Absturz im Eiltempo

Von Andreas Lehner / Stefan Rommel
Thomas Hitzlsperger wechselte 2005 ablösefrei von Aston Villa zum VfB Stuttgart
© Getty

Vom Kapitän eines Titelkandidaten zum Bankdrücker im Abstiegskampf. Thomas Hitzlsperger muss um die WM-Teilnahme fürchten und bekommt im Verein neue Konkurrenz. Seine Zeit in Stuttgart scheint abgelaufen. Aber Hitzlsperger will kämpfen.

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Der 13. Spieltag dieser Saison war einer der bittersten in der Karriere des Thomas Hitzlsperger. Nach 65 Minuten wird der damalige Kapitän des VfB Stuttgart ausgewechselt und von den eigenen Fans gnadenlos ausgepfiffen. Der VfB liegt gegen den Tabellenletzten Hertha BSC mit 0:1 zurück.

Die Stimmung ist kritisch, die Fans sind aufgebracht. Bis die Stuttgarter in der 82. Minute den Ausgleich erzielen. Zdravko Kuzmanovic ist der Torschütze. Ausgerechnet der serbische Neuzugang, der einer der größten Konkurrenten Hitzlspergers auf der Position vor der Abwehr ist, trifft zum 1:1.

Während Hitzlsperger nur noch von draußen zuschauen kann und sich über seine erneut schwache Leistung und die Reaktion der Fans Gedanken macht, wird Kuzmanovic zum kleinen Helden und macht die Zuschauer im Stadion mit seiner aggressiven Gestik beim Jubel noch mal heiß. Das genaue Gegenteil zum Häufchen Elend Hitzlsperger, das zuvor vom Platz schlich.

Ein schleichender Prozess

Es war ein schleichender Prozess, der Hitzlsperger im vergangenen Jahr vom Kapitän einer Mannschaft, die bis zum Schluss um die Meisterschaft kämpfte, zum Ersatzspieler eines Abstiegskandidaten machte.

Die Abwärtsspirale begann sich sehr früh zu drehen. Schon am zweiten Spieltag rotierte der damalige Trainer Markus Babbel seinen Spielführer aus der Mannschaft. Hitzlsperger war danach verunsichert, wie er heute zugibt.

Der 27-Jährige ist kein Anhänger des in Deutschland so beliebten Führungsspieler-Denkens. "Der Fußball hat sich verändert", sagt er, "ich will, dass jeder für sich begreift, dass seine Position die wichtigste ist. Jeder, ob jung oder alt, muss ein Führungsspieler sein." Als Kapitän nach nur einem Spiel auf der Bank zu sitzen, setzte dem sensiblen Hitzlsperger aber doch zu.

Tiefpunkt 1: Babbel nimmt ihm die Binde

Seine Formkurve zeigte steil nach unten, seine Leistungen waren zum Teil unterirdisch. In elf Spielen in der Vorrunde erzielte er nur einen Treffer. Zudem entzog ihm Babbel das Vertrauen auf der zentralen Position vor der Abwehr und brachte entweder Kuzmanovic oder Christian Träsch, eigentlich Rechtsverteidiger.

Hitzlsperger weiß, dass er in der schwierigen Phase eigentlich voran gehen müsste. Auf und neben dem Platz. Aber das ist nicht die Art des Thomas Hitzlsperger. "Im Grunde ist Thomas ein hervorragender Kapitän", spricht Sportvorstand Horst Heldt einen Satz aus, der schon ein großes Aber im Schlepptau haben muss. "Aber er ist einer, der an sich selbst zuletzt denkt."

Das Kapitänsamt ist Hitzlspergers letzter Rettungsring in der Krise, aber Babbel reißt ihm auch diesen weg. Babbel ist eigentlich schon zu einer lame duck verkommen, ein Trainer ohne Mannschaft, bekommt vom Vorstand aber erneut Rückendeckung. Babbel versucht, noch einmal ein Zeichen zu setzen und nimmt Hitzlsperger die Kapitänsbinde. "Es war nicht der richtige Schritt", sagt Hitzlsperger rückblickend. Er kann die Entscheidung nicht verstehen, will die Äußerung aber nicht als Nachtreten oder Abrechnung verstehen.

