Jahren schon sehr, da ich besonders nach den Chemotherapien extrem geschwächt war und nicht viel unternehmen konnte. Ab der Einschulung war ich dann mehr oder weniger ein ganz normales Kind und kaum beeinträchtigt.

SPOX: Die Ärztin Annette Ridolfi war während der Krankheit jahrelang an Ihrer und der Seite Ihrer Familie, sie unterstützt wie Sie die Stiftung Kinderkrebs der Berner Universitätskinderklinik. Welche Beziehung haben Sie zu Ihr über die Jahre entwickelt?

Schwegler: Sie war damals die leitende Ärztin und so etwas wie meine zweite Mutter. Sie hat vor allem auf meine Eltern eingewirkt und war für sie eine große Hilfe. Wir hatten uns nach ein paar Jahren aber leider aus den Augen verloren. Als ich dann auf der Suche nach einer Stiftung in meiner Heimat war, um etwas zurück zu geben, wollte es der Zufall so, dass sie die Leitung der Stiftung in Bern inne hatte. Ich habe meiner Mutter dann nichts gesagt, so dass das Wiedersehen mit ihr dann natürlich sehr emotional war. Der Kontakt besteht jetzt wieder regelmäßig.

SPOX: Seit 2003 sind Sie nun vollständig geheilt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit wieder auftaucht?

Schwegler: Die Ärzte sagen, dass man die Sache fünf bis zehn Jahre im Auge behalten muss. Nach mehr als zehn Jahren ist ein Rückfall nicht mehr möglich. Es kann natürlich wieder etwas kommen, aber nicht mehr dieselbe Krankheit.

SPOX: Kann man sagen, dass Sie durch Ihre Vorgeschichte das teils klinisch sterile Geschäft Profifußball mit anderen Augen sehen als manche Ihrer Berufskollegen?

Schwegler: Ich sehe es deshalb definitiv anders als viele. Ich bin durch diese Erfahrung viel gelassener geworden. Ich lasse nicht mehr alles an mich heran, auch wenn mir der Fußball extrem viel bedeutet. Das wichtigste ist die Gesundheit. Ich weiß, worum es im Leben geht.

SPOX: Bleiben wir beim Fußball: Heribert Bruchhagen hat Sie das "Herzstück der Eintracht" genannt, Sie haben zudem bis 2015 verlängert. Der Verein möchte künftig starke Spieler und Identifikationsfiguren wie Sebastian Jung und Sebastian Rode langfristig halten. Inwiefern müssen denn bei diesen beiden die Argumente pro Eintracht andere sein als bei Ihnen?

Schwegler: Das müssen nicht zwangsläufig andere sein. Ich sehe es als legitim an, dass sich jeder seine Gedanken macht. Es handelt sich ja um Entscheidungen fürs Leben. Man kann den einen auch nicht mit dem anderen vergleichen, da jeder verschiedene Punkte hat, die einem wichtig sind. Die beiden Jungs sind in der Region hier aber verwurzelt. Daher glaube ich schon, dass dies für einen Verbleib spricht. Das sind noch junge Kerle, sie können sich hier weiterentwickeln und die Zeit läuft ihnen auch nicht davon.

SPOX: Mit Rode spielen Sie zusammen auf der Doppelsechs, das Wechselspiel mit ihm klappt sensationell gut. Wieso?

Schwegler: Es läuft bei uns wirklich viel über die fußballerische Intuition. Wir ergänzen uns auch wohl deshalb so gut, weil wir im Grunde doch sehr verschiedene Spielertypen sind. Er ist dynamischer als ich, ich bin der ruhigere am Ball. Er ist zudem schon eher der offensiv ausgerichtete Spieler, während ich den Ball auch mal hinten abhole.

SPOX: Ob Rode und Jung bleiben, steht noch nicht fest. Würde es Sie einmal reizen, nochmal ein neues Land, eine andere Kultur und eine fremde Sprache kennen zu lernen?

Schwegler: Ich spiele ja aktuell schon im Ausland (lacht). Im Ernst: Es kann immer einen Zeitpunkt geben, an dem man sich entscheidet, dass man eine neue Herausforderung annimmt. Das kann man nie ganz ausschließen. Der Reiz ist grundsätzlich sicherlich da. Ich bin auch ein Typ, der damit klar kommen würde. Ich bin mit 18 Jahren von zu Hause 500 Kilometer weit weg gegangen. Am wichtigsten aber ist, dass man an dem Ort, an dem man sich befindet, glücklich ist - und das ist derzeit in Frankfurt der Fall.

Pirmin Schwegler im Steckbrief

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