Niebaum: "Für den Verein war es besser so"

Von Interview: Andreas Rebmann
Dr. Gerd Niebaum war 18 Jahre lang Präsident von Borussia Dortmund
© Getty
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SPOX: Von der Börse reden heute immer weniger Vereine, dafür ist die 50+1-Regel Bestandteil hitziger Diskussionen innerhalb der Bundesliga. Wie stehen Sie dazu?

Niebaum: Ich war an der Einführung der 50+1-Regel unmittelbar beteiligt. Wir haben 1998 ein Eckwerte-Papier verfasst, welches die Kapitalisierung der Bundesligavereine erlaubte. Damals gab es eine Arbeitsgruppe mit Wilfried Straub, Franz Böhmert und Fritz Scherer unter meiner Leitung. Auch Egidius Braun war einbezogen. Braun sagte, dass Kapitalgesellschaften im Amateurbereich schwer zu vermitteln seien. Also kamen wir auf die Idee der 50+1-Regelung und haben dies in das Eckwerte-Papier aufgenommen. Die Regelung hat sich bis heute bewährt und Gutes bewirkt. Man sollte so lange wie möglich an ihr festhalten.

SPOX: Wie stehen Sie dann zu einem Modell wie mit einem einflussreichen Mäzen in Hoffenheim?

Niebaum: Formal ist das dort ja alles in Ordnung. Dass es einflussreiche Mäzene gibt, die über ihre eigentliche Funktion hinaus eine solche Stärke und Ausstrahlung haben, dass sie am Ende sogar bestimmend sind, wird man immer haben. Das ist auch kein Phänomen des Fußballs. Das gibt es in der Politik und anderen Lebensbereichen auch. Die Entwicklung bei Hoffenheim muss man positiv sehen. Wenn jemand wie Herr Hopp sein Geld in den Fußball und die Jugendarbeit investiert, dann empfinde ich das als ein Kompliment für den deutschen Fußball. Er spricht damit ja auch die fußballbegeisterten Menschen in der Region an.

SPOX: In England herrschen andere Zustände. Der FC Portsmouth hatte in der vergangenen Saison vier verschiedene Besitzer und Manchester United hat 96 Millionen Euro Verlust eingefahren.

Niebaum: Daran kann man sehen, was passieren kann, wenn die 50+1-Regelung nicht mehr existiert. Das, was dort passiert, gibt natürlich denjenigen Recht, die an der Regelung festhalten wollen. Das sind eindeutig warnende Beispiele. Wenn die Dämme aber gebrochen sind, könnte das in Deutschland auch geschehen.

SPOX: Im Gegensatz zu anderen Ligen wird die Bundesliga immer attraktiver. Inwiefern hat sich das Bundesliga-Geschäft während Ihrer Amtszeit verändert?

Niebaum: Als ich in den 1980er Jahren anfing, gab es die privaten Fernsehanstalten noch nicht. Damals gab es 400.000 Mark an Fernsehgeldern im Jahr und es wurde nicht jedes Spiel übertragen. Wenn bei uns im Westfalenstadion ein Ü-Wagen stand, war das schon eine Sensation. In der Folge haben die privaten Sender den öffentlich-rechtlichen die Fernsehrechte über den Preis abgenommen. Das steigerte sich mit der Zeit immer mehr, so dass auch die Etats der Vereine in die Höhe schnellten.

SPOX: Kurz darauf kam das Bosman-Urteil...

Niebaum: Ja, und das war alles andere als gut für die Liga. Die Spielerverträge mussten langfristiger gestaltet werden und die Werte, die man aufgebaut hatte, wurden mit einem Mal vernichtet. Es fand eine gewaltige Umwälzung in allen Bereichen statt. Wir hatten 1986 einen Jahresumsatz von fünf Millionen Mark, heute pendeln die Vereine zwischen 100 und 150 Millionen Euro.

SPOX: Haben Sie dadurch auch Unterschiede im Umgang mit Spielern feststellen müssen?

Niebaum: Ja, das hat sich parallel dazu verändert. In den 1980er Jahren verdiente der beste Spieler bei uns 200.000 Mark, der Rest lag zwischen 100.000 und 130.000 Mark. Die Spieler waren damals finanziell noch nicht so verwöhnt wie heute und auch leichter zu führen. Ein heutiger Topverdiener hat ein ganz anderes Selbstvertrauen und Mitspracherecht. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Liga seit mehreren Jahren sehr viel in die Ausbildung von jungen Spielern investiert hat. Damals unterlag ein 20-Jähriger enormen Formschwankungen. In der Breite konnte man nicht mit sechs oder sieben 20-Jährigen spielen und zeitgleich höhere Platzierungen anvisieren. Heute ist ein 20-Jähriger schon so gut ausgebildet, dass er in der Regel seine Leistung in 30 von 34 Bundesligaspielen abrufen kann. Damit hat sich über die Jahre ein struktureller Wandel ergeben. Insgesamt gesehen ist das eine sehr erfreuliche Entwicklung und spendet den Fans zudem auch Identifikation.

