Der XXL-Titelkampf

Von Haruka Gruber
Meisterkandidaten unter sich: Bayerns Ribery gegen drei Hamburger
© Getty

Klingt abgegriffen, aber Geschichte lügt eben nicht: In der Bundesliga ging es noch nie so spannend zu. Seit der Einführung der Dreipunkte-Regel ist es das erste Mal, dass am 25. Spieltag die ersten vier Teams nur durch einen Zähler getrennt sind. Zudem lauert mit Hoffenheim der Überraschungsaufsteiger auf Rang fünf.

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Das Bundesliga-Top-Quintett im SPOX-Check:

1. Hertha BSC Berlin (49 Punkte, 39:29 Tore)

Das spricht für Berlin: Um sich die Qualitäten von Lucien Favre vor Augen zu führen: Welchem Trainer gelingt es sonst, mit einem Linksverteidiger wie Rodnei, dem vor einigen Wochen noch die Bundesliga-Tauglichkeit abgesprochen wurde, an der Spitze zu stehen?

Auffällig: Seit der Winterpause baut Favre auf die gleichen 14, 15 Spieler. Die Stammelf ist eingespielt, eher durchschnittlich begabte Spieler vom Schlage eines Stein oder eben Rodnei bekommen immer mehr Sicherheit.

Weitere Pluspunkte: Torwart Drobny, Rückrunden-Superstar Woronin (Bundesliga-Führender mit neun Toren), die zweitbeste Abwehr der Liga (29 Gegentore), die Rückkehr des ungemein torgefährlichen Kacar, das Ende der Unruhen um Pantelic und nicht zuletzt die in der Bundesliga unerreichte Effektivität. Elf der 15 Siege waren nur mit einem Tor Vorsprung.

Das spricht gegen Berlin: Eine Stammelf ist schön und gut. Vor dem 0:2 in Stuttgart konnte Berlin fünf Spiele in Serie mit seiner Wunschmannschaft antreten bzw. musste nur auf einer Position umdisponieren.

Doch wenn wie beim VfB mit dem suspendierten Ebert und dem früh verletzten Friedrich zwei Säulen wegbrechen, zeigt sich die Schwäche des Kaders. Es fehlt an Tiefe. Genauer: Außer im Sturm und im zentralen Mittelfeld mangelt es an hochklassigen Alternativen. Auch, weil die Winterzugänge Babic und Cufre enttäuschen.

Zudem zeigte Berlin in Stuttgart ein in dieser Saison unbekanntes Gesicht. Offenbar berauschte sich die Mannschaft allzu sehr an der Tabellenführung und verlor den Boden unter den Füßen. "Schon während der Woche habe ich im Training gemerkt, dass die Einstellung zu lasch ist. Hoffentlich hat es jetzt jeder begriffen", sagt Mittelfeldspieler Dardai.

Die Randgeschichte: Von sich aus die Meisterschaft als Ziel zu erklären, gilt gemeinhin als Demonstration der eigenen Stärke. Sagen zumindest die Oliver Kahns dieser Welt.

Aber was macht Favre? Er verbietet es den Spielern, nur vom Titel zu sprechen: "Ich habe immer gesagt, dass es für uns nicht um die Meisterschaft, sondern um den UEFA-Cup geht. Das ganze Gerede um den Titel ist schön, wenn es von den Fans kommt. Aber bei uns in der Mannschaft hat das nichts zu suchen."

Die nächsten fünf Spiele: Dortmund (H), Hannover (A), Bremen (H), Hoffenheim (A), Hamburg (A)

2. Bayern München (48 Punkte, 53:31 Tore)

Das spricht für Bayern: Es ist ein sanfter Paradigmenwechsel. Statt attraktiv und erfolgreich, heißt die neue Devise: Hauptsache erfolgreich. "Wir haben keinen Anspruch mehr, schön zu spielen", sagt Manager Uli Hoeneß. Seitdem macht sich die Mannschaft keine Gedanken mehr um vertikales Angriffsspiel und dergleichen - sondern konzentriert sich rein auf das Ergebnis.

Die Bilanz der letzten vier Pflichtspiele: vier Siege bei 16:2 Toren, eine in dieser Saison für Bayern-Verhältnisse sehr stabile Abwehr und Ergänzungsspieler wie van Buyten und Sosa, die sich endlich aufdrängen. Und: Toni ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Partie in Wolfsburg wieder einsatzbereit.

Das spricht gegen Bayern: Die Innenverteidiger Lucio und Demichelis reagieren auf die Konkurrenzsituation mit van Buyten und zeigen aufsteigende Form, auch im rechten Mittelfeld herrscht nicht zuletzt durch Sosas jüngste Auftritte eine gesunde Rivalität.

