Die Rückkehr des Pragmatismus

Von Stefan Rommel
Bald wieder beim FC Bayern München vereint: Die Freunde Uli Hoeneß (l.) und Jupp Heynckes
© Getty

Der FC Bayern München geht mit der Verpflichtung von Jupp Heynckes als neuem Trainer ab der kommenden Saison den Weg des geringsten Widerstands und präsentiert eine vermeintlich sichere Lösung. Es bleiben dennoch Fragen.

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Jupp Heynckes ist bald schon wieder zurück. Der FC Bayern München hat sich zum dritten Mal für den mittlerweile 65-Jährigen entschieden, er soll nach drei turbulenten Jahren wieder etwas ruhigere Zeiten einläuten.

Heynckes' baldiges Engagement wirft aber auch Fragen auf.

Was bedeutet die Verpflichtung für die künftige Spielausrichtung?

Einer der zentralen Punkte. Unter Louis van Gaal benötigte die Mannschaft einige Monate, um das ungemein offensiv ausgerichtete Spiel in seinen Einzelheiten und Feinheiten zu erlernen. Letzte Saison mit großem Erfolg, in dieser Saison zeigt das Gesamtkonstrukt in der Defensive erhebliche Mängel.

Trotzdem ist die grundsätzliche Denkweise der Mannschaft offensiv. Zwar gefällt dies schon längst nicht mehr allen Spielern, nicht zuletzt Kapitän Philipp Lahm äußerte sich in den letzten Wochen bezüglich der Trainingsinhalte im Defensivbereich sehr kritisch - van Gaal wird seine Spielidee aber bis zum Schluss durchziehen und damit auch seine Spieler weiter in sein System pressen.

Jupp Heynckes dagegen steht nicht für Hopp-oder-topp- oder Tempofußball, für Spektakel, oder Offensive ohne Rücksicht auf Verluste. Heynckes hat den sehr spielfreudigen Leverkusener die Flausen aus dem Kopf getrieben, lässt nüchternen und pragmatischen Fußball spielen und funktioniert dementsprechend seine Spieler auch um.

Die einzige Sturmspitze muss bei ihm enorm viel Laufarbeit verrichten, nicht zuletzt deshalb klappte es mit einem reinen Knipser wie Patrick Helmes auch überhaupt nicht.

Die Doppel-Sechs hält in erster Linie ihre defensive Position, die Position im linken offensiven Mittelfeld bekleidet seit einem halben Jahr in Gonzalo Castro ein gelernter Rechtsverteidiger - weil Heynckes selbst hier die Stabilität in der Defensive im Auge hat und erst in zweiter Linie das kreative Moment in der Offensive.

Nach zwei Jahren extremen Offensivfußballs wird sich der FCB umstellen müssen, vielleicht aber auch wollen. Von Heynckes' fünf Spielen als Interimslösung vor knapp zwei Jahren - so erfolgreich sie auch waren - sollte man sich aber nicht blenden lassen.

Die Gegebenheiten waren völlig andere, nach dem Desaster mit Jürgen Klinsmann konnte förmlich nur etwas Besseres folgen und Heynckes konnte damals eine darbende Mannschaft mit seiner Erfahrung und in Einzelgesprächen auf Kurs bringen, ohne grundsätzliche Dinge ändern zu müssen.

Bald gilt es aber, eine Spielidee zu vermitteln, die länger als fünf Spiele halten muss, die sich an einem fest einstudierten Plan orientieren, diesen aber auch grundlegend modifizieren muss.

Was bedeutet es für die Personaldiskussionen?

Die Bayern sind auf der Suche nach mindestens zwei, eher drei Verteidigern. Nach nur einer Verpflichtung in den letzten beiden Transferperioden wird es im Sommer definitiv einige Zukäufe für den Kader geben, auch völlig unabhängig von der Personalie Heynckes hätten die Verantwortlichen reagiert.

Mit reinen Offensivspielern wie Franck Ribery, Arjen Robben oder mit Abstrichen Thomas Müller wird sich der Heynckes-Fußball aus Leverkusen nicht bewerkstelligen lassen. Und da mit ziemlicher Sicherheit keiner von den dreien den Verein verlassen wird, muss Heynckes im Defensivbereich personell dagegen steuern.

Die schnelle Verpflichtung verschafft den Bayern jetzt Ruhe und auch einen enorm großen Handlungsspielraum. Über fünf Monate bleiben jetzt theoretisch Zeit, um den neuen Kader zu basteln. Einige Verträge laufen aus (Miroslav Klose, Hamit Altintop, Andreas Ottl, Thomas Kraft, Jörg Butt) und der neue Trainer kann jetzt schon mitentscheiden, wer gehen soll oder bleiben darf.

Dass Heynckes einen seiner derzeitigen Spieler aus Leverkusen mit zu den Bayern bringt, ist gut möglich. Bei entsprechend positiver Beurteilung durch den neuen Trainer ist von Seiten des Vereins kaum ein Veto zu erwarten.

