"Uns wurde nichts geschenkt"

Von Interview: Stefan Moser / Daniel Paczulla
Pal Dardai gab gegen die Bayern sein Comeback nach einer Meniskus-Operation
© Imago

ExklusivHertha BSC Berlin ist Tabellenführer: Traum oder Wirklichkeit? SPOX sprach mit Mr. Hertha Pal Dardai über die Angst vor dem Erwachen, über seine lange Karriere und das Image der grauen Maus.

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Seit dem vergangen Wochenende heißt der neue Tabellenführer der Bundesliga: Hertha BSC Berlin. Der 2:1 Sieg gegen den FC Bayern München markierte den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die sich seit der Verpflichtung von Trainer Lucien Favre im Sommer 2007 immer deutlicher abzeichnet.

Dass es in Berlin aber auch schlechtere Tage gab, weiß Pal Dardai. Der 32-Jährige ist seit fast zwölf Jahren bei der Hertha und hat dabei alle Höhen und Tiefen eines Fußballerlebens miterlebt. Gegen die Bayern gab er sein Comeback im Mittelfeld - nur vier Wochen nach seiner Meniskus-Operation.

SPOX sprach mit Dardai über die Entwicklung in Berlin, die Veränderungen im modernen Fußball, Lucien Favre und den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit.

SPOX: Herr Dardai, am Samstag machten Sie Ihrem Ruf als "Bayern-Terminator" wieder alle Ehre. Und dass obwohl Ihr Einsatz nach Ihrer Meniskus-Operation lange auf der Kippe stand: Einfach nur glücklich, oder haben Sie noch schwere Beine?

Pal Dardai: Ich muss zugeben, dass ich im Spiel am Samstag ab der 60. Minute pausenlos zur Uhr geschaut habe. Natürlich war die Zeit zwischen der OP und meinem ersten Einsatz sehr kurz, aber ich wusste, dass wir im Mittelfeld große personelle Probleme haben und deswegen habe ich mich beeilt, schnell wieder fit zu werden.

SPOX: Jedenfalls: Glückwunsch zur Tabellenführung! Aber haben Sie nicht manchmal Angst, plötzlich aus einem Traum zu erwachen?

Dardai: Da ich weiß, dass es kein Traum ist, sondern Wirklichkeit, habe ich auch keine Angst aufzuwachen. Es ist das Ergebnis sehr harter und konzentrierter Arbeit. Und momentan passt einfach alles zusammen: Die Stimmung in der Mannschaft ist klasse und wir haben mittlerweile verinnerlicht, was der Trainer von uns will.

SPOX: Dennoch wurde die Hertha - auch aufgrund etlicher knapper Ergebnisse - lange nicht als Spitzenmannschaft wahrgenommen...

Dardai: Aber die Punkte, die wir geholt haben, wurden uns nicht geschenkt, sondern die haben wir uns erspielt. Sicherlich haben wir in dem einen oder anderen Spiel auch mal Glück gehabt, aber es ist eine Qualität von uns, dass wir effizient spielen und die Spiele auch knapp gewinnen.

SPOX: Effizienz plus Glück - ergibt das zusammen auch einen Titelanwärter?

Dardai: Wir träumen nicht, sondern bereiten uns auf jedes Spiel gewissenhaft vor. Unser Ziel ist, um die internationalen Plätze zu kämpfen. Es besteht keine Veranlassung, dieses Ziel zu korrigieren, weil viele andere Mannschaften - die vor der Saison deutlich mehr als wir investiert haben - das gleiche Ziel haben.

SPOX: Sie selbst sind nun seit fast zwölf Jahren in Berlin und damit auch der erfahrenste Bundesligaspieler im Kader. Sind Sie damit auch ein großer Bruder für die jungen Spieler?

Dardai: Nein, ich spiele die Rolle des erfahrenen Spielers und versuche, den jungen Spielern etwas von meiner Erfahrung weiterzugeben. Natürlich bin ich ein Relikt aus vergangenen Jahren, aber ich bin auch stolz darauf, dass ich mich immer wieder durchgesetzt habe.

