"Ich kann nur den Kopf schütteln"

Von Für SPOX in Belek: Haruka Gruber
Allofs wurde 1999 Bremens Sportdirektor und ist seit 2009 Vorsitzender der Geschäftsführung
© Getty

Die Story der Bremer Saison ist auch eine Story einer verfehlten Transferpolitik - oder doch nicht? Werders Geschäftsführer Klaus Allofs über seine Definition von Erfolg, unvermeidliche Flops und seine Zukunft in Bremen.

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SPOX: Vor einigen Jahren sagten Sie: "Der Zustand der totalen Zufriedenheit bringt uns nicht weiter." Heißt es im Umkehrschluss, dass Sie der enttäuschenden Hinrunde etwas Positives abgewinnen können?

Allofs: Positiv ist das falsche Wort, aber wir machen nicht den gleichen Fehler wie weite Teile der Öffentlichkeit und sehen alles negativ. Als wir 2004 das Double holten, liefen einige Dinge nicht richtig, doch sie wurden vom Erfolg überlagert. Ein ähnlicher Mechanismus kommt nun zum Tragen, nur umgekehrt: Wir spielen unter den Erwartungen und unsere Spieler werden von den Medien kritisiert - was jedoch nicht den Umkehrschluss zulässt, dass sie tatsächlich schlecht sind. Uns ist das bewusst und wir wissen anders als einige Beobachter die Situation gut einzuschätzen.

SPOX: Die Hauptschuld für den 14. Bundesliga-Platz sowie das Ausscheiden in der Champions League und im DFB-Pokal wird auch an der Transferpolitik festgemacht. Sie reagieren auf die Kritik jedoch erstaunlich gelassen. Warum?

Allofs: Schlagzeilen sind nur subjektive Beurteilungen, die für unsere interne Wahrnehmung irrelevant sind. Es macht doch keinen Sinn, nach einem halben Jahr einen Neuzugang zu beurteilen. Wenn ich schon lese, dass Marko Arnautovic ein Flop sein soll, kann ich nur den Kopf schütteln. Unsere Philosophie in der Spielerauswahl hat sich in den letzten Jahren als richtig erwiesen, der einzige Unterschied derzeit ist, dass wir nicht so erfolgreich sind wie früher. Dennoch ist es übereilt, grundsätzlich etwas in Frage zu stellen. In der Branche ist Geduld zwar nicht gefragt, aber wir müssen uns von der Schnelllebigkeit lösen und einen anderen Weg gehen, indem wir ruhig bleiben und an unsere eigene Stärke glauben.

SPOX: Wie definieren Sie eine erfolgreiche Transferpolitik?

Allofs: Das hängt vom Verein zu Verein ab. Der FC Chelsea definiert Transferpolitik nur über sportlichen Erfolg. Wir hingegen haben neben dem sportlichen Erfolg zwei weitere Kriterien, um unsere Kaderzusammenstellung zu beurteilen: Die wirtschaftliche Rentabilität - wir wollen nur das ausgeben, was wir auch einnehmen -, und eine attraktive Spielweise. Die Mannschaft soll immer so verstärkt werden, dass sie einen Fußball zeigt, der die Menschen ins Stadion lockt.

SPOX: Von einer attraktiven Spielweise konnte in der Hinrunde nur bedingt die Rede sein, wohingegen Dortmund und Mainz die Massen begeisterten.

Allofs: Erst müssen wir aber beobachten, ob die Mannschaften dieses Tempo eine Saison durchhalten. Ich meine nicht nur Mainz, dabei schließe ich Dortmund explizit mit ein. Natürlich spielt der BVB hervorragend und ich wäre gerne in deren Lage, doch die wahre Kunst ist es, nicht ein, zwei Jahre erfolgreich zu sein, sondern über einen längeren Zeitraum.

SPOX: Bremen beendete sechs der letzten sieben Jahre in den Top drei und zementierte so den Anspruch als Nummer zwei Deutschlands hinter dem FC Bayern. Keine Angst, dass Dortmund ihnen den Rang abläuft?

Allofs: Vor jeder Saison verkünden zehn Mannschaften, dass Sie sich für den internationalen Wettbewerb qualifizieren wollen, und unsere Konkurrenten haben mindestens genauso große wenn nicht größere finanzielle Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Wir konnten dies nur kompensieren, indem wir besser gearbeitet haben als einige andere. Das müssen diese anderen erst einmal nachmachen.

SPOX: Ihnen gelangen mit Mesut Özil, Diego oder Johan Micoud in den letzten Jahren exzellente Einkäufe, die die Mannschaft qualitativ auf ein neues Niveau hoben. Doch wie lautet Ihre Bilanz bei den Verpflichtungen, die die Breite stärken sollten? Was sagen Sie zu Namen wie Mikael Silvestre, Aymen Abdennour, Dusko Tosic und Alexandros Tziolis?

Allofs: Es bringt doch nichts, jeden einzelnen Transfer aufzurechnen. Entscheidend ist die Gesamtbilanz, und die spricht für sich. Wir haben in den letzten Jahren jedes der drei Kriterien erfüllt: Wir hatten sportlichen Erfolg, wir erwirtschafteten einen Transferüberschuss und wir zeigten in den letzten zehn Jahren mit den schönsten Fußball. Dass im Zuge dessen auch Spieler geholt wurden, die nicht in die Mannschaft passen oder schlichtweg nicht gut genug waren, ist ganz normal. Zumal uns auch von den bekannten Namen abgesehen genügend gute Transfers gelangen. Clemens Fritz kam ablösefrei, hat sich als Spieler wie auch als Persönlichkeit vorbildlich entwickelt und verkörpert perfekt den Geist des Vereins. Nur so etwas wird nicht so wahrgenommen.

