"Habe Respekt vor unserer Situation"

Von Interview: Florian Bogner
Max Eberl übernahm im Oktober 2008 das Amt des Sportdirektors bei Borussia Mönchengladbach
© Getty

Nach zehn Spieltagen steht Borussia Mönchengladbach auf dem letzten Tabellenplatz. Die Transferpolitik von Sportdirektor Max Eberl wird hinterfragt. Der 37-jährige Ex-Profi vor dem schweren Bundesligaspiel gegen Bayern München am Samstag (15.15 Uhr im LIVE-TICKER) über Verletzungsprobleme, die Vertragsverlängerung von Nationalspieler Marco Reus und die Torwartfrage.

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SPOX: Herr Eberl, wie geht es Ihnen?

Max Eberl: Danke, gut.

SPOX: Trotz der prekären sportlichen Situation?

Eberl: Man muss immer unterscheiden. Gesundheit und Familie ist das Allerwichtigste, das Elementare - da können im Beruf noch so dramatische Dinge passieren. Insofern geht es mir gut, ja.

SPOX: Was verbinden Sie mit dem 19. Oktober 1991?

Eberl: Erstes Bundesliga-Spiel, mit dem FC Bayern beim VfB Stuttgart, Gegenspieler Michael Frontzeck, 2:3 verloren, zur Halbzeit ausgewechselt, 'Kicker'-Note fünf.

SPOX: Klingt bitter.

Eberl: Ich denke, das sagt auch die 'Kicker'-Note aus. (lacht) Nein, es war so: Ich wurde damals als 18-Jähriger einfach von Sören Lerby und Hermann Gerland in dieses Spiel hinein geworfen. Vor 62.000 Zuschauern in Stuttgart - das später ja deutscher Meister wurde - seine Bestleistung zu bringen, war nicht so einfach. Da ging mir schon ein bisschen die Muffe.

SPOX: Wie stark geht Ihnen denn vor dem Spiel gegen Bayern am Wochenende die Muffe?

Eberl: Auf keinen Fall so wie damals. Ich habe Respekt vor unserer Situation und vor den Bayern, aber bestimmt keine Angst.

SPOX: Was sagt der Ex-Spieler Eberl über die momentanen sportlichen Defizite der Gladbacher Mannschaft?

Eberl: Sehen Sie, selbst Bayern bekommt bei Ausfällen von Robben, Ribery, van Bommel, Klose und Olic Probleme. Sie ersetzen diese Spieler aber durch Gomez, Kroos und Tymoschtschuk. Wir haben eine ähnliche Problematik mit verletzten und gesperrten Spielern. Von dem Stamm, den wir vor der Saison im Kopf hatten, fehlen uns teilweise bis zu acht Spieler. Und wir können das nicht so gut auffangen.

SPOX: Wie sehr hinterfragt der Sportdirektor Eberl nun die personellen Entscheidungen des Sommers?

Eberl: Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten gehandelt. Wir sind nun mal kein Verein, der Millionen ausgeben kann. Wir müssen sehr, sehr genau hinschauen und uns dann punktuell verstärken. Das haben wir aus unserer Sicht getan. Wir haben im Sommer einen Kader zusammengestellt, mit dem wir den nächsten Schritt gehen wollten. Wir wollen uns weiter in der Bundesliga etablieren, ohne ein bestimmtes Ziel auszurufen und von einem einstelligen Tabellenplatz zu träumen. Von diesem Kader sind wir nach wie vor zu einhundert Prozent überzeugt - wenn er denn mal komplett zur Verfügung stehen würde.

SPOX: Aber gibt es den Spielern nicht ein Alibi, wenn man Ausfälle vorschiebt?

Eberl: Nein, es gibt für niemanden ein Alibi. Jeder Spieler, der bei uns einen Vertrag unterschreibt, hat den Anspruch, Bundesliga zu spielen. Es geht nicht um Eitelkeiten, es geht nicht um Persönlichkeiten - es geht alleine um Borussia Mönchengladbach. Und da hat jeder Spieler seine ganze Kraft, seine ganze Erfahrung und seine ganze Qualität in die Waagschale zu werfen, um aus dieser Situation raus zu kommen.

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SPOX: Das tun die Spieler aber zu selten.

Eberl: Das stimmt nicht. Die Mannschaft hat es in dieser Saison trotzdem schon gegen vermeintlich größere Gegner hinbekommen, so zu spielen, wie wir uns das vorstellen. Beispiel Leverkusen. Nur leider können wir diese Qualität nicht jedes Wochenende abrufen. Deswegen stehen wir jetzt auf dem letzten Tabellenplatz.

SPOX: Dann kommt man letztlich doch bei einem Kopf-Problem raus.

Eberl: Wenn Sie mir sagen, warum Mo Idrissou aus fünf Metern das leere Tor nicht trifft, dann beantworte ich Ihnen die Frage nach dem Kopf-Problem gerne. Die Mannschaft kann es bringen, aber auf Grund der fehlenden Stabilisatoren im Team ruft sie es nicht oft genug ab. Bayern hinkt ja auch zwölf Punkte hinter dem eigenen Anspruch her - das gilt auch für uns.

SPOX: Was meinen Sie mit fehlenden Stabilisatoren?

Eberl: Uns fehlen über weite Strecken erfahrene Spieler die auf dem Platz reagieren können und über Wochen Stabilität garantieren. Natürlich kann man jetzt Marco Reus, Tobias Levels oder Michael Bradley, die alle noch unter 23 Jahre alt sind, sagen: 'Hört zu Jungs, jetzt müsst ihr vorangehen!' Aber das ist nicht so einfach. Junge Spieler machen in engen Spielen eben manchmal Fehler, die zu Negativerlebnissen führen.

