BVB: Der Kampf mit den Prozenten

Von Jochen Tittmar
Nicht wirklich zufrieden: BVB-Sportdirektor Michael Zorc (l.) und Trainer Jürgen Klopp
© Imago

Seit 27 Jahren ist kein Titelverteidiger so schlecht in eine Bundesliga-Saison gestartet wie Borussia Dortmund. Dabei ist bei weitem nicht alles schlecht - dem Team von Trainer Jürgen Klopp mangelt es jedoch an Konsequenz und Konzentration.

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Ein besonders guter Starter war Borussia Dortmund noch nie. Die Westfalen brauchten in den letzten Jahren - abgesehen von der Meisterspielzeit - eigentlich immer ein paar Spiele, um sich in eine Saison zu beißen. Es ist nun gut zwei Jahre her, da stand der BVB nach einer Derby-Niederlage gegen Schalke mit nur sechs Punkten aus sieben Spielen auf Tabellenplatz 15.

BVB: Schwächster Titelverteidiger seit 27 Jahren

Der Unterschied zu heute: Dortmunds Schwäche ist nun die eines Meisters, auf den alle schauen und zur Not auch einhauen. Und der sich nun Statistiken gegenüber sieht, die besagen, dass seit 27 Jahren kein Titelverteidiger mehr so schwach in die folgende Saison startete wie die Borussia.

Die Worte Fehlstart oder gar Krise werden am Rheinlanddamm dennoch bewusst umschifft. Es ist im Grunde auch nebensächlich, unter welchem Namen das bisherige Abschneiden in der Liga firmiert.

Denn auch wenn der BVB den Fußball vom Vorjahr nicht ins neue Spieljahr hinüber gerettet hat, agiert das Team beileibe nicht vollkommen unterirdisch.

Klopp: "Wir müssen an kleinen Schrauben drehen"

Dortmund hat bei allen drei Saisonniederlagen - so viele wie nach 26 Spieltagen im letzten Jahr - genügend Chancen kreieren können, um den Platz nicht gezwungenermaßen als Verlierer zu verlassen. Von den höheren Ballbesitzzeiten ganz zu schweigen.

"Es ist nicht so, dass wir an großen Schrauben drehen müssen. Die schlechte Nachricht ist, dass es leichter ist, große Veränderungen vorzunehmen. Wir müssen dagegen an kleinen Schrauben drehen", gesteht Trainer Jürgen Klopp.

Dabei kann es sich nur um drei Schrauben handeln: Chancenverwertung, Verhalten bei Standardsituationen und Konzentrationsfähigkeit.

Dortmund lässt zu viele Chancen liegen

Die 34 Torgelegenheiten, die sich die Dortmunder bislang herausspielen konnten, sind in der Liga sechstbester Wert. In Relation zu den sieben Treffern ergibt dies jedoch eine Quote, die den BVB derzeit als Chancentod Nummer eins brandmarken.

Eine Tatsache, die Sportdirektor Michael Zorc auch nach Siegen schon oft ein Dorn im Auge war. Für die vielen aussichtsreichen Möglichkeiten schießt der BVB fast schon grundsätzlich zu wenige Tore. Im Vorjahr wurde dies durch den Liga-Bestwert von 277 Torchancen aufgefangen. Die aktuell mangelnde Kaltschnäuzigkeit an der Abwesenheit von Torjäger Lucas Barrios festzumachen, greift allerdings zu kurz.

Die Borussia beherrschte ihre Gegner bisher in beinahe jedem Spiel, verliert sich aber im letzten Spielfelddrittel zu sehr im Klein-Klein und vergisst letztlich, viel öfter schnörkellos den Abschluss zu suchen - auch wenn das weniger ästhetisch aussieht als zwei weitere Querpässe.

Klopp: "Ich habe deutliche Worte gefunden"

Defensiv lässt sich das Team zu sehr überrumpeln und kassiert vermeidbare Gegentreffer. Die Schwäche bei Standardsituationen ist eng mit fehlender Konzentration verbunden.

"Die Anfälligkeit bei Standards geht gar nicht. Wir haben große Menschen im Strafraum, die den Ball nur wegköpfen müssen. Reine Konzentrationssache", sagt Klopp zu den bereits vier Toren, die man nach ruhenden Bällen schlucken musste (im Vorjahr: drei nach 17 Spielen).