SPOX: Bremen scoutet intensiv in Südamerika. Claudio Pizarro, Naldo und Wesley, sollte er die ersten Eindrücke bestätigen, sind Volltreffer, auf der Minusseite stehen hingegen Carlos Alberto, Marcelo Moreno oder Gustavo Nery. Eine Quote, die zufriedenstellt?

Allofs: Das Problem ist nicht nur Bremen bezogen, bei den Bayern etwa lassen sich auch genügend Beispiele finden, bei denen die Integration misslang. Wir wissen, dass es etwas Unterschiedliches ist, jemanden in Brasilien zu beobachten und ihn dann ihn Deutschland zu sehen, wo er sich an den Fußball und an die Mentalität gewöhnen muss. Dieses Risiko müssen wir aber eingehen, weil uns die Mittel fehlen, um einen in Europa erprobten Brasilianer oder Argentinier zu kaufen.

SPOX: Sie betonten zuletzt wiederholt, dass Bremen neue Spieler bräuchte, sich die Transfers jedoch nicht mehr in der Größenordnung vergangener Jahre bewegen werden. Warum?

Allofs: Wir müssen uns stets der Einnahmesituation anpassen. Sollten wir nicht in den internationalen Wettbewerb einziehen, sind unsere Einnahmemöglichkeiten eingeschränkt.

SPOX: Die Rede ist von einer Zäsur, die Bremen bevorsteht. Ist dennoch eine Rückhol-Aktion von Miroslav Klose möglich, der selbst an einen Weggang aus München denkt?

Allofs: Vornherein werde ich nicht sagen: Das geht nicht. Ich schließe nichts aus, solange eine Verpflichtung finanziell realisierbar ist und sportlich Sinn macht. Aber immer unter der Prämisse, dass wir kein unverantwortliches Risiko eingehen. (Anmerkung der Redaktion: Nachträglich dementiert Bremen jegliche Rückkehr-Gerüchte um Klose. Das Interview wurde in dieser Form jedoch so freigegeben.)

SPOX: Bevor Sie Ihren Vertrag 2008 verlängerten, sprachen Sie über die Möglichkeit, für einen anderen Verein zu arbeiten. Verspüren Sie einen Reiz auf etwas Neues, immerhin haben Sie bei Werder nahezu alles erreicht, was möglich ist?

Allofs: Aktuell  ist es kein Thema, weil ich entgegen einiger Meinungen sehr wohl noch Entwicklungspotenziale sehe. Und ich genieße es nach wie vor, dass sich Werder als Gesamtverein nicht von Stimmungen beeinflussen lässt und die Kompetenzen klar verteilt sind. Wenn es jedoch irgendwann soweit ist, dass der Job weniger Spaß macht, muss man einen anderen Weg einschlagen. Im Fußball geht es sehr schnell und im nächsten Jahr, wenn mein Vertrag ausläuft, könnte alles ganz anders aussehen. Bremen wird jedoch wie schon 2008 mein erster Ansprechpartner sein.

SPOX: Werder ist das Vorzeigeunternehmen der Bundesliga und gibt nur das aus, was eingenommen wird. Würden Sie als Manager dennoch gerne mal über die Stränge schlagen wie Schalke? Der Verein hat hohe Verbindlichkeiten angehäuft und war dennoch in der Lage, im Sommer einen Raul und einen Klaas-Jan Huntelaar zu verpflichten.

Allofs: Für uns war das Bundesliga-Lizensierungsverfahren immer richtungsweisend, darüber hinaus gehört es nicht zu unserer Strategie, Vermarktungsrechte und ähnliches zu verkaufen, um den Geldbedarf zu befriedigen. Natürlich schränkt es ein, wenn man nur mit dem Etat hantiert, der durch den laufenden Spielbetrieb abgedeckt wird, aber deswegen blicke ich nicht mit Neid oder Groll zu anderen Klubs. Ich bin stolz auf unsere Philosophie.

SPOX: Mit der Einführung des Financial Fair Play im übernächsten Sommer, die ein diszipliniertes Haushalten bei allen europäischen Vereinen gewährleisten soll, müsste sich nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von Bremen, sondern auch der gesamten Bundesliga verbessern. Teilen Sie die Erwartung?

Allofs: Die Grundidee klingt gut, die Kernfrage wird jedoch sein, ob die Vorgaben vollkommen und konsequent durchgesetzt werden. Es ist nun mal so, dass es bei allen Bestimmungen der erste Antrieb ist, Lücken im System zu finden. Es wäre ein Wunder, wenn das Financial Fair Play so wasserdicht und ohne Schlupflöcher sein wird, wie es von der UEFA angedacht ist.

SPOX: Die Bundesliga holt international enorm auf, doch der europäische Fußball ist geprägt von Zyklen. Mitte/Ende der 90er-Jahre dominierte Italien, dann England, derzeit Spanien mit dem FC Barcelona. Welche Schritte muss die Bundesliga unternehmen, um langfristig die bestimmende Liga Europas zu sein?

Allofs: Ich glaube, dass die Bundesliga wesentlich weniger anfällig ist für Zyklen. Die englische und spanische Liga tendieren grundsätzlich schon zu Auf-und-Abs, weil viele Klubs vom Interesse eines einzelnen reichen Besitzers gesteuert werden. Zwischenzeitlich sah es für solche Vereine rosig aus, doch schon jetzt haben sich die Verhältnisse relativiert. Die Bundesliga hingegen hat zwar nicht die für Zyklen typischen Ausschläge nach oben wie etwa einen Champions-League-Triumph. Dafür sehe ich nicht die Gefahr, dass der stetige, nachhaltige Boom irgendwann endet - solange die deutschen Klubs weiter so professionell wirtschaften.

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