Tiefpunkt 2: Löw setzt ihn gegen Russland auf die Bank

Die Fans werfen ihm vor, dass er sich nicht gegen seinen persönlichen und den Absturz des Vereins gewehrt hat. Sie halten ihn für zu phlegmatisch und zu empfindlich.

"Meinen Ruf kenne ich, wenn es mal nicht läuft, heißt es gleich: denkt zu viel, liest zu viel, ist zu weich. Damit habe ich gelernt umzugehen, obwohl ich es bedaure, dass manchmal so oberflächlich geurteilt wird", sagt er im Interview mit der "Zeit".

Joachim Löw schätzt den "tadellosen Teamplayer" ("FAZ") Hitzlsperger, der nie das herausragende Talent aber ein solider Arbeiter war. Der Bundestrainer bringt ihn in acht von neun WM-Qualifikationsspielen von Beginn an. Nur im entscheidenden Duell mit Russland friert er 90 Minuten auf der Bank. Löw hatte sich für den Leverkusener Simon Rolfes an der Seite von Michael Ballack entschieden. Ein weiterer Genickschlag, von dem er sich bis zur Winterpause nicht mehr erholt.

Freie Nachmittage im Kraftraum

In der Rückrunde soll jetzt alles anders werden. Er weiß, worum es geht. Dass er die "schwierigste Zeit in meinem Leben als Fußballer" hinter sich hat und an einem kritischen Punkt in seiner Karriere angekommen ist. Sein Vertrag in Stuttgart läuft Ende der Saison aus, seine WM-Teilnahme ist durch die starke Konkurrenz im Verein gefährdet.

Deshalb arbeitet er hart an sich selbst und seiner Form. Selbst in seiner Alles-außer-Fußball-Kolumne in der "Zeit" spricht er nur über Fußball.

Im Trainingslager in La Manga verbringt er sogar die freien Nachmittage im Kraftraum. "Ich will wieder die Kurve kriegen und meine Leistungen auf einem hohen Niveau stabilisieren. Dafür muss ich richtig Gas geben und ich habe auch große Lust dazu", sagt er.

Gross ist seine einzige Chance

Seine Chance ist der neue Trainer Christian Gross. Der Schweizer lobt Hitzlspergers Ehrgeiz und mag robuste, arbeitsame Spieler, die sich in den Dienst der Mannschaft stellen.

Der Weg zurück ins Team ist aber schwer. Mit Kuzmanovic und Sami Khedira hat er zwei Spieler vor der Nase, die ebenfalls zur WM wollen und in der Hinrunde mit guten Leistungen und wichtigen Toren dem Verein geholfen haben.

Für eine Vertragsverlängerung muss Hitzlsperger seinen Stammplatz zurückgewinnen. Zumal im Sommer mit Christan Gentner ein weiterer Spieler zurückkehrt, der einen Platz im zentralen Mittelfeld beansprucht.

"Ein Nationalspieler wie Gentner steht dem VfB gut zu Gesicht, wie auch ein Nationalspieler wie Hitzlsperger. Aber er muss sich für eine Vertragsverlängerung aufdrängen. Ich werde ihn sehr genau beobachten", sagt Gross im "Kicker".

Selbstkritisch und eigenständig

Hitzlsperger ist keiner, der sich aufgibt. Er will sich immer weiter entwickeln und arbeitete schon früh mit einem Personaltrainer und Psychologen zusammen.

Er ist ein sehr selbstkritischer Spieler, der durch seine Zeit im Ausland geprägt ist und seine Karriere schon immer in die eigene Hand nahm.

Um seinen Wechsel zu Aston Villa einzufädeln, reist er ohne das Wissen seiner Eltern nach Birmingham. Seinem Vater, der ihn unbedingt beim FC Bayern spielen sehen will, erzählt er, dass er wegen seiner Ausbildung zum Bürokaufmann nach Berlin müsse.

Erst als ein Fax von Villa beim FC Bayern einläuft, weil sie eine Genehmigung für einen Testspieleinsatz brauchen, fliegt die Sache auf. Gegen den Willen seines Vaters unterschreibt er bei Aston Villa einen Profivertrag.

Der erste wichtige Schritt in seiner Karriere. Jetzt ist er wieder an einem entscheidenden Punkt angelangt.