Der Mist, auf dem nichts wächst

Von Stefan Moser
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© Getty

München - Gemäß der offiziellen Sprachregelung der Bundesligasaison 2007/2008 erfüllt das Auftreten des Hamburger SV eindeutig den Tatbestand der Majestätsbeleidigung.

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Wer sich dem großen FC Bayern auf mehr als fünf Puntke nähert, dem droht die Verbannung. In Härtefällen sogar bis ans entgegengesetzte Ende der Fußballwelt, also der Tabelle.

Das weiß Bielefeld, das weiß Berlin, das weiß auch Bochum, und sie wissen es aus Erfahrung. Alle drei waren den Münchnern in der laufenden Spielzeit schon mal dicht auf den Fersen, alle drei stürzten danach gewaltig ab.

Hamburg, aktuell Zweiter, ist also gewarnt. Entsprechend grimmig wies HSV-Coach Huub Stevens denn auch die Rolle des Bayern-Jägers von sich. "Bayern wird Meister", sagte der 53-Jährige am Sonntag und setzte damit auch seinen Namen ganz offiziell unter die einhellige Kapitulationserklärung der kompletten Liga.

Realismus vs. Pessimismus

Platz zwei sei "nur eine Momentaufnahme", so Stevens. Das erklärte Hamburger Ziel laute weiterhin "besser als im letzten Jahr", was in Zahlen heißt: Platz 6. "Da muss man Realist sein."

In Wahrheit aber muss man schon ein Pessimist sein, um in der aktuellen Situation weiterhin nur von Platz 6 zu träumen. Oder man fürchtet tatsächlich jenen abergläubischen Mythos von der Majestätsbeleidigung.

Doch bei allem Respekt: Dass Bielefeld und Bochum inzwischen gegen den Abstieg kämpfen, hat nichts damit zu tun, dass sie sich ungebührlich nahe an die Bayern herangewagt hätten. Das untere Drittel der Tabelle entspricht ganz einfach ihrem Leistungsvermögen.

De facto auf Augenhöhe

Der HSV dagegen hat unter Stevens exakt genauso viele Punkte geholt wie der FC Bayern im selben Zeitraum, schaffte in den letzten neun Spielen acht Siege und ein Remis und kompensierte selbst den Ausfall von Rafael van der Vaart scheinbar mühelos. Das direkte Duell gegen München endete am vierten Spieltag leistungsgerecht mit 1:1.

Und trotzdem: Die Rolle als Verfolger Nummer eins bleibt ein peinlich gepflegtes Tabu. Das gilt freilich nicht nur für Hamburg, sondern für alle potentiellen Kandidaten. Bremen war am Samstag leidlich zufrieden mit einem Punkt in Gelsenkirchen, obwohl es eigentlich niemandem nützte außer den Bayern.

Schalke fand das Unentschieden auch ganz lauschig. Genauso übrigens wie wenige Tage zuvor die Niederlage in Chelsea. Die Elf von Mirko Slomka hatte ja auch brav mitgespielt - und brav die Punkte in London gelassen.

Die Angst vor der Blamage

Die selbstzufriedenen Reaktionen im Anschluss zeigen dabei eine Grundstimmung, die für die Bundesliga - jenseits der Bayern - geradezu charakteristisch ist: Die Angst vor dem Versagen ist unendlich viel größer als der Glaube an den Erfolg.

Wer nicht blamabel und auf ganzer Linie scheitert, macht also drei Kreuze, atmet auf - und ist zufrieden. Immerhin hat es jeder ja schon vorher gewusst: Chelsea ist eine Klasse besser, und Bayern wird sowieso Meister.

Wer im Vorfeld keine dicke Lippe riskiert, der erntet hinterher auch weniger Spott. Wer  frühzeitig den Schwanz einzieht, dem tritt auch keiner drauf. Hochmut kommt vor dem Fall, so lautet die sprichwörtliche Blaupause für diese Denkfigur.

Kindliche Alibis

Normalerweise droht man damit kleinen Kindern, doch offenbar funktioniert es auch bei Bundesligatrainern noch ganz gut. Heraus kommt dann Platz 6 und ein notorischer Pessimismus, der Spielern und Verantwortlichen schon prophylaktisch ein Alibi liefert.

Aber: "Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist", weiß der Volksmund schon seit Theodor Heuss.  Denn es erstickt von vorneherein schon jedes Feuer, jede Leidenschaft und alles Visionäre im vorauseilenden Gehorsam gegenüber der vermeintlich übermächtigen Konkurrenz.

Klinsmann als Vorbild

Und dann gewinnt ein mäßig gelauntes Chelsea eben mit 2:0 - schon allein deshalb, weil Drogba und Co. noch immer von Jose Mourinhos unbändiger Sieger-Mentalität zehren.

Dass gesunder "Hochmut" und ein grenzenloser Optimismus in der Tat nicht unbedingt zum "Fall" führen müssen, lebte übrigens auch Jürgen Klinsmann vor. Selbstbewusst glaubte er vor der WM in Deutschland an den Titel. Am Ende wurde er Dritter. Und niemand lachte ihn aus.

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