Wäre da nicht der brachliegende Sturm. Klose fällt fast die komplette Rückrunde aus, Donovan ist weg, Toni kehrt zwar zurück, aber wird vermutlich eine Weile brauchen, um den Rhythmus zu finden. Bleibt nur noch Podolski, dem aber die Konstanz fehlt, um die Last alleine zu schultern. Dementsprechend wird viel davon abhängen, wann Klose wieder zurückkehrt. In den letzten drei Saisonspielen geht es immerhin gegen Leverkusen, Hoffenheim und Stuttgart...

Die Randgeschichte: Nach einigen Enttäuschungen gab sich Trainer Jürgen Klinsmann in den deutschen Medien zuletzt ja recht kleinlaut. Aber nicht in der "Gazzetta dello Sport". "Die italienischen Klubs haben an Boden verloren, aber die deutschen Vereine haben dasselbe Problem. Es fehlt der Hunger auf dem Platz", so Klinsi.

Erstaunlich selbstbewusst ein zweites Zitat: "Ich habe bei den Bayern alles ändern müssen, um in Europa weiterzukommen."

Die nächsten fünf Spiele: Wolfsburg (A), Frankfurt (H), Bielefeld (A), Schalke (H), Mönchengladbach (H)

2. VfL Wolfsburg (48 Punkte, 53:31 Tore)

Das spricht für Wolfsburg: Selbstverständlich: die drei nimmersatten Scorer-Punkte-Sammler Grafite (24), Dzeko (21) und Misimovic (20). Grafites Torquote ist fast schon unheimlich (18 Treffer in 16 Spielen), Misimovic liegt ligaweit mit 14 Assists vorne. Sollte Gentner weiter so stark spielen, könnte aus dem Trio bald ein Quartett werden - und Gentner in Bälde in der Nationalmannschaft auflaufen.

Zweiter Erfolgsgarant für sieben Siege in Serie: der extrem tiefe Kader. Vor allem im Mittelfeld (Misimovic, Gentner, Dejagah, Josue, Hasebe, Riether, Zaccardo, Schindzielorz, Madlung) und in der Innenverteidigung (Barzagli, Simunek, Madlung, Costa) kann Coach Felix Magath je nach Gegner und Spielstand beliebig variieren.

Zudem ist Wolfsburg das heimstärkste Team (elf Siege, ein Unentschieden) - und der VfL empfängt mit Bayern, Leverkusen, Hoffenheim, Dortmund und Bremen die vermeintlich schwersten Gegner der Rückrunde zu Hause. Vom Spiel in Stuttgart abgesehen, erscheinen alle Auswärtsaufgaben machbar.

Das spricht gegen Wolfsburg: Das Wolfsburger Aufgebot umfasst 34 Spieler. Nur: Einen Ausfall von Schäfer bzw. Grafite oder Dzeko kann selbst der VfL-XXL-Kader nicht kompensieren. Auf der Linksverteidiger-Position klafft hinter Schäfer eine Lücke, Rodrigo Alvim und Karimow sind nur Notnagel.

Und im Sturm geben sich Caiuby, Okubo oder Esswein zwar redlich Mühe, wenn sie eingewechselt werden - im Vergleich zu Grafite und Dzeko sind sie aber nicht mehr als biederer Durchschnitt.

Die Randgeschichte: Endlich herrscht mal Klarheit: Grafite, immerhin der beste Torjäger Deutschlands, wird nicht GrafiTSCH, GrafiTT oder GrafiTTI ausgesprochen, sondern ganz einfach wie er geschrieben wird: GrafiTE. "So habe ich es mal gehört, dabei bleibe ich", sagt GrafiTE.

Die nächsten fünf Spiele: Bayern (H), Mönchengladbach (A), Leverkusen (H), Cottbus (A), Hoffenheim (H)

4. Hamburger SV (48 Punkte, 39:36 Tore)

Das spricht für Hamburg: Auf Schalke fehlte die halbe Stammformation und erst vier Tage zuvor stand das kräftezehrende Spiel bei Galatasaray Istanbul auf dem Programm - dennoch gewann Hamburg gegen S04 mit 2:1.

Olic und Petric halten das hohe Niveau aus der Vorrunde, aber wenn sie mal wie auf Schalke ausfallen, springt Guerrero, in der Form seines Lebens, ein und trifft doppelt. Die Winterzugänge Tavares und Gravgaard bewähren sich als wertvolle Ergänzungsspieler. Jansen hat im linken Mittelfeld endlich seine Idealposition gefunden. Jarolim, äußerst beständig im defensiven Mittelfeld, überzeugt wie bei S04 sogar als verkappter Spielmacher.

