"Die Spieler hängen an meinen Lippen"

Von Interview: Jochen Tittmar
Dolmetscher Hartmut Meuleneers (l.) lernt mit BVB-Stürmer Lucas Barrios deutsche Vokabeln
© Imago

Als Lucas Barrios im Sommer 2009 zu Borussia Dortmund wechselte, erwartete man sportlich viel vom neuen Stürmer. Zu beruflichen Höchstleistungen ist man aber nur dann in der Lage, wenn auch das Private stimmt. Dafür ist beim BVB Hartmut Meuleneers zuständig. Der Dolmetscher spricht im Interview über seinen komplexen Job und gewährt Einblicke in die tägliche Arbeit.

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SPOX: Herr Meuleneers, bitte beschreiben Sie zu Beginn doch gleich einmal Ihr Aufgabengebiet.

Hartmut Meuleneers: Ich bin Dolmetscher, Betreuer und Integrationsbeauftragter der südamerikanischen Fußballprofis bei Borussia Dortmund. Das sind Lucas Barrios und Felipe Santana. Dede spricht ja quasi schon perfektes Deutsch und kennt sich hier bestens aus. Ich nehme zudem am Training teil und sitze bei den Spielen auf der Bank. Trainingslager und Pressetermine gehören natürlich auch dazu. Ich bin sozusagen Vermittler zwischen Verein und Spieler sowie zwischen den Spielern.

SPOX: Was machen Sie für die Spieler außerhalb des Fußballs?

Meuleneers: Alles, was im Alltag anfällt: Finanzen, Kfz, Wohnung, Flüge. Lucas hat eine eigene Homepage und wir schauen, dass wir auch in Sachen Marketing weiterkommen. Zudem absolviere ich mit ihm auch mindestens zweimal in der Woche Deutschunterricht.

SPOX: Ist das ein Angebot von Ihnen oder können Deutschkurse auch extern gebucht werden?

Meuleneers: Alle Dienstleistungen können auch extern gebucht werden, wenn die Spieler oder der Verein es möchten. Ab Mitte April über meine Homepage. Mein Vertrag beim BVB läuft bis zum 30.06.2011.

SPOX: Wie lange dauert der Deutschunterricht bei Barrios?

Meuleneers: Eine oder eineinhalb Stunden. Ich versuche auch immer mal wieder im Alltag deutsche Begriffe oder Standardsätze einzustreuen. Gerade, wenn wir zusammen zum Training oder wieder nach Hause fahren. Wir nutzen auch die Zeit in den Hotels oder in der Mittagspause für ein paar Vokabeln. Wiederholung ist das A und O. Lucas versteht mittlerweile schon recht viel, ist engagiert und hat auch keine Hemmungen, Deutsch zu sprechen.

SPOX: Was ist grundsätzlich Ihre wichtigste Aufgabe, die Sie zu erledigen haben, wenn ein ausländischer Spieler nach Deutschland kommt?

Meuleneers: Die Relocation und Integration des Spielers - mit allem was dazu gehört. Ich war in fast jedem Land Lateinamerikas für längere Zeit und habe Lateinamerikanistik studiert. Daher glaube ich, dass ich recht gute Sensoren dafür habe, wie sich ein Latino fühlt oder was ihm fehlt, wenn er nach Deutschland kommt. Nachdem Rahmenbedingungen geschaffen wurden, erkläre ich ihm im Alltag alles, auch alles Fußballspezifische. Es geht zudem auch um Verhaltensweisen der Deutschen: Wie "funktioniert" ein Deutscher, worauf legt er Wert, welche Essgewohnheiten besitzt er, was bedeutet Freundschaft in Deutschland, was hat es mit dem deutschen Humor auf sich? Das ist im ersten halben Jahr sehr wichtig und Voraussetzung für sehr gute sportliche Leistungen. Es stehen also nicht nur die klassisch-oberflächlichen Dinge wie Pünktlichkeit und Disziplin im Vordergrund.

SPOX: Wie schwer ist es, in beiden Sprachen unterschiedlich belegte Worte richtig zu vermitteln?

Meuleneers: Auch ein sehr wichtiges Thema. Man muss es eben erklären, Spielern und Trainern. Worte sind in verschiedenen Sprachen natürlich auch oft verschiedenartig behaftet. Ein Beispiel: Sagt ein Deutscher "Du Ignorant" zu einem Latino, dann ist das für den viel schwerwiegender als für uns hier. Das bedeutet also, dass man nicht nur eins zu eins übersetzen, sondern schon ein wenig erklären muss, wie die Worte belegt sind.

