Aus dem Fanblock zum Traumjob

Von Interview: Jochen Tittmar
Zeugwart Mille Gorgas beim Putzen und Polieren der Fußballschuhe von Hannover 96
© Imago

Die "Schattenmänner" der Bundesligisten - von Montag bis Freitag lässt SPOX fünf Männer zu Wort kommen, die etwas weniger im öffentlichen Fokus der Bundesligavereine stehen. Heute: Michael "Mille" Gorgas, Zeugwart von Hannover 96.

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Michael Gorgas hat das, was viele Fußballfans wohl einen Traumjob nennen würden. Der glühende Hannover-Fan reiste seinem Team viele Jahre hinterher und wurde plötzlich darauf angesprochen, ob er nicht den Job des Zeugwarts übernehmen will.

Seit über zwölf Jahren ist Gorgas nun seinen Helden ganz nahe und das Mädchen für alles bei den Niedersachsen. Der bei den Fans sehr beliebte Gorgas ist zudem der erste Bundesligazeugwart, der eine eigene Homepage besitzt.

Im Interview spricht der 36-Jährige über seine täglichen Aufgaben, die Acht-Minuten-Profi-Karriere und über den abergläubischen Ralf Rangnick.

SPOX: Sie sind als 96-Fan im Juli 1997 Zeugwart geworden. Ist das für Sie wie in einem Traum?

Mille Gorgas: Es ist ein großes Stück Traum. Als wir in der Regionalliga spielten, kam der damalige Trainer Reinhold Fanz auf mich zu und fragte mich, ob ich den Job machen würde. Das war damals noch auf 420-Mark-Basis. Das hat so gut geklappt, dass ich nach drei Monaten fest angestellt wurde.

SPOX: Wieso fiel die Wahl ausgerechnet auf Sie?

Gorgas: Ich war eben großer Fan. Im Sommer und Winter war ich bei den Trainingslagern dabei und habe sehr oft das Training besucht. In dieser Zeit habe ich schon ein paar kleinere Handgriffe getätigt.

SPOX: Was haben Sie denn vor Ihrer Zeit als Zeugwart gemacht?

Gorgas: 1992 habe ich meinen Realschulabschluss gemacht. Danach habe ich sechs Jahre lang gar nichts gemacht und bin sehr, sehr viel zum Fußball gefahren. Nicht nur zu Hannover 96, sondern auch zu vielen anderen Bundesligaspielen.

SPOX: Was heißt denn gar nichts gemacht?

Gorgas: Ich habe mich mit kleineren Jobs über Wasser gehalten. Ich habe Ferienjobs angenommen oder auch mal Weihnachtsbäume vor einem Supermarkt verkauft.

SPOX: Mussten Sie die Arbeiten, die ein Zeugwart erledigen muss, erst lernen?

Gorgas: Natürlich, ich war ja völlig neu in der Branche. Die damalige Mannschaft hat mir dabei aber auch geholfen.

SPOX: Was gehört denn zu diesen Aufgaben?

Gorgas: Das ist sehr vielfältig. Da jeden Tag trainiert wird, müssen auch jeden Tag die Schuhe sauber und eingefettet sein. Auch die Bälle sollten richtig aufgepumpt sein. Ich muss die Trainingsklamotten in der Kabine am richtigen Ort aufreihen. Auch frisches Obst und Kaffee müssen da sein.

SPOX: Was muss während des Trainings, was danach gemacht werden?

Gorgas: Wichtig ist, dass nach dem Training die Sauna an ist, dass das Obst mundgerecht geschnitten ist, die Handtücher bereit liegen. Es sind viele Kleinigkeiten, die da zusammen kommen. Vor dem Training muss jeder Spieler seine Sachen haben: T-Shirt, kurze Hose, Stutzen, Trainingsanzug, Sweatshirt, Regenjacke.

SPOX: Wie lange bleiben Sie auf dem Trainingsgelände?

Gorgas: Die Nachbearbeitungszeit beträgt meistens zwei, drei Stunden. Letztendlich bin ich morgens der Erste, der da ist und abends der Letzte, der geht. Man hat auch ein Stück weit freie Zeiteinteilung. So lange alle Aufgaben rechtzeitig erledigt sind, passt es.

SPOX: Gibt es Unterschiede in der Arbeit während der Trainingswoche und am Spieltag selbst?

Gorgas: Klar. Am Spieltag werden die Schuhe und Bälle für den Spieltag herausgelegt. Aber auch ganz banale Dinge wie Trikot, Schienbeinschoner, Stutzen, kurze Hose oder Radlerhose.