Der Coach schnappte sich daher zu Wochenbeginn sein Team und ging die aktuelle Problematik durch. "Es fühlt sich richtig scheiße an. Aber das ist vielleicht auch gut so, um daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Ich habe deutliche Worte gefunden. Damit bei meinen Spielern nicht der Eindruck entsteht, dass es zufällig passiert ist", erklärt Klopp.

Am Willen liegt es nicht

Es stellt sich womöglich auch grundsätzlich die Frage, inwiefern der intensive Dortmunder Powerfußball des Vorjahres mental über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten werden kann.

"Natürlich ist unser Spiel anstrengend. Man merkt es aber vor allem dann, wenn es mal nicht so läuft. Wenn man Erfolg hat, spürt man Belastungen nicht so stark", ließ Mats Hummels schon nach dem Remis in Leverkusen tief blicken.

Der Wille der Mannschaft ist jedenfalls intakt, Dortmund steckt läuferisch weiterhin jeden Gegner in die Tasche. Einigen Spielern fehlt es jedoch merklich an der geistigen Frische, die in entscheidenden Phasen eines Spiels wiederum zu Konzentrationsmängeln führt. Vier von sechs Gegentoren kassierte die Borussia in der Schlussviertelstunde - jedes einzelne davon hätte problemlos verhindert werden können.

Personelle Kontinuität fehlt

"Ich hatte den Eindruck, dass wir uns nicht mehr richtig gewehrt haben. Offenbar haben alle nur gehofft, dass nichts mehr passiert. Das ist bitter. Wir müssen alle wieder begreifen, dass wir 95 Minuten 100 Prozent geben müssen", bemängelte Marcel Schmelzer nach der Niederlage in Hannover. Klopp schlägt in die gleiche Kerbe, wenn er fehlende Konsequenz und Gier anmahnt.

Eigenschaften, die beim BVB im Vorjahr wie in Stein gemeißelt von Spiel zu Spiel getragen wurden.

Doch es ist nicht viel, was die derzeit auch nicht gerade vom puren Glück verfolgten Westfalen akut falsch machen, "es geht um das eine Prozent, das fehlt" (Klopp). Viele Verletzungen und einige Sperren nötigten Klopp zudem dazu, sein Team mehrfach umbauen zu müssen. Kontinuität auf Personalebene ist derzeit nur ein frommer Wunsch.

Hoffnung auf Götze als latentes Risiko

Auf Mario Götze wird Klopp am Samstag wieder zurückgreifen können. Nicht wenige verbinden damit die Hoffnung, dass durch das bloße Mitwirken des Ausnahmekönners die fehlenden Prozentwerte wieder aufgefüllt werden können.

Dieses Denken birgt aber auch latente Risiken. Langfristig muss der Verein darauf achten, nicht zu sehr vom jungen Götze abhängig zu werden. Der 19-Jährige wird schon in Mainz dem BVB-Spiel gut tun, er wird kreativ sein und für viele kleine Probleme die richtigen Lösungen parat haben. Das ist bei dessen herausragender individueller Klasse auch nichts Verwerfliches.

Allerdings verlor der BVB während Götzes Sperre beide Spiele - mit ihm agierte die Mannschaft gegen den FC Arsenal deutlich zielstrebiger und phantasievoller im Spiel nach vorne. "Aber", so sagt Schmelzer zu Recht, "es gibt keinen Grund, ein Spiel ohne ihn nicht zu gewinnen. Wir haben genug richtig gute Bundesligaspieler im Kader."

Klopp fordert neue Gier

Die sind nun gefordert, die richtigen Schlüsse aus der derzeitigen Lage zu ziehen. Sie müssen lernen, mit dem Erfolg des Vorjahres umzugehen und sich auf Gegner einstellen, bei denen der Revanchecharakter im Vordergrund steht.

Klopp hofft nach der Ansprache ans Team, dass dieses gestärkt aus der momentanen Situation hervor geht. "Daraus muss man eine Gier für das nächste, übernächste Spiel oder idealerweise für die ganze Saison ziehen."

Vor zwei Jahren reagierte Borussia Dortmund mit zwölf ungeschlagenen Spielen auf die Derby-Niederlage im Signal Iduna Park.

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