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SPOX: Wie sehr hat sich der Fußball in diesen zwölf Jahren verändert?

Dardai: Ich denke, dass es ziemlich selten ist, wenn Fußballer über mehr als zehn Jahre bei einem Verein sind. Es dreht sich immer mehr ums Geld, Vereinstreue ist weniger gefragt. Die Bedeutung des Fußballs in Deutschland ist immens hoch und die Anzahl der Medien hat deutlich zugenommen. So ist Fußball ein gesellschaftliches Ereignis mit einer sozialen Verantwortung.

SPOX: Und wie hat sich Berlin verändert?

Dardai: In Berlin hat sich der Fußball total verändert. Hertha BSC beispielsweise ist eine Topadresse in der Bundesliga geworden und verfügt über eines der modernsten Trainingsgelände in Europa.

SPOX: Allerdings haben Sie auch einige gescheiterte "Experimente" miterlebt. Vor Lucien Favre etwa galt der Fokus dem eigenen Nachwuchs - und von diesen Spielern ist kaum jemand übrig...

Dardai: Die Spieler aus dem eigenen Nachwuchs hatten charakterliche Schwächen, deswegen mussten wir uns von ihnen trennen und den Charakter der Mannschaft verändern. Das ist uns in den vergangenen zwei Jahren sehr gut gelungen. Bevor Lucien Favre nach Berlin gekommen ist, musste der Verein wirtschaftlich konsolidiert werden. In der Zeit konnten wir keine neuen Spieler verpflichten. Das ist jetzt anders - und das Ergebnis ist deutlich sichtbar.

SPOX: Stichwort Lucien Favre: Der Trainer gilt in Berlin eindeutig als Vater der jüngsten Erfolge. Was zeichnet ihn aus?

Dardai: Lucien Favre ist ein ruhiger und sehr akribischer Arbeiter. Er hat eine ganz feste Vorstellung und eine Philosophie von Fußball, von der er sich nicht abbringen lässt. In punkto Taktik ist er sehr Detailversessen.

SPOX: Seine Detailversessenheit soll ja angeblich schon mal etwas quälend für die Spieler sein...

Dardai: Sein Training ist sehr abwechslungsreich, auch wenn die Taktikschulung wirklich manchmal sehr eintönig ist. Am Wochenende wissen wir dann aber, wofür wir das unter der Woche machen.

SPOX: Auch Favres Credo lautet: Jeden Spieler jeden Tag besser zu machen. Gilt das auch für einen 32-Jährigen?

Dardai: Ich habe insbesondere im taktischen Bereich noch eine Menge dazu gelernt. Auch mit 32 Jahren kann man seine Technik durch viel Training noch verbessern. Lucien Favre hat mich noch ein gutes Stück besser gemacht.

SPOX: Trotz der Erfolge ist das Stadion fast nie ausverkauft. Woran liegt das?

Dardai: Es gibt sehr viele Gründe, warum die Fans noch nicht in Massen ins Stadion strömen. Berlin ist zum Beispiel eine sehr vielfältige Stadt mit sehr vielen interessanten Angeboten. Es leben rund eine Million Zugereiste in Berlin, die nicht automatisch Hertha-Fans sind. Und dass das Olympiastadion mit seiner Weitläufigkeit nicht gerade ein Vorteil ist, zeigt sich, wenn wir in reinen Fußballstadien spielen. Wir müssen durch gute Spiele und gute Ergebnisse Stück für Stück unsere Zuschauer zurückgewinnen.

SPOX: Und endlich das Image der grauen Maus ablegen...

Dardai: Mit jedem Erfolg wird sich das Image des Vereins verbessern und ich finde übrigens nicht, dass wir ein schlechtes Image haben. Hertha BSC ist der beste Aufsteiger der vergangenen 20 Jahre und eine Konstante in der Bundesliga. Schauen Sie sich andere Traditionsvereine an, wo die mittlerweile gelandet sind und verzweifelt versuchen, wieder zurück zu kehren in die Bundesliga. Hertha BSC ist eine Erfolgsgeschichte.

Alle Daten und Fakten zu Hertha BSC Berlin