Fußball-Kolumne - DFB-Neuanfang: Wie es zum Ende des "Systems Koch" kam

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Bei der Neuwahl des DFB-Präsidiums gibt es neben einigen strahlenden Gewinnern auch mehrere Verlierer. Die größte Pleite erlebt dabei nicht der klar gescheiterte Präsidentschaftskandidat Peter Peters, sondern der überraschend abgestrafte Rainer Koch. Die Fußball-Kolumne.

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Rainer Koch verschwand heimlich, still und leise durch einen Seitenausgang des Bonner World Conference Center. Reden über seine größte Niederlage als Sportfunktionär wollte er nicht.

Dafür war Kochs Scheitern das große Thema unter den Delegierten des DFB-Bundestags, denn ausgerechnet der gewiefte Strippenzieher hatte sich zuvor bei seiner Bewerbung um einen Präsidiumsposten um Kopf und Kragen geredet. "Mit diesen Aussagen hat er sich weggebeamt", sagte ein hochrangiger Bundesliga-Manager erstaunt.

Mit einem solchen Ende des "Systems Koch", das Kritiker des seit 15 Jahren amtierenden DFB-Vizepräsidenten angesichts der Verwicklung in nahezu alle Affären der jüngsten Vergangenheit beim krisengeplagten Verband gefordert hatten, war nicht gerechnet worden. Umso größer war die Verwunderung der Anwesenden über den unfassbaren Auftritt.

Bild mit Symbolcharakter: Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf und im Vordergrund der geschlagene Rainer Koch.
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Bild mit Symbolcharakter: Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf und im Vordergrund der geschlagene Rainer Koch.

DFB: Machterhalt von Rainer Koch eigentlich ausgemachte Sache

Denn eigentlich schien der Machterhalt des Präsidenten sowohl des süddeutschen als auch des bayerischen Fußballverbandes, dem mit Abstand mitgliederstärksten im DFB, ausgemachte Sache. Koch sollte zwar Platz machen für seinen Stellvertreter Ronny Zimmermann als erster DFB-Vizepräsident Amateure, aber weiter als "normaler" Vizepräsident eine einflussreiche Rolle spielen.

Als dann relativ deutlich klar wurde, dass Gegenspieler Peter Peters bei der Wahl des DFB-Präsidenten gegen den von den Amateuren vorgeschlagenen Bernd Neuendorf keine Chance haben würde, wollte Koch ganz schlau sein - und verzockte sich komplett. Denn sein Landesverband nominierte die von Peters vorgeschlagene Hessin Silke Sinning als "Botschaft einer demokratischen Wahl" als Gegenkandidatin zum eigenen Chef, weil man fest davon ausging, dass Sinning im Fall einer Peters-Niederlage von sich aus zurückziehen würde.

Tat die Professorin an der Universität Koblenz-Landau aber nicht. "Bis letzte Woche habe ich immer deutlich gesagt, dass ich Team Peters bin und bei einer Niederlage von ihm nicht antrete", gab Sinning nach ihrer überraschenden Wahl zu. "Jetzt gab es aber die besondere Situation, dass Bayern auf mich zugekommen ist und mir viele zudem deutlich gemacht haben, ich solle doch wenigstens antreten. Und da habe ich gedacht, dann bringe ich den Mut auf."

Die Sportwissenschaftlerin hielt zwar eine wenig mitreißende Rede, doch Koch schien den Verzicht auf die Kampfabstimmung als eine Art Majestätsbeleidigung aufzufassen. Der offensichtlich hoch nervöse Favorit sprach Sinning in seiner Replik mehr oder minder die Berechtigung zur Gegenkandidatur ab. Sinngemäß sagte Koch, dass nur er als erklärter Vertreter des mächtigen Südens ein Anrecht auf den Posten im Präsidium habe und Sinning dafür auch nicht geeignet wäre.

