Werder Bremen: Die Ruhe vor dem Sturz?

Von Friedrich Baum
Werder Bremen und Aaron Hunt laufen ihren eigenen Ansprüchen derzeit hinterher
© Getty

Abstiegskampf, fehlende Einstellung und nur wenig Hoffnung auf Besserung: Trotz der schwersten sportlichen Krise seit Jahren bleibt bei Werder Bremen alles gewohnt ruhig - zu ruhig? Nur Trainer Thomas Schaaf hat sich für das Heimspiel gegen den FC Bayern (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER) einen riskanten Plan zurechtgelegt.
 
 

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Es waren gewohnt unmissverständliche, beschwichtigende Worte, die Willi Lemke am Donnerstag via "Kicker" von sich gab. "Die Verantwortlichen genießen unser Vertrauen, das Werder-Schiff aus den schweren Gewässern zu manövrieren", sagte der Vorsitzende des Werder-Aufsichtsrats.

Gemeint waren Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs, die seit nunmehr über elf Jahren die Geschicke des Klubs lenken - und nun erstmals in ihrer Amtszeit ernsthaft von der Öffentlichkeit in Frage gestellt werden. Der Klub steht nach 19 Spieltagen auf Rang vierzehn der Tabelle, drei magere Punkte vor den Abstiegskandidaten Köln und St. Pauli. Ein Desaster für Verein und Fans.

Doch Bremen wäre nicht Bremen, wenn das "Werder-Schiff" nicht auch in diesen "schweren Gewässern" einen besonnenen Fahrstil beibehalten und seinen Führungskräften demonstrativ Rückendeckung geben würde. Die Politik der ruhigen Hand zieht sich wie ein Roter Faden durch die Werder-Historie, die vielzitierten Mechanismen des Profifußballs scheinen in der Hansestadt beinahe außer Kraft gesetzt, oder zumindest stark verlangsamt.

Werders Absage an den Aktionismus

Ein desolates 0:3 in Köln oder ein sogar noch desolateres 0:6 in Stuttgart hätte so manchen Trainerkollegen wohl den Kopf gekostet, nicht aber Werders Gallionsfigur Schaaf. "Wir entlassen keinen Trainer, um dadurch vielleicht für ein, zwei Wochen einen psychologischen Effekt zu haben", stellte Allofs klar, der sich noch immer "keinen besseren Trainer" für Werder vorstellen kann. Eine klare Absage an den branchenüblichen Aktionismus.

Auch die öffentliche Kritik an seiner eigenen Arbeit und die bislang ausgebliebenen Vertragsgespräche mit dem Werder-Vorstand nimmt Allofs ("Ich kann warten") mit gewohnter Sachlichkeit zur Kenntnis. "Wir werden nicht populistisch und verpflichten einen Spieler, nur um irgendwas zu machen", sagte er der "Bild"-Zeitung im Bezug auf mögliche Neuzugänge im Winter.

Doch diese stoische Ruhe, die Werder und sein Führungspersonal in der letzten Dekade auszeichnete und beinahe zum Klub-Image gehört, birgt auch Gefahren. Wiegt sich Bremen mit dem selbstverordneten Kuschelkurs in einen gefährlichen Schlaf, der in einem Albtraum zu enden droht? Verhindert die Beharrlichkeit einen womöglich nötigen Neuanfang?

"Wir haben das einfach nicht umgesetzt"

"Der Trainer hatte uns vor dem Spiel genau darauf hingewiesen, dass es nur über Kampf geht - wir haben das aber einfach nicht umgesetzt", meinte Aaron Hunt im Bezug auf das Köln-Spiel. Eine beunruhigende Aussage mit viel Symbolkraft.

Zwar arbeitet Schaaf mit gleicher Konstanz, Hingabe und Akribie wie eh und je, doch die Früchte dessen bekommt das Team in aktueller Zusammenstellung nur selten auf den Platz. Ein Produkt weitreichender Beratungsresistenz der Spieler - oder doch mangelnder Überzeugungskraft des Trainers?

