Hertha BSC: Strategie der kleinen Schritte

SID
Grund zum Jubeln: Die Hertha-Spieler feiern mit ihren Fans das 3:0 gegen den 1. FC Köln
© Getty

Hertha BSC ist eine der positiven Überraschungen der noch jungen Bundesliga-Saison. Trainer Markus Babbel verfolgt beim Aufsteiger einen nüchtern-sachlichen Weg und die Strategie der kleinen Schritte. Für Größenwahn bleibt da kein Platz.

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Wahrscheinlich war es ganz gut, dass Udo Knierim standhaft geblieben ist. Es ist gut einen Monat her, da mahnte Hertha-Trainer Markus Babbel den angeblichen Berliner Größenwahn an und bezog dafür kräftig Prügel in der Hauptstadt.

Später ordnete er seine Worte als gezieltes Ablenkungsmanöver ein, um Druck von seiner Mannschaft zu nehmen. Als Pierre-Michel Lasogga am Samstag nach seinem ersten Tor aber eine offenbar vorher geschlossene Vereinbarung einlösen wollte, hielt ihn Knierim entschieden davon ab.

Lassoga zerrte am blauen Mikrofon, Herthas Stadionsprecher aber wollte das Gerät nicht freigeben. Leicht irritiert ließ Lasogga schließlich davon ab und überließ Knierim seinen Job.

Bodenständig bleiben

Unter Umständen hätte die Ansage seines eigenen Treffers Lasogga die Gelbe Karte beschert. Ganz sicher aber wäre der U-21-Nationalspieler aber in ein Licht gerückt, das sein Trainer für ihn nicht gutheißen mag.

"Wir haben zwei Stadionsprecher, das reicht", schnaufte deshalb auch Manager Michael Preetz kurz durch. "Wir brauchen Pierre in anderer Rolle."

Der Aufsteiger will bodenständig bleiben, eine möglichst reibungslose Saison spielen und natürlich mit dem Abstieg nichts zu tun haben. Mit zwölf Punkten aus acht Spielen ist die Hertha bis jetzt voll im Soll, was aber fast noch wichtiger ist als die Punktausbeute bisher: Die Berliner haben sich sofort wieder in der Bundesliga zurechtgefunden. Ganz so, als wären sie nie weg gewesen.

Und: Mit Ausnahme des schwachen Auftakts gegen Nürnberg waren die Berliner in keinem Spiel wirklich schlechter als ihre teilweise prominenten Kontrahenten - eher im Gegenteil.

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"...verdammt schwer, uns zu schlagen"

"Wenn wir abrufen, was wir können, ist es für jede Mannschaft verdammt schwer, uns zu schlagen", gönnt sich Babbel selbst einen kleinen Anflug von Euphorie. "Es ist doch schön, wenn die Euphorie so groß ist und die Fans eine Mannschaft sehen, die sich total mit dem Verein identifiziert, die alles Erdenkliche tut für die drei Punkte."

Aber Babbel wäre nicht Babbel, würde er danach nicht sofort wieder herausstellen, worauf es für seine Mannschaft in dieser Saison in erster Linie ankommen wird. "Wir müssen für jeden Punkt extrem hart arbeiten. Solange die Mannschaft das weiß, mache ich mir keine Sorgen. Aber sollten drei Spieler mal nicht hundert Prozent abrufen können, können wir schnell drei, vier Tore fressen."

Diese Bedrohung scheint derzeit aber meilenweit weg. Die Hertha spielt abgeklärt und reif und sie zeigt jene Mentalität, die Babbel als Spieler bei den Spitzenklubs Bayern München und FC Liverpool gelernt und verinnerlicht hat: Der Mannschaft gelingt es, den Fokus auf das Wesentliche zu lenken.

Teamgeist steht ganz oben

Schon bei seiner ersten Trainerstation in Stuttgart fiel Babbel nicht durch besondere taktische Innovationen auf, sondern führte die Mannschaft damals mit anderen Tugenden aus dem hinteren Mittelfeld der Tabelle in der Rückrunde noch auf einen Champions-League-Platz.

