Hoffenheims Dreifaltigkeit

Von Stefan Rommel
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München - Am Ende war Marvin Compper in Mönchengladbach nicht mehr wohl gelitten. Mehr oder weniger.

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Über Nacht hatte sich Compper mit Ligakonkurrent Hoffenheim geeinigt. Er wechselte in der Winterpause in den Kraichgau.

Gladbachs Coach Jos Luhukay weinte dem 23-jährigen Kurzarbeiter (nur drei Einsätze) keine Träne nach: "Sportlich werden wir ihn nicht vermissen." Sein neuer Chef Ralf Rangnick dagegen rieb sich die Hände.

Ein halbes Jahr und einen Aufstieg in die Bundesliga später sieht sich Rangnick in seiner Meinung bestätigt. "Marvin übernimmt Verantwortung. Er ist eine unserer Führungsfiguren."

Nicht nur Stars

Denkt man an Hoffenheim, denkt man unwillkürlich an Geld. Man denkt an Dietmar Hopp und ertappt sich dabei, immer auch ein bisschen Roman Abramowitsch im Kopf zu haben. Man denkt an Brasilien oder Afrika, weil die besten Spieler der Mannschaft eben nicht aus Sinsheim oder Mannheim kommen, sondern aus den entlegendsten Ecken der Welt.

Doch Hoffenheim ist mehr als Luis Gustavo, Carlos Eduardo, Demba Ba, oder Chinedu Obasi. "Der Grund für das schlechte Image ist, dass die Leute nicht genügend Bescheid wissen, was in Hoffenheim hinter den Kulissen wirklich geschieht. Unwissenheit ist das größte Problem", sagt Compper gegenüber SPOX.

Denn wem ist Tobias Weis ein Begriff? Ein talentierter Spieler, der es beim VfB Stuttgart aber nie in den Profi-Fußball geschafft hat. Oder Andreas Ibertsberger, Francisco Copado, Selim Teber, Sejad Salihovic oder eben Marvin Compper? Allesamt Spieler, die unter Rangnick das Korsett des Teams bilden.

"Ob diese Spieler in ihren alten Vereinen nicht zum Zuge kamen, ist für den Trainer eben nicht das Ausschlaggebende. Er will nur wissen, was der Spieler kann, und ob er in der Lage ist, das umzusetzen, was er haben will", so Compper.

Das liebe Geld

Ein großer Eckpfeiler von Hoffenheims Konzept sind die Finanzen. Bereits nach dem ersten Spieltag rechtfertigte sich der Klub nach dem 3:0-Sieg in Cottbus, man habe doch genau den selben Lohn-Etat wie Cottbus.

Ralf Rangnick war natürlich danach gefragt worden. Die immer gleiche Frage beantwortete der Trainer sichtlich genervt und erschöpft von ihrer Einfallslosigkeit mit einer Halbwahrheit. Denn vielleicht ist der Lohn-Etat in der Tat der selbe.

Nur definiert jeder Verein seinen Lohn-Etat eben anders. Selbst Manager Jan Schindelmeiser war mit Rangnicks Ausführungen nicht so ganz einverstanden. Man müsse aufpassen und unterscheiden bei Gesamt-Etats, Lohn- und Spieler-Etats. Und ein Vergleich mit anderen Klubs sei deshalb gar nicht zulässig.

Gefallene Engel

Aber ein Eckpfeiler alleine bildet noch lange kein vernünftiges Fundament. Und eine handvoll begabter - und auch teurer - Talente noch lange keine funktionierende Mannschaft.

Von den 14 in Cottbus eingesetzten Spielern waren 13 Rangnick-Einkäufe, nur Teber ist schon seit Januar 2006 im Verein. Das Gros der Mannschaft besteht allerdings nicht aus angehenden Stars. Das Gros besteht aus gefallenen Engeln, aus Spielern, die bei anderen Vereinen keine Chancen mehr hatten und in Hoffenheim plötzlich wieder wichtig sind. Spielern wie Compper.

"Der Verein hat ein sehr gutes Konzept, und der Trainer hat sehr klare Vorstellungen, wie die Mannschaft spielen soll. Und dafür suchen sie die passenden Spieler", erklärt Compper. "Hoffenheim sucht lernbegierige Spieler, die - auch charakterlich - in der Lage sind zu lernen, Dinge aufzunehmen und die dann auch relativ schnell umzusetzen."