Werders konstante Inkonstanz

Die Bremer Mannschaft hat es nicht geschafft, den nackten Überlebenskampf im Tabellenkeller zu verinnerlichen. Profis wie Aaron Hunt, Marko Arnautovic lassen zu oft den nötigen Biss vermissen, scheinen nach wie vor zu glauben, dass es eben auch anders geht. Das Selbstverständnis der spielstarken Bremer und der Kampf um den Klassenerhalt wirken bisweilen schwer vereinbar.

Nur wenige Ausnahmen wie Tim Wiese ("Was wir spielen ist fürn Arsch") oder Kapitän Torsten Frings ("Einige kapieren es immer noch nicht, worauf es ankommt") scheinen zumindest oberflächlich im Modus "Abstiegskampf" zu laufen.

Doch gerade Frings, der zuletzt konstant inkonstant agierte, mal einen wichtigen Siegtreffer erzielte, mal spielentscheidende Fehler beging, ist Symbolfigur für die Werder-Misere: Starke Trainingswochen, schwache Spielform - auf rein gar nichts scheint mehr Verlass zu sein.

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Mit Beton gegen die Bayern?

Und so kommt es - ausgerechnet vor der Partie gegen den FC Bayern (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER) - entgegen der gemeinen Bremer Kontinuität zu einem plötzlichen Paradigmenwechsel in der Hansestadt. Unter der Woche stellte Coach Schaaf das Training radikal um, setzte den Schwerpunkt auf eine kompakte Defensivarbeit und Standards. Der 49-Jährige appellierte verstärkt an die niedersten Instikte seiner Truppe.

Immer und immer wieder ließ der Coach Ecken und Freistöße schlagen, die Profis rannten, schrien und grätschten kompromisslos eine Furche nach der anderen in den Bremer Rasen. Scheinbar soll gegen Robben, Gomez und Co. hinten Beton angerührt und vorne das Heil mit Standardsituationen gesucht werden.

Allofs: "Wir sind nicht reif, guten Fußball zu spielen"

"Gegen die Bayern bekommt man nicht so viele Chancen, da sind Standards umso wichtiger", sagte Co-Trainer Wolfgang Rolff zur neuen Marschroute. Rolff pflichtet damit dem längst desillusionierten Allofs bei, dessen vernichtendes Urteil in der "Syker Kreiszeitung" lautete: "Wir sind nicht reif, guten Fußball zu spielen." Doch dass diese neue Marschroute gegen den FC Bayern den sehnlich erwarteten Erfolg bringt, scheint zumindest fraglich.

Werders Defensivabteilung präsentiert sich in dieser Spielzeit wenig sattelfest, kassierte 39 Gegentreffer. Profis wie Sebastian Prödl und Mikael Silvestre bleiben zu oft den Nachweis ihrer Qualität schuldig, Per Mertesacker und Clemens Fritz stecken dagegen zu lange im Formtief.

Dazu kommt: Als einziges Team der Liga gelang Bremen noch kein einziger Treffer nach einem Eckball. Gegen die Bayern auf die Blitz-Heilung dieser Schwäche zu hoffen, wirkt zumindest optimistisch.

"Es sieht nicht schlecht aus, die Defensive arbeitet gut. Ich bin guten Mutes", urteilte Rolff nach den spartanischen Einheiten. Doch dass diese destruktive Grundausrichtung dem Naturell des spielstarken Werder-Kaders widerspricht, ist kein großes Geheimnis. Eben gegen den FC Bayern hat sich diese ungewohnte Spielweise im Pokalfinale 2010 als komplettes Eigentor erwiesen: Werders Mauer-Matchplan scheiterte kläglich, der Rekordmeister siegte mit 4:0.

Werder Bremen - FC Bayern : Voraussichtliche Aufstellung