SPOX: Schließen Sie Nachbesserungen im Winter aus, wie es vor zwei Jahren mit der Verpflichtung von Logan Bailly, Dante und Tomas Galasek vorgemacht wurde?

Eberl: Wir haben bis zum Winter noch einige Spiele vor der Brust und wissen, dass sich die Kadersituation auch wieder entspannen wird. Bis dahin müssen wir aber punkten. Wir können uns nicht einfach irgendwie in den Winter retten und sagen, wir kaufen dann noch mal ein. Das ist nicht die Lösung.

SPOX: Für Lösungen ist jetzt auch Trainer Michael Frontzeck zuständig. Wird er sie finden?

Eberl: Michael Frontzeck ist genau der richtige Mann, was den eingeschlagenen Weg der Kontinuität betrifft. Als Hans Meyer damals aufhörte, hatten wir eine junge Mannschaft, mit der wir uns Schritt für Schritt weiterentwickeln wollten. Wir haben eine Philosophie entwickelt, in die Frontzeck sehr gut rein passt. Sicher hat auch er mit der Situation zu kämpfen. Wenn viele Spieler unter Form spielen, möchte man als Trainer auch irgendwann etwas verändern. Aber was, wenn die Alternativen aufgrund von Verletzungen und Sperren fehlen? Dann sind auch dem Trainer die Hände gebunden.

SPOX: In Köln brennt in einer ähnlichen Situation der Baum. Ist es im Gladbacher Umfeld mitunter zu ruhig - Stichwort Komfortzone?

Eberl: Wir gehen unseren ruhigen Weg ja nicht aus Sturheit, sondern aus Überzeugung. Deswegen greifen die üblichen Mechanismen, die oftmals ja von außen geschürt werden, hier momentan nicht. Wir haben diesen Trainer ja vor 17 Monaten nicht über Nacht ausgesucht, sondern weil wir überzeugt sind, dass er der richtige ist. Sie können aber auch davon ausgehen, dass wir intern sehr kritisch mit uns, der Mannschaft und der Situation umgehen. Es soll keiner glauben, dass bei uns eitel Sonnenschein herrscht.

SPOX: Dass Marco Reus bis 2015 verlängert hat, ist ein positives Zeichen für Gladbach.

Eberl: Dass er in einer misslichen Lage seinen Vertrag verlängert, ist ein echter Vertrauensbeweis. Alle haben gesagt, dass der Junge irgendwann gehen wird. Aber Marco hat sich nun mit dem Weg, dem wir ihm bei Gladbach aufgezeigt haben, total identifiziert. Das ist ein gutes Zeichen.

SPOX: Der Trainer hat auch ein Zeichen gesetzt, indem er einen Torhüterwechsel vollzogen hat. Hat Logan Bailly nun überhaupt noch eine Zukunft in Gladbach?

Eberl: Bailly ist auf keinen Fall ein Sündenbock oder der Alleinschuldige der Gegentorflut. Wenn man erlebt hat, was beim Spiel gegen Bremen passiert ist, als dieser junge Mensch von 30.000 oder 40.000 Zuschauern ausgelacht und verhöhnt wurde, dann ist das für mich das schlimmste, was passieren kann. Wir haben diese Entscheidung aus Schutz dem Spieler gegenüber getroffen.

SPOX: Und wie nimmt Bailly das auf?

Eberl: Natürlich ist man erstmal enttäuscht, man steht vor einer Wand und man weiß nicht, was los ist. Dass er eine Woche aus dem Fokus war, hat ihm gut getan - das hat er selbst bestätigt. Er wird zurück kommen, ranklotzen und einen sportlichen Zweikampf mit Christofer Heimeroth suchen, so wie es Heimeroth zuvor gemacht hat. Im Winter werden wir dann sehen, was passiert.

SPOX: Wie ist eigentlich Ihr Kontakt zu Christian Nerlinger?

Eberl: Christian Nerlinger und ich kennen uns seit gefühlten dreißig Jahren, haben von der D-Jugend an zusammen beim FC Bayern gespielt. Wir haben aktuell keinen regen Kontakt, aber wenn wir uns sehen, sprechen wir schon noch von den alten Zeiten und schmunzeln darüber, dass es uns beide auf Sportdirektorensessel verschlagen hat.

SPOX: Sie beide haben ein Studium als Basis für Ihren jetzigen Job gewählt. Inwieweit hilft Ihnen ihr Sportmanagement-Studium bei Ihrer täglichen Arbeit?

Eberl: Es ist natürlich wichtig, dass man auf dieser Position einen wirtschaftlichen Background hat und sich mit Zahlen auskennt - man kann eben nur das ausgeben, was man eingenommen hat...

SPOX: Das kann schon mal nicht jeder in der Bundesliga.

Eberl: Stimmt. Aber das ist bei uns im Verein ein sehr hohes Credo. Ich finde es wichtig, dass man erkennt, welche Bedeutung der finanzielle Aspekt hat. Deswegen war dieses Studium für mich als Grundlage der richtige Weg.

SPOX: Und mit welchem Gefühl gehen Sie in das Spiel am Samstag?

Eberl: Mit einem guten. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir gegen Bayern ordentlich und auch erfolgreich spielen können. Wir haben auch in dieser Saison schon zweimal gegen Bayer Leverkusen gezeigt, dass wir mit diesen Mannschaften auf Augenhöhe spielen können. Aber natürlich nur, wenn wir alle unsere Tugenden in die Waagschale werfen.

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