Babbel lebte dem Team vor, wie es auch mit begrenzten Mitteln zum Erfolg kommen kann. Damals in Stuttgart wie jetzt in Berlin definierte sich die Mannschaft über das Kollektiv, der Teamgeist stand und steht an vorderster Stelle.

Derzeit versteht es Babbel perfekt, seinen Spielern die richtige Einstellung mit auf den Weg zu geben. Die Mannschaft setzt es dann mit einer guten Organisation und einer gesunden Härte (schon 22 Gelbe und zwei Gelb-Rote Karten) um.

"Wir werden uns auch weiter nichts gefallen lassen, müssen den Gegner jagen und ihnen auf die Nerven gehen", sagte Babbel schon vor dem Köln-Spiel.

Ergänzungsspieler fügen sich ein

Selbst bei der unglücklichen Niederlage in Bremen am vorletzten Spieltag erwehrte sich der Aufsteiger trotz zweier Platzverweise fast bis zum Schlusspfiff einer der spielstärksten Mannschaften der Liga und war Werder mindestens ebenbürtig.

Erst 19 Spieler musste Babbel bisher einsetzen, hinter Stuttgart (17) sind das die zweitwenigsten. Das spricht zum einen für wenige Verletzte bisher, zum anderen aber auch dafür, dass das erfolgreiche Konstrukt der letzten Zweitliga-Saison auch eine Klasse höher funktioniert und mit den Zugängen lediglich ergänzt wurde.

Und wenn dann doch wichtige Spieler ausfallen, wie am Wochenende die beiden gesperrten Adrian Ramos und Christian Lell, springen die Ergänzungsspieler ein. Lell-Ersatz Christoph Janker leitete zwei Treffer ein, Änis Ben-Hatira, der für Tunay Torun ran durfte, assistierte zweimal unmittelbar und Lassoga vollendete zweimal perfekt.

Nicht mehr "nur" Konterfußball

Babbel hat die Partie am Samstag gezeigt, dass auch die Nummern 12 bis 18 jederzeit imstande sind, der Mannschaft sofort auf Bundesliganiveau weiterzuhelfen - Mitaufsteiger Augsburg etwa kann von solche einem Reservoir an Spielern nur träumen.

Was die meisten der knapp 60.000 Fans aber besonders glücklich machte: Endlich spielt ihre Mannschaft im Olympiastadion auch wieder wie eine Heimmannschaft.

In der Abstiegssaison gab es einen einzigen Heimsieg, die Spiele bisher gegen Nürnberg (0:1), das glückliche 1:0 gegen den VfB oder die magere Vorstellung gegen Augsburg (2:2) ließen schon wieder erste Gerüchte aufkommen, die Hertha leide an einem Heimkomplex.

Denn die überzeugenden Auftritt legte die Mannschaft bisher allesamt in der Fremde hin. In Hamburg und Hannover wäre deutlich mehr drin gewesen als jeweils ein Punkt, in Bremen mindestens ein Zähler. Und in Dortmund gelang ja schon ein erstes dickes Ausrufezeichen mit dem 2:1-Sieg.

Die richtige Balance

Es ist Herthas kontrollierte Defensive, gepaart mit schnörkellosem Konterfußball, die die Berliner zu einem sehr unangenehmen Gast machen.

Dass die Mannschaft jetzt einen Gegner auch zu Hause über 90 Minuten beherrschen und dabei das Spiel selbst gestalten kann, ist der nächste kleine Fortschritt.

Zu hoch will Babbel das bisher Erreichte noch nicht hängen, er hält sich lieber an den kleinen Details auf. "Genau die richtige Balance aus Kontrolle und Angriff" habe die Mannschaft zuletzt gefunden. Die Länderspielpause kommt jetzt gerade recht.

Babbel hat im Gegensatz zu fast allen seiner Kollegen das Gros der Mannschaft weiter zusammen. Selbst Ramos und Lassoga bleiben wegen kleinerer Verletzungen in Berlin. Babbel kann also in Ruhe die nächste Partie vorbereiten: Die Hertha reist in zwei Wochen zu den Bayern.

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