Mehr als nur ein Matchplan

Von SPOX
Mainz-Trainer Thomas Tuchel (l.) feiert den vierten Saisonsieg seines Teams
© Getty

Der FSV Mainz 05 ist so etwas wie die Mannschaft der Stunde in der Bundesliga. Mainz' Auftakt war holprig, jetzt hat sich das Team aber gewissermaßen in die Saison gefühlt. Ein großes Verdienst von Trainer Thomas Tuchel, der seine Mannschaft aber noch nicht am Ende der Entwicklung sieht.

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Wenn es derzeit eine Mannschaft gibt, die die Ausgeglichenheit der Bundesliga am besten dokumentiert, dann ist das der FSV Mainz 05. Zwischen Platz vier mit Borussia Dortmund und Greuther Fürth als Schlusslicht liegen nur neun Punkte und damit genau so viele Zähler wie zwischen Dortmund und den trotz der ersten Saisonniederlage entrückten Bayern.

Die Liga hat sich einen Wohlstandsbauch angefuttert, prall gefüllt mit 13 Teams und ständig in Bewegung. Mit zwei, drei Siegen in Folge kann man ganz schnell weit nach oben schießen. Oder im Umkehrfall auch in den Keller rutschen.

Der FSV Mainz 05 hat die Gunst der Stunde nach einem Start mit nur einem Punkt aus drei Spielen jedenfalls genutzt. Derzeit ruft Mainz seine Tugenden perfekt ab und ist nebenbei auch auf dem Weg, sich in anderen Teilbereichen kontinuierlich zu verbessern.

Skepsis vor der Saison

Die Saison wurde mit einiger Skepsis eingeläutet und mit für Mainzer Verhältnisse ungewöhnlichen Zahlen garniert. Rund 2500 Dauerkarten weniger als im Vorjahr hat der Klub abgesetzt, die Zuschauermarke ist in den ersten vier Heimspielen unter die 30.000er Marke gerutscht. Insgesamt sind bisher rund 10.000 Fans weniger zu den Spielen in der Coface Arena gepilgert als noch letzte Saison.

Die Erklärung ist recht einfach, zumindest aus Klub-Sicht. Das Auftaktprogramm mit Spielen gegen Fürth, Augsburg, Düsseldorf und zuletzt Hoffenheim war nicht allzu attraktiv. Dazu kommt, dass der Spielplan dem FSV in der Vorrunde nur einen der ganz großen Gegner ins Stadion spült: Borussia Dortmund am 13. Spieltag. Die Bayern, Schalke, der HSV, Mönchengladbach, das Derby gegen Eintracht Frankfurt - alles erst in der Rückrunde.

Der Transfer-Sommer lief nur für den VfB Stuttgart ähnlich unspektakulär wie für Mainz. Mit Nikita Rukavytsa und Chinedu Ede kamen zwei Zweitligaspieler, dazu der ziemlich unbekannte Junior Diaz aus Brügge - und natürlich Ivan Klasnic kurz vor Schluss der Transferperiode. Am Stürmer, zuletzt vereinslos, wollten die Kritiker die Verfehlungen der Sommerpause festmachen.

Wichtige Spieler fallen aus

Der prominenteste Zugang spielte bisher lediglich 15 Minuten für Mainz. Seit Wochen ist er wegen diverser Verletzungen außer Gefecht, derzeit will eine Entzündung am Zeh nicht abklingen. Wobei Klasnic nur die Spitze des Eisbergs ist.

Eugen Polanski (Muskelfaserriss) hat es noch weniger schlimm erwischt als Niko Bungert (Kreuzbandverletzung) und Sturmhoffnung Maxim Choupo-Moting (Meniskusriss). Gerade Choupo-Motings Ausfall ließ die Alarmglocken läuten. Bis dahin hatte Mainz in fünf Spielen nur vier Tore erzielt, der beste Angreifer sich schwer verletzt.

Und dann schießt die Mannschaft ohne Choupo-Moting in den folgenden vier Partien acht Tore und holt dabei zehn Punkte. Der schwache Start ist längst vergessen. Zum einen, weil jetzt die Punkte eingefahren werden. Und zum anderen, weil sich die Mannschaft in ihrer Rolle in der Liga gefunden hat.

Gespür für das eigene Ich entwickelt

Es stelle sich jetzt das Gefühl ein, dass er sich zu Beginn der Saison schon gewünscht hätte, sagte Thomas Tuchel vor ein paar Tagen. So, als hätte sich seine Mannschaft erst in die Saison tasten, ein Gespür dafür entwickeln müssen.

Der Trainer stand und steht selbst unter besonderer Beobachtung. Längst ist Tuchel nicht mehr der junge Emporkömmling, sondern ein etablierter Trainer in der Liga. Nach seinem Aufstieg in seiner ersten Saison hatte er sich stabilisiert, später wirkte es so, als hätte er in Mainz einen kleinen Durchhänger.

Wenn woanders mal wieder ein Trainer gehen musste, fiel und fällt immer wieder auch der Name Thomas Tuchel bei der Suche nach einem neuen Übungsleiter. Wie jetzt in Wolfsburg. Tuchel steht für die Umsetzung des Maximalprinzips wie außer ihm vielleicht nur noch Freiburgs Christian Streich: Mit den gegebenen (bescheidenen) Mitteln ist der größtmögliche Nutzen zu erzielen.

"Aufgeschlossene, lernwillige Gruppe"

Die Stellschrauben sind dabei fast immer die gleichen. Der Kader gibt schlicht nicht die Qualität her, um in der oberen Tabellenhälfte mitzumischen. Eigentlich. Rechnet man die Ausfälle wichtiger Spieler dazu, erscheint das Unterfangen noch aussichtsloser. Und trotzdem gelingt es Mainz wieder einmal, sich seinen Platz zumindest im Mittelfeld der Liga zu suchen.

"Meine Mannschaft ist eine aufgeschlossene, lernwillige Gruppe, die mit viel Spaß und Fleiß bei der Arbeit ist. Wir haben eine vernünftige Sicherheit gefunden, getragen von dem einen oder anderen Erfolgserlebnis", sagt Tuchel.

Sein Team habe zu Beginn der Saison noch ein wenig nach sich selbst gesucht und nach den Dingen, die es stark machen und qualitative Defizite wettmachen können. Die hat die Truppe mittlerweile wieder für sich entdeckt und setzt diese vielleicht sogar besser um als je zuvor.

In den erfassbaren Daten unterscheidet sich Mainz kaum groß von anderen Bundesligisten. Was die Mannschaft aber derzeit auszeichnet, ist ein ungeheures Maß an Widerstandsfähigkeit in engen Phasen einer Partie und die Emotion, mit der Mainz seine Spiele wieder bestreitet.

Noch Luft nach oben

"Mir gefällt, dass wir uns in den schwächeren Phasen, die normal und legitim sind, nicht aus der Bahn werfen lassen", sagt Tuchel. Diese Erkenntnis fußt auf dem Ur-Vertrauen der Mannschaft in ihren Trainer - und umgekehrt kann sich der momentan auf seine Spieler verlassen. Eine schönere Erkenntnis kann es für einen Trainer nicht geben.

"Das Ganze lebt. Die Stimmung trägt alles", sagt Tuchel. "Es gibt natürlich viele Bereiche in unserem Spiel, die wir auch mit unseren Möglichkeiten deutlich verbessern können. Daran arbeiten wir täglich. Da ist noch viel Luft nach oben."

Das ist der FSV Mainz 05

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