SPOX: In der Vorbereitung zur Saison 2003/2004 kamen Sie während des Trainingslagers in Österreich für acht Minuten gegen eine Kapruner Auswahl zum Einsatz. Wie kam es denn dazu?

Gorgas: Das war ein Freundschaftsspiel. Zur Halbzeit wurde bereits komplett durchgewechselt. Dann hat sich Steven Cherundolo leicht verletzt und so hat mich Ralf Rangnick eben spielen lassen. Ich stand da und war schon so gut wie umgezogen. Mir fehlten nur noch die Fußballschuhe.

SPOX: Wie fällt Ihr Urteil nach diesem Kurzeinsatz aus?

Gorgas: Ich hatte schon ein, zweimal im Training mitgespielt, aber man merkt wirklich, wie schwer und schnell das alles ist. Das sieht man von der Tribüne nicht.

SPOX: Sie sind großer Schlager-Fan. Das ist ja nicht unbedingt die Musik von Fußballprofis. Kommt es da manchmal zu Unstimmigkeiten?

Gorgas: Überhaupt nicht. Ich habe ja auch ein kleines Büro, dort kann ich die Musik ungestört spielen. Da hängen auch Autogrammkarten von Jürgen Drews, Micki Krause und Gunter Gabriel.

SPOX: Sie fahren auch jetzt noch ziemlich oft zu diversen Fußballspielen. Woher nehmen Sie die Zeit dazu?

Gorgas: Ich habe keine festen Arbeitszeiten wie am Fließband. Daher klappt das ganz gut, wenn die tägliche Arbeit erledigt ist. Ich habe einen guten Kontakt zu einigen Spielern wie Per Mertesacker oder Christoph Dabrowski, die mir ab und an eine Eintrittskarte besorgen oder mich einladen.

SPOX: Wie gestalten Sie sonst Ihre Freizeit?

Gorgas: Meine Zeit ist sehr begrenzt. Außer Fußball habe ich allerdings auch kein Hobby.

SPOX: Vor etwas mehr als einem Jahr haben Sie eine Abmahnung bekommen, weil Sie an trainingsfreien Tagen nicht im Stadion gewesen sein sollen, ohne sich abzumelden.

Gorgas: Ja, es gab eine Abmahnung, aber dazu will ich mich nicht genauer äußern. Ich habe damals unter vier Augen mit Dieter Hecking gesprochen und damit war das Thema für uns erledigt.

SPOX: Sie haben schon etliche Spiele und Stadien gesehen. Welches Spiel war für Sie das Schönste?

Gorgas: Hört sich blöd an, aber jeder Bundesligasieg von Hannover 96 ist für mich gleich schön. Es gibt ja gegen jeden nur drei Punkte, ob gegen Freiburg oder die Bayern. Der wichtigste Sieg war aber sicherlich der Erfolg in der Relegation gegen Tennis Borussia Berlin, als wir von der Regionalliga in die 2. Liga aufgestiegen sind.

SPOX: Welches war das Schlimmste?

Gorgas: Das war nicht ein Spiel, sondern eine ganze Saison: 1995/1996, als wir den Gang in die Regionalliga antreten mussten.

SPOX: Wo steht das schönste Stadion?

Gorgas: In Hamburg und Dortmund.

SPOX: Was ist Ihre Lieblingsanekdote, die Sie mit uns teilen wollen?

Gorgas: Dazu müsste ich etwas weiter ausholen.

SPOX: Gerne.

Gorgas: Ralf Rangnick war etwas abergläubisch. Er hatte in der Aufstiegssaison eine spezielle Winterjacke bei den Spielen an. Bei dieser Jacke hat in der Mitte ein Knopf gefehlt. Einmal hatte ich diese Jacke vergessen, dafür aber eine andere parat. Die war eine Nummer kleiner und der Knopf war auch noch dran. Den habe ich dann abgetrennt. Unmittelbar vor dem Spiel hat er die Jacke dann angezogen. Ich habe mich extra etwas versteckt und ihn beobachtet. Er hat zwar gemerkt, dass die Jacke deutlich zu klein war, aber war froh, dass der Knopf nicht dran war. Das Spiel wurde zum Glück auch 4:1 gewonnen. Ein Jahr später habe ich mich dann geoutet. Da war das Gelächter natürlich groß.

SPOX: Sie sagen selbst, dass Sie einen Traumjob haben. Gibt es dennoch etwas, das Ihnen fehlt?

Gorgas: Mir fehlen die Reisen mit den anderen Fans zu den Auswärtsspielen, die Stimmung im Zug, das ganze Drumherum. Ich kompensiere das nun mit meinen sonstigen Stadionbesuchen und gehe zudem nach den 96-Siegen in meine Schlagerdisko und feiere dort ausgiebig mit vielen anderen Fans.

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