Perspektiven für die Sorgenkinder

Es darf als großes Plus der Hoffenheimer angesehen werden, dass die sportliche Leitung offenbar neben dem nötigen Kleingeld für teure ausländische Spieler auch ein sehr gutes Auge für Spielerpersönlichkeiten besitzt. "Trainer und Manager scouten einfach sehr gezielt. Sie suchen nicht nach Spielern, die gerade in den Schlagzeilen sind oder viel kosten. Sie suchen ganz gezielt nach Spielern, die in das Gesamtkonzept passen", erklärt Compper.

Rangnick sieht Perspektiven, wo andere Vereine keine Geduld mehr aufbringen können oder wollen. Und er bekommt die angeblichen Sorgenkinder in schöner Regelmäßigkeit wieder hin.

Der Trainer ist in Hoffenheim der Schlüssel zum Erfolg, glaubt Compper: "Ralf Rangnick kann sehr überzeugend sein. Ich hatte selbst am Anfang meine Bedenken, ob es der richtige Weg für mich ist. Aber nach dem Gespräch mit ihm waren alle Zweifel beseitigt, und ich wollte unbedingt hierher kommen. Weil er auch kommunikativ auf einem sehr hohen Niveau ist, er schafft es einfach, Menschen für seinen Weg zu begeistern."

"Es hängt von Dietmar Hopp ab"

"Wir suchen Spieler, die von einer niedrigeren oder gleichen Entwicklungsstufe zu uns kommen", sagte Rangnick im SPOX-Interview. "So wie Andreas Beck, der zwar über Champions-League- und Bundesliga-Erfahrung verfügt, aber dennoch gemerkt hat, dass er in Stuttgart auf der Kippe gestanden hätte. Bei uns kann er zwei Schritte nach vorne machen - und das simultan mit der Entwicklung des Vereins. Das ist ideal."

Was Rangnick nicht erwähnte, war die Ablösesumme, die die Hoffenheimer für den Rechtsverteidiger nach Stuttgart überweisen mussten: 3,2 Millionen Euro.

Fortschritt lässt sich nur bewerkstelligen mit den Geldern aus der Hopp-Schatulle. Rangnick gibt das unumwunden zu. "Es hängt einzig und allein von Dietmar Hopps Überlegungen ab. Er ist derjenige, der mit seinen finanziellen Aufwendungen alles möglich macht. Dementsprechend kann auch nur er die Frage beantworten: Wohin und wie schnell soll sich der Verein in den nächsten Jahren entwickeln? Die sportliche Führung kann nur versuchen, seine Vorstellungen umzusetzen."

Ganzheitlicher Ansatz...

Im Moment ist Hoffenheim der Klub mit den wenigsten selbst ausgebildeten Spielern aller 18 Bundesligisten. Nur Ersatzkeeper Thorsten Kirschbaum und Mittelfeldspieler Jonas Strifler sind Produkte der eigenen Jugendarbeit, Rudimente zahlloser Jahre im Amateurbereich.

Den Handlungsbedarf hat der Aufsteiger längst erkannt. Insgesamt sechs Zentren für Jugendarbeit wurden rund um Sinsheim gebaut, aus Hoffenheim drängen immer mehr Jugendspieler in die DFB-Teams.

Zwölf Spieler erhielten eine Einladung, insgesamt fünf weitere standen auf Abruf für die Lehrgänge der U-15 bis U-19. Nicht wenige behaupten, dass ausgerechnet im kleinen Hoffenheim schon in wenigen Jahren das Epizentrum deutscher Nachwuchsförderung liegen wird. Mit einer Ausbildung im ganzheitlichen Ansatz.

...und ein erster Erfolg

"Wir wollen starke Fußballer haben, die sich über den Sport hinaus zu interessanten, reflektierenden, verantwortungsbewussten Persönlichkeiten entwickeln. Wir sind aber erst am Anfang", sagt  Bernhard Peters, Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung.

"Den Jugendspielern soll beigebracht werden, wie man ein zufriedenes, erfolgreiches Leben führt. Wie man Schule, Fußball und Freundin unter einen Hut kriegt. Wir arbeiten an ihrer Ausstrahlung, an der Rhetorik, an ihrer Kommunikationsfähigkeit, an ihrer Selbstdefinition von Zielen und Werten."

Was sehr abstrakt klingt, führte vor wenigen Wochen schon zu einem ersten Erfolg. Hoffenheims U 17 holte den ersten großen Titel der Vereinsgeschichte, die B-Jugend wurde nach einem Finalsieg über Borussia Dortmund Deutscher Meister.

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