Schmiedebach: 13 Kilometer für den einen Pass

Von Stefan Moser
Letztes Jahr kamen Manuel Schmiedebach (l.) und Hannover 96 mit 0:7 in München unter die Räder
© Getty

Jose Mourinhos Grundgedanke führte Hannover 96 bis auf Platz drei in der Bundesliga. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Senkrechtstarter Manuel Schmiedebach: Früher ein Wadenbeißer, heute die Schaltstation.

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"Es gibt Spiele, in denen will ich den Ball gar nicht haben: Ich überlasse ihn bewusst dem Gegner." Mit diesem Satz musste kein Geringerer als Jose Mourinho im Frühjahr seine angeblich destruktive Spielweise rechtfertigen. Kurze Zeit später gewann er mit Inter Mailand das Champions-League-Finale gegen Bayern München mit 2:0. Der Ballbesitz seiner Mannschaft betrug 31 Prozent.

Und was für Inter Mailand recht ist, kann für Hannover 96 schließlich nur billig sein: Auch die Mannschaft von Mirko Slomka will den Ball nämlich nicht haben. In zwei Spielen hatten die Niedersachsen in der laufenden Saison mehr Spielanteile als die gegnerische Mannschaft: Gegen Wolfsburg und St. Pauli, beide Partien gingen verloren.

In den restlichen fünf Spielen allerdings überließ Hannover jeweils dem Gegner höflich den Ball - und nahm dafür selbst die Punkte mit. Mit Ballbesitzzeiten zwischen 40 und 47 Prozent verloren die Roten kein Spiel: Vier Siege, ein Unentschieden und 13 Punkte ergeben zusammen den besten Bundesligastart der Vereinsgeschichte, vor dem Spiel bei den Bayern am Samstag (15.15 Uhr im LIVE-TICKER) liegt Hannover völlig unerwartet auf Platz drei.

Hinten dicht, vorne humorlos

Mit nur acht Gegentoren stellt die ehemalige Schießbude der Liga dabei aktuell die drittbeste Defensive - geschlossen, kompakt und aggressiv. Die eigenen Angriffe indessen folgen einem einfachen, aber humorlos effektiven Muster: Den Gegner zu frühen Ballverlusten zwingen, um dann möglichst unmittelbar die eigene, ungemein schnelle, Offensive in Szene zu setzen.

Acht von neun Toren aus dem Spiel heraus fügen sich in das klare Schema: Balleroberung in der gegnerischen Hälfte, schnelle und direkte Pässe in die Spitze, Abschluss nach maximal drei Stationen, die Hände hoch zum Torjubel.

An genau der Hälfte dieser Treffer war allein Manuel Schmiedebach beteiligt, entweder direkt als Vorlagengeber oder indirekt als erste Anspielstation. Der 21-Jährige bildet zusammen mit Sergio Pinto die körperlich kleinste Doppelsechs der Liga und ist trotzdem eine der größten Entdeckungen von Trainer Mirko Slomka.

Der gebürtige Berliner mit kolumbianischer Mutter, kam im Sommer 2008 aus Berlin, nachdem er dort als ehrgeiziger U-19-Spieler nicht mit den Profis trainieren durfte und bei der Hertha keine sportliche Perspektive sah.

"Ich gebe keinen Ball verloren"

Auch in Hannover kam er allerdings im ersten Jahr nur in der zweiten Mannschaft zum Zug. Nach fünf Toren und zwölf Vorlagen in 30 Spielen in der Regionalliga holte ihn schließlich Dieter Hecking zu Beginn der letzten Saison in den Profikader. Als dann jedoch bereits am dritten Spieltag Andreas Bergmann neuer Trainer wurde, verschwand Schmiedebach wieder in der Versenkung. Ausgerechnet sein ehemaliger U-23-Trainer schickte ihn zurück in die Reserve.

"Ich habe immer gut gearbeitet, aber letztlich hat es zwischen dem Trainer und mir zu diesem Zeitpunkt wohl einfach nicht gepasst", erinnert sich Schmiedebach im Gespräch mit SPOX. Der Durchbruch schließlich kam mit Slomka, der am 19. Spieltag übernahm und im Abstiegskampf auf den bissigen 1,74-Meter-Mann baute.

"Vermutlich hat dem Trainer imponiert, dass ich im Spiel hinter jedem Ball herlaufe und keinen verloren gebe", glaubt Schmiedebach, der am Saisonende nicht nur mit vier Torvorlagen zum Klassenerhalt beitrug, sondern mit seiner unbekümmert kämpferischen Art auch die gelähmte Mannschaft wieder belebte.

Eine Selbstverständlichkeit, sagt der umgeschulte Rechtsverteidiger: "Ich empfinde das nicht als mentale Stärke, sondern sehe das eher als normal an. Jeder junge Spieler, der seine Chance bekommt, hängt sich rein. Da bin ich nicht der Einzige. Wir sind alle hungrig und rennen ohne Ende."

"Irgendwann kommt der Ball"

Tatsächlich spult Schmiedebach im Durchschnitt 13 Kilometer pro Partie ab, viele davon im maximalen Tempo, um aktiv in die Zweikämpfe zu kommen. Mit Leverkusens Arturo Vidal und dem Mainzer Eugen Polanski bestreitet er von allen Defensivspielern ligaweit die meisten direkten Duelle.

Gleichzeit übernimmt er im Mittelfeld aber auch eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, nach Ballgewinn gedankenschnell auf Offensive umzuschalten: "Ich war gerne der Wadenbeißer, aber in der jetzigen Position im Mittelfeld kommen auch spielerische Elemente und taktisches Verständnis im Zusammenspiel mit Sergio Pinto dazu."

Während sein Partner auf der Doppelsechs eher von hinten aufbaut, sucht Schmiedebach die Lücken, fungiert als Anspielstation in der gegnerischen Hälfte oder erobert dort zweite Bälle: "Auch diese Wege muss man oft im höchsten Tempo gehen - und oft gehe ich sie auch umsonst. Das macht mich manchmal zwar sauer, aber ich gehe den Weg beim nächsten Mal genauso wieder. Denn irgendwann kommt der Ball und ich habe die Chance auf den tödlichen Pass oder bin selbst in Schussposition."

Diese Mischung aus Laufbereitschaft, quirliger Handlungsschnelligkeit und jugendlicher Unverdrossenheit passt perfekt ins fußballerische Konzept, das Mirko Slomka in Hannover derzeit so erfolgreich umsetzt. Und sie passt auch gut zum nächsten Gegner aus München. Immerhin wurden Mannschaft und Trainer dort zuletzt mit 0:7 kräftig bayerisch abgewatscht.

"Klar ist diese Klatsche noch in unseren Köpfen", sagt Schmiedebach, "aber jedes Spiel beginnt von neuem: Wir haben 90 Minuten Zeit, um es besser zu machen."  Und auf eins immerhin kann sich Hannover dabei verlassen: Die Bayern wollen auf jeden Fall den Ball haben.

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