SPOX: Wenn sich die Bedingungen so positiv verändert haben, müssten Sie doch motiviert genug sein, um in den Profifußball zurückzukehren.

Niebaum: Nein, nein, das ist vorbei. Ich habe in diesem Geschäft bis auf den Abstieg alles erlebt. Diese Phase ist für mich abgeschlossen. Nun sind Leute gefragt, die 20 Jahre jünger sind. Der Generationenwechsel hat ja nicht nur bei den Spielern eingesetzt, sondern auch bei den Verantwortlichen. Mit über 60 sollte man nicht mehr große Ambitionen entwickeln. (lacht)

SPOX: Liegt das auch daran, dass Sie wegen und während des Dortmunder Finanzcrashs extrem viel Kritik einstecken mussten?

Niebaum: Nein. Dass man Kritik einstecken muss, ist normal, erst recht, wenn man an exponierter Stelle auch sicherlich den einen oder anderen Fehler gemacht hat. Mir ging es aber auch immer darum, dass meine Mitstreiter im Vorstand und in den Gremien persönlich durch die Finanzkrise keinen Nachteil erleiden und dass der BVB den eingeschlagenen Sanierungsweg möglichst schnell voran bringen konnte. Ich habe daher, ohne nach Mitverantwortlichen zu suchen, die Verantwortung für alles übernommen und muss deshalb mit den Konsequenzen leben. Für den Verein war es aber besser so.

SPOX: Inwiefern hat sich die Kritik auf den Menschen Gerd Niebaum ausgewirkt?

Niebaum: Das Ganze war natürlich nicht angenehm. Ich bin mit diesem negativen Schlussakkord aus dem Geschäft ausgestiegen und dieser klingt bei vielen erstmal eine längere Zeit nach. Dass es zuvor 16 erfolgreiche Jahre mit enormen Erfolgen und unglaublicher Freude für die Fans von Borussia Dortmund gegeben hat, kommt durch diese verkürzte Sichtweise überhaupt nicht mehr zum Tragen. Mich regt es auch nicht besonders auf, dass so gedacht wird. Ich selbst kann es aber anders bewerten. Ich sehe auch die Zeit vor der Krise und das, was ich dabei geleistet habe. Insofern ziehe ich einen Schlussstrich ohne Groll.

SPOX: Welche Reaktionen stießen Ihnen denn entgegen, wenn Sie in der Öffentlichkeit auf Dortmunder Fans trafen?

Niebaum: Von zahlreichen Menschen erfahre ich immer noch eine sehr emotionale Form der Dankbarkeit. Wer den BVB seit 20 oder 30 Jahren verfolgt, weiß die erfolgreiche Zeit, die Titel und die ungefähr 130 Europapokalspiele immer noch sehr zu schätzen. Ein heute 18-Jähriger hat das möglicherweise nicht so intensiv mitbekommen. Deshalb kann man es den ganz jungen Fans auch nicht verübeln, wenn sie ein eher von der Finanzkrise geprägtes Bild meiner Amtszeit haben.

SPOX: Seit Sie nicht mehr Präsident der Borussia sind, haben Sie sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wie sieht momentan Ihr Alltag aus?

Niebaum: Ich arbeite wieder als Rechtsanwalt in meiner Kanzlei "Niebaum Rechtsanwälte" und arbeite für meine Mandanten. Das ist natürlich nicht so emotional wie der Fußball, aber es ist eben mein Beruf. Es macht mir sehr viel Spaß.

SPOX: Verfolgen Sie den BVB und die Bundesliga an sich noch?

Niebaum: Da ich unter anderem in größere Immobilienprojekte eingebunden bin, habe ich sehr viel zu tun. Ich bin viel unterwegs und im gesamten Bundesgebiet im Einsatz. Daher habe ich eigentlich genauso wenig Zeit wie vorher. Ich bin aber selbstverständlich immer noch am BVB interessiert und schaue mir die Spiele so gut es geht im Fernsehen an. Gelegentlich gehe ich auch ins Stadion.

SPOX: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des BVB, seit Sie nicht mehr im Amt sind?

Niebaum: Jürgen Klopp ist ein sehr konzeptioneller Trainer. Seit seinem Dienstantritt hat er die Mannschaft mit dem klar erkennbaren Ziel verändert, ein homogenes Team zu formen. Ihm kommt die von mir bereits angesprochene Entwicklung zugute: Er kann sich bei der Jugend bedienen. Die aktuelle Entwicklung schreitet mit sehr viel Überlegung voran. Man achtet darauf, dass die Spieler zueinander passen und in der Lage sind, ein Wir-Gefühl und einen gewissen Hunger auf Titel zu entwickeln. Die sind alle heiß auf internationalen Fußball und Erfolge. Eine solche Mannschaft lässt sich zudem deutlich besser führen. Aktuell zeigt sich, dass der eingeschlagene Weg sicher der richtige ist und man damit an die große Tradition des BVB wieder anknüpfen kann.

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