Für einige der derzeitigen Reservisten ist der Heynckes-Transfer durchaus eine positive Nachricht. Toni Kroos absolvierte in Leverkusen seine bisher beste Bundesliga-Saison. "Er war ein Trainer, der mir absolutes Vertrauen geschenkt hat. Ich konnte unter ihm endgültig zeigen, was ich kann", sagt Kroos.

Was bedeutet Heynckes für die Stars?

Heynckes wird nachgesagt, kein Freund exponierter Einzelkönner zu sein. Legendär sind seine Auseinandersetzungen mit Tony Yeboah während seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt Mitte der 90er Jahre.

Bei Real Madrid konnte ihn auch der Gewinn der Champions League 1998 nicht retten. Platz vier in der Liga und das Ausscheiden in der Copa del Rey gegen einen Zweitligisten hatten sein Image bei seinen Spielern und den Verantwortlichen früh zerstört.

Später auf Schalke scheiterte er an den Großkopferten, Manager Rudi Assauer beschied ihm nach der Entlassung noch: "Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule, aber wir haben 2004." Derzeit ist das Verhältnis zwischen ihm und Michael Ballack in Leverkusen ziemlich erkaltet.

Seine größten Erfolge ohne Titel - Heynckes holte neben dem CL-Triumph mit Real noch zwei Meisterschaften mit den Bayern - hatte er bei kleineren Klubs wie Athletic Bilbao oder CD Teneriffa, wo er aus sehr wenig und einem Kader ohne Überflieger sehr viel zu machen vermochte.

"Mit einem Franck Ribery war es anfangs nicht so einfach. Da gab es schon kleinere Diskussionen und ich musste ihm erklären, wie ich mir alles vorstelle. Nach einem längeren Gespräch war der Franck dann aber super", sagte Heynckes rückblickend über sein letztes Intermezzo in München.

In der Mannschaft der Münchener tummelt sich durchaus der eine oder andere schwierige Charakter. Vor allem die Flügelzange Ribery und Robben, die sportlich in ihrer Zeit in München über fast alles erhaben waren und sind, dürfen sich bald auf eine andere Gangart und ein verändertes Anforderungsprofil einstellen.

Wie passt Heynckes' Persönlichkeit zu den Bayern?

Mit fast 66 Jahren hat Heynckes in den letzten Jahren durchaus eine Wandlung vollzogen. Er wirkt milder als früher, nicht mehr ganz so stur und deutlich offener. Aber dabei immer noch in jeder Phase souverän.

"Ich war privat nie introvertiert. Nach außen aber schon. Da war ich insgesamt sehr distanziert. Ich habe dann eine zweijährige Krankheitsphase mit mehreren Operationen durchgemacht. Da habe ich das alles reflektiert und mir wurde klar, dass viele Dinge im Leben gar nicht so wichtig sind. Das hat mir gut getan."

Sicherlich waren auch die Vorfälle in Mönchengladbach, als er kurz vor seinem Rauswurf von den "Fans" mit Morddrohungen bedacht wurde, entscheidend für seine Veränderung. Er geht die Dinge gelassener an, es muss nicht immer alles einen Grund haben oder einen bestimmten Zweck erfüllen.

"Früher habe ich immer referiert: Ihr müsst das und das und das und das machen. Das mache ich jetzt überhaupt nicht mehr. Ich weise die Spieler nur daraufhin, dass sie gewisse Dinge selbst regeln müssen. Und ich kann das Wichtige vom Unwichtigen trennen."

Sein neuer Leitsatz geht wie folgt: "Ich war schon immer Perfektionist, auch wenn ich heute wohl etwas nachgiebiger bin. Damit fährt man besser."

Für seinen zukünftigen Arbeitgeber ist diese reflektierende Art nach dem Sturkopf van Gaal ein wichtiges Kriterium. Heynckes hat gezeigt, dass er sich anpassen kann. Und dass er bereit ist, auch Kompromisse einzugehen.

Was ändert sich an der Ausrichtung des Vereins?

Es gab im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Bayern vertrauen erneut einem Trainer eine komplette Philosophie an und passen sich als Klub dessen Vorstellungen an. Oder sie haben selbst wieder eine genaue Vorstellung von dem, wofür sie stehen und wie sie agieren wollen und bestellen das Trainerteam nach diesen Plänen.

Die Münchener haben sich für Variante zwei entschieden. Die Bosse wollen die Dinge wieder mitbestimmen können, sie haben genug von mittel- und langfristigen Konzeptionen.

Sie brauchen den Sieg in jedem Spiel und ordnen jetzt alles wieder der aus ihrer Sicht einzig nachvollziehbaren Maxime unter: Titel zu gewinnen.

Es ist eine bewährte Lösung, die jetzt schon förmlich nach dem 22. Meistertitel in der kommenden Saison riecht. Beide Seiten kennen sich sehr gut, kennen die jeweiligen Erwartungshaltungen. Das Risiko ist relativ gering.

Nach den teilweise konfusen letzten Jahren mit der vorübergehenden Euphorie des van-Gaal-Fußballs der letzten Saison soll die Zeit der Experimente zunächst vorbei sein. Mit Heynckes' Erfahrung soll kein Umbruchjahr eingeleitet werden, aber eine Phase der Konsolidierung.

Der FC Bayern München in Zahlen

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