Angesichts der Dreifach-Belastung aber vielleicht die wichtigste Erkenntnis des Schalke-Spiels: Körperlich ist Hamburg auf der Höhe. Schalke, das zuvor neun Tage Pause hatte, konnte dem HSV in den letzten 20 Minuten nicht mehr viel entgegen setzen.

Das spricht gegen Hamburg: Konditionell macht Hamburg keiner etwas vor. Nur: Durch den Tanz auf drei Hochzeiten fehlt es der Mannschaft offensichtlich regelmäßig an geistiger Frische. In diesem Jahr folgte spätestens nach zwei Siegen in Serie immer eine Niederlage.

Weiteres Indiz: Bereits vier Mal verlor Hamburg in der Bundesliga mit drei Toren Differenz. Einsamer Negativ-Rekord unter den Top fünf. Dementsprechend muss man Hamburg im Vorhinein schon einen Punkt abziehen. Denn mit der für einen Titelkandidaten indiskutablen Tordifferenz von +3 wird Hamburg am Ende definitiv einen Zähler mehr brauchen als die Konkurrenz.

Die Randgeschichte: Peinliche Enthüllung: Die 21-jährige Big-Brother-Bewohnerin Alex gestand jüngst im TV, von wem sie entjungfert wurde: "Mein erstes Mal hatte ich mit Paolo Guerrero." Geschehen sei dies vor sieben Jahren im Bayern-Internat, nachdem sie von einem seiner Berater die Handynummer bekommen hatte.

"Wir sind durchs Fenster eingestiegen. Claudio Pizarro war auch dabei, mit dem haben wir Flaschendrehen gespielt. Es gab später großen Ärger", so Alex. Der Sex sei "okay" gewesen. "Natürlich hat er den ersten Schritt gemacht. Ich war erst 14. Aber ich bereue das nicht. Wer kann schon sagen, sie hatte sein erstes Mal mit einem Fußball-Profi?"

Die nächsten fünf Spiele: Hoffenheim (H), Stuttgart (A), Hannover (H), Dortmund (A), Berlin (H)

5. 1899 Hoffenheim (44 Punkte, 52:34 Tore)

Das spricht für Hoffenheim: Kaum ein Hoffenheimer kann an die Leistungen der Vorrunde anknüpfen, dennoch hält 1899 den Anschluss. Weil trotz aller Verletzungen, Doping-Ermittlungen und nicht genehmigten Foto-Shootings die Handschrift von Trainer Ralf Rangnick weiterhin sichtbar ist.

Zugegeben: Es knarzt und quietscht in der Offensiv-Maschinerie, doch dass Hoffenheim nicht alles verlernt hat, zeigten die Auftritte in der zweiten Halbzeit in Stuttgart und in der ersten Hälfte in Frankfurt.

Hervorzuheben die Leistungen von Carlos Eduardo, der trotz etlicher Positionswechsel auf einem konstant hohen Niveau spielt, sowie von Kapitän Selim Teber, der - wenn eingesetzt - Verantwortung übernimmt wie beim Elfmeter gegen Hannover.

Das spricht gegen Hoffenheim: 1) Das Restprogramm. Als einziges Team aus dem Top-Quintett muss Hoffenheim noch gegen die anderen vier Teams antreten. 2) Die Defensivmisere. Nach dem Ausfall von Jaissle (sechs Monate) und Ibertsberger (sechs Wochen) stehen nur noch fünf Abwehrspieler zur Verfügung (Beck, Compper, Fabricio, Nilsson, Janker). Vorsah könnte aushelfen. 3) Die Sturmmisere. Ibisevic: Kreuzbandriss, Obasi: seit Wochen nicht fit, Sanogo: Fehleinkauf, Terrazzino: unerfahren, Wellington: technisch limitiert, Ba: zuletzt auch angeschlagen. 4) Der Negativlauf. Fünf Unentschieden in Folge, seit sieben Spielen sieglos, nur drei Tore in vier Spielen.

Die Randgeschichte: Das nennt man "pädagogisch wertvoll". Nach einer als Trainerkritik interpretierbaren Aussage wurde Tobi Weis von Coach Rangnick zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der studierte Sport- und Englischlehrer Rangnick ließ Weis aber selbst die Höhe der Strafe festlegen. Sie soll bei etwa 5000 Euro liegen.

Die nächsten fünf Spiele: Hamburg (A), Bochum (H), Karlsruhe (A), Berlin (H), Wolfsburg (A)

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