Elefanten im Tagesgeschäft

Von Stefan Moser
Klubchef Martin Kind (l.) und Sportdirektor Jörg Schmadtke arbeiten an der Zukunft von Hannover 96
© Getty

Hannover 96 hat die Chance, einen reellen Sprung aus der Bedeutungslosigkeit zu machen. Mit Klubchef Martin Kind, Sportdirektor Jörg Schmadtke und Trainer Mirko Slomka arbeiten drei unterschiedliche Temperamente an der Strategie für die Zukunft. Mit Erfolg, aber nicht ohne Reibungen.

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In Zukunft wolle er wieder mehr reden, sagte Martin Kind Anfang der Woche. Eine Ankündigung, die in Hannover nicht unmittelbar für Standing Ovations sorgte: Nur wenige Tage zuvor hatte sich der 96-Chef bei einer launigen Plauderei zu leutseligen Kommentaren hinreißen lassen - und damit eine leise tickende Tasche voller Schlagzeilen an den Boulevard geliefert.

Statt seines Torriechers habe Didier Ya Konan seit seiner Vertragsverlängerung vor allem "Übergewicht und schöne Autos", feixte der 67-Jährige bei einer Talkrunde im niedersächsischen Barsinghausen, während die Mannschaft in Portugal im Trainingslager schwitzte. Außerdem sei die Zusammenarbeit von Trainer Mirko Slomka und Jörg Schmadtke nicht optimal; und überhaupt habe der Sportdirektor die Transferperiode im Winter verschlafen, sich vor allem zu spät um Wolfsburgs Stürmer Srdjan Lakic bemüht.

"Das war nur für die Galerie, ein großes Missverständnis. Ich wollte an diesem netten Abend niemanden im Verein ernsthaft kritisieren. Aus einer Mücke wurde ein Elefant gemacht", entschuldigte sich Kind zwar später. Doch da waren die Headlines schon gedruckt - und an der Algarve gelesen worden.

Schmadtke knurrt zurück

Jörg Schmadtke knurrte auch prompt zurück. Er attestierte "Herrn Kind Unkenntnis des Tagesgeschäfts" und rundete damit den ohnehin schlechten Pressespiegel ab, der in der Winterpause vor allem von gescheiterten Transfers und Verletzungsmeldungen bestimmt war.

Mittlerweile ist die Seifenoper aber abgedreht. Auf dem kurzen Dienstweg wurde der Konflikt schnell entschärft und zu einer Bagatelle gekürzt. Mehr war Martin Kinds jovialer Auftritt wohl auch nicht. Und trotzdem dokumentiert die Episode die Spannung zwischen zwei Polen, die sich gerade während der Transferperiode quer durch das Hannoveraner Führungstrio zieht. Es geht um das sensible Gleichgewicht von neuen Chancen und alten Risiken. Ein innerer Konflikt, den sich der Klub redlich erarbeitet hat.

Nach der abermals starken Hinrunde sieht es nämlich tatsächlich so aus, als wäre der Mannschaft ein reeller Entwicklungssprung gelungen: "Ich meine, dass wir uns auf einem hohen Niveau stabilisiert haben. Nicht zuletzt mit den sehr guten Ergebnissen in der Europa League", sagt auch Schmadtke im Gespräch mit SPOX.

Hannover als Marke etabliert

Fast noch überraschender hat sich Hannover unter Slomka plötzlich auch als Marke etabliert. "Attraktiv" und "imponierend" fand Schmadtke die Art und Weise, wie die Mannschaft etwa in den Spielen gegen Sevilla, Kopenhagen, Dortmund oder Bayern aufgetreten ist: "Aggressiv gegen den Ball arbeiten und ihn erobern, schnelles Umkehrspiel mit direktem Abschluss - das passt zu Hannover, dafür steht 96. Und wenn attraktiver Fußball auch noch erfolgreich ist, begeistert er natürlich die Fans."

Das Team soll den Aufwärtstrend nutzen und sich unter den ersten Neun der Liga etablieren. Die Chancen scheinen günstig, die Aura Belanglosigkeit endlich loszuwerden. Uneinigkeit herrscht allerdings in der Frage nach der richtigen Strategie.

Nachdem Slomka im Trainingslager seinen arg ausgedünnten Kader inspiziert hatte, drängte er wieder einmal auf kurzfristige Maßnahmen. Mindestens ein neuer Spieler mit Bundesliga-Erfahrung sei dringend nötig: "Wenn wir unsere Ziele im Auge behalten wollen, müssen wir uns im Spiel nach vorn verbessern. Ich sehe uns in der Pflicht, noch mal auf den Spielermarkt zu gucken. Wir brauchen auch im Training diesen massiven Konkurrenzdruck der Stürmer untereinander. Und den gibt es im Moment gar nicht. Für mich ist das zu wenig."

Wolfsburgs Lakic und Bayerns Petersen sagen ab

Nachdem aber unter anderem die angedachten Leihgeschäfte mit Lakic, Stuttgarts Julian Schieber und Bayerns Nils Petersen gescheitert waren, ließ Schmadtke schließlich wissen: "In der Bundesliga geht nichts. Und einige Spieler wollte der Trainer nicht."

Grundsätzlich sei er nicht bereit, "unvernünftige Sachen mit zu vielen Fragezeichen" zu machen. Auch dann nicht, wenn er mit einer Rumpfelf zum Rückrundenauftakt nach Hoffenheim fahren muss: "Karim Haggui und Ya Konan werden demnächst vom Afrika Cup zurückkehren, auch die Verletzten werden sich erholen. Momentan mag es etwas angespannt sein, aber Sie können sicher sein, dass wir auch am Samstag in Hoffenheim mit einer Mannschaft antreten werden, die in der Lage ist, das Spiel zu gewinnen."

Nach einem kurzen Zucken lenkte dann schließlich auch Slomka ein. Er wolle sich mit dem Thema Transfers nun nicht mehr beschäftigen.

Die natürliche Rollenverteilung

Auch wenn dieses öffentliche Hin und Her die Kritik von Martin Kind an der Kommunikation zwischen Trainer und Sportdirektor zu bestätigen scheint, versichert Schmadtke: "Wir hatten keinen Disput, aber unterschiedliche Positionen."Und tatsächlich entsprechen diese unterschiedlichen Positionen auch nur der natürlichen Rollenverteilung, wie sie in fast jedem Bundesligaverein zum Tragen kommt.

Immerhin wäre gerade Hannover vor nicht allzu langer Zeit schon beinahe folgenschwer gestolpert, als der Verein den zweiten Schritt vor dem ersten machen wollte. Insofern scheint Schmadtkes pragmatische Art, allen Reibungen zum Trotz, ein gutes Regulativ für die umtriebigen Temperamente von Slomka und Kind zu sein.

Und auch die zweite Saisonhälfte geht der 47-Jährige ohne künstliche Aufregung an: "Wenn Sie in diesen Tagen bei allen Klubs nachfragen, werden Ihnen die meisten Trainer und Manager sicherlich sagen, dass die Rückrunde ein Stück weit richtungweisend ist. Aber letztlich geht es immer und für jeden doch darum, das nächste Spiel zu gewinnen. So einfach ist Fußball."

Der Kader von Hannover 96

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