SPOX: Wie viele Sprachen sprechen Sie denn selbst?

Meuleneers: Ich bin Diplom-Regionalwissenschaftler Lateinamerika und habe Volkswirtschaft, Spanisch, Portugiesisch, Politikwissenschaften und lateinamerikanische Geschichte in Köln studiert. Zudem spreche ich noch Englisch.

SPOX: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, beim BVB zu arbeiten?

Meuleneers: Arturo Vidal kennt ja den Lucas Barrios von Colo Colo. Wir sind dann einmal zusammen essen gegangen. Irgendwann rief mich Lucas an und meinte, dass die Borussia noch jemanden bräuchte, der ihm hilft und Sachen für ihn übersetzt. In der Folge habe ich mich bei Michael Zorc vorgestellt. So kam das dann zustande.

SPOX: Aber Arturo Vidal müssen Sie ja auch irgendwoher gekannt haben.

Meuleneers: Ich wohne in Leverkusen. Arturo habe ich durch eine Bekannte meiner Frau kennengelernt, die im Ticketing bei Bayer Leverkusen arbeitet. Im VIP-Raum haben wir uns dann das erste Mal auf Spanisch unterhalten.

SPOX: Wenn also die Bekannte Ihrer Frau nicht bei Bayer arbeiten würde, hätten Sie Ihren aktuellen Job vielleicht gar nicht?

Meuleneers: Gut möglich. Wie das Leben eben so spielt (lacht).

SPOX: Machen Sie neben diesem Job noch etwas anderes?

Meuleneers: Nein.

SPOX: Wie sieht denn Ihr Alltag beim BVB aus?

Meuleneers: Wenn zweimal am Tag trainiert wird, beginnt das erste Training um 10 Uhr. Treffen ist aber bereits um 9 Uhr. Zuvor hole ich den Lucas von zuhause ab. Zu Beginn hält der Trainer seine erste Ansprache. Danach geht es zur Videoanalyse oder direkt zum Training. Dabei bin ich an der Seite des Trainers. In der Mittagspause gibt es unterschiedliche Dinge, die wir tun. Manchmal machen wir alltägliche Erledigungen oder absolvieren Pressetermine. Bei der zweiten Trainingseinheit wiederholt sich das Ganze vom ersten Mal.

SPOX: Trainieren Sie auch manchmal mit, so wie es Dolmetscher Jumpei Yamamori bei Shinji Kagawa macht?

Meuleneers: Nein. Ich laufe zu dem Spieler aber natürlich schon hin, wenn der Trainer etwas Detailliertes sagt. Ansonsten nehme ich eine Beobachterrolle ein.

SPOX: Wie sieht Ihre Arbeit bei Teambesprechungen genau aus?

Meuleneers: In einem Raum sitzen alle Spieler, vorne steht der Trainer und spricht. Wir sitzen meistens in der letzten Reihe, Felipe links und Lucas rechts von mir. Die hängen dann an meinen Lippen. Da Jürgen Klopp relativ schnell spricht, muss ich ordentlich Gas geben.

SPOX: Welche Beziehung zu Barrios hat sich für Sie durch die intensive Arbeit mit ihm entwickelt?

Meuleneers: Eine extrem enge. Wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis und unternehmen auch privat eine Menge. Das ist nicht selbstverständlich. Ich kenne mittlerweile auch seine Familie sehr gut. Wenn die hier ist, kümmere ich mich zum Teil auch um sie.

SPOX: Das heißt also, dass Barrios alleine in Deutschland lebt?

Meuleneers: Momentan schon, ja.

SPOX: Wenn Sie so viel Zeit mit ihm verbringen, müssen Sie selbst sicherlich auch Fußballfan sein?

Meuleneers: Ja, klar.

SPOX: Dann dürften Sie Ihren Traumjob gefunden haben.

Meuleneers: Absolut. Am liebsten würde ich selbst mitspielen (lacht).

SPOX: Haben Sie einen Lieblingsverein?

Meuleneers: Mittlerweile bin ich natürlich absoluter BVB-Fan, da ich dort so tief drinstecke und jeden einzelnen kenne. Ich fiebere richtig mit. Das Wochenende ist für mich immer das Highlight.

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