Koch rief Skeptiker zum Verzicht auf Wahlrecht auf

"Ich bitte Sie, diesen einstimmigen Vorschlag des Süddeutschen Regionalverbandes und all seiner fünf Landesverbände für mich auch zu unterstützen. Oder dass Sie, wenn Sie es nicht möchten, sich an der Wahl nicht beteiligen", rief Koch seine Skeptiker tatsächlich zur Aufgabe ihres Wahlrechts auf, womit er für erste Aufruhr unter den rund 260 Delegierten sorgte.

Und als er dann behauptete, "keine Worte gegen Silke Sinning" zu sagen, waren sogar ironische Lacher aus dem Auditorium zu hören.

Spätestens jetzt hatte Koch wohl jegliche Unterstützung der Bundesligisten, die ein Drittel der Delegierten stellen, verloren. "Es kam nicht gut rüber, das hat man ja gemerkt. Das war keine tolle Performance, das weiß er im Nachhinein auch", sagte Hans-Joachim Watzke, der zuvor einstimmig als 1. DFB-Vizepräsident für den Profi-Fußball bestätigt worden war. "Das Erstaunliche für mich war, dass die Hälfte der Amateurvertreter das auch so gesehen hat."

Watzke: Entscheid gegen Koch Zeichen von Demokratie im DFB

Denn auch von seinem eigenen Lager hielt offenbar nur der eigene Regionalverband zum langjährigen Oberhaupt. So fiel die Niederlage mit 63 zu 168 Stimmen für Sinning nicht mal ansatzweise knapp aus. Für Watzke ein Zeichen gelebter Demokratie: "Nachdem ich die ganzen Wochen nur gelesen habe, dass das System Koch unangreifbar ist, war das ein klares Zeichen dafür, dass die Delegierten auch eine gewisse Macht haben."

Der BVB-Boss, der erst Mitte Februar zum Aufsichtsvorsitzenden der DFL und damit automatisch zum DFB-Vize gekürt worden war, kann mit dem Großumbau der Verbandsspitze gut leben. "Viel mehr Neuanfang geht ja nicht mehr", sagte Watzke, der nun seine selbst erklärte Mission angehen kann, "den Fußball in Deutschland wieder zum Leuchten zu bringen".

DFB-Präsidialausschuss vollständig neu besetzt

Denn der sechsköpfige Präsidialausschuss, der alle wichtigen Entscheidungen trifft, auch im Bereich der Nationalmannschaften, ist vollständig neu besetzt: Neben Watzke und Geschäftsführerin Donata Hopfen als DFL-Vertreter gehören ihm Präsident Bernd Neuendorf, die nun offiziell ernannte Generalsekretärin Heike Ulrich und Schatzmeister Stephan Grunwald an, alle erstmals gewählt. Hinzu kommt Ronny Zimmermann in neuer Rolle als 1. Vize der Amateure. Der Rechtsanwalt aus Baden kann und muss sich jetzt aus dem Schatten von Koch lösen, seinem bisherigen Vorgesetzten in Süddeutschland.

Ein dringend nötiger Schritt angesichts mehrerer anhängiger Steuerverfahren gegen den DFB, zahlreicher noch immer ungeklärter Affären und der Heim-Europameisterschaft 2024 vor der Tür. Zumal sowohl der abgewählte Koch als auch der nicht mehr angetretene Schatzmeister Stephan Osnabrügge bei ihren Rechenschaftsberichten alles andere als demütig auftraten.

Koch und Osnabrügge attackieren Medien und "Whistleblower"

Vielmehr ergriffen sie die Vorwärtsverteidigung und attackierten Medien und "Whistleblower", die sie für den ramponierten Ruf des DFB verantwortlich machen - nicht aber ihr eigenes Handeln. Dort sei "ein Bild gezeichnet worden, wonach der DFB an seiner Spitze im Dauer-Chaos versinke", sagte Koch: "Ich sage: objektiv ist das allermeiste gut und erfolgreich abgearbeitet worden."

Auch Osnabrügge übte heftige Medienschelte ("Es muss Schluss sein mit einer gegen den DFB und seine Repräsentanten gerichteten Zerstörungswut") und nahm für die öffentlichen Durchstechereien relativ klar erkennbar den ehemaligen DFB-Finanzdirektor Ulrich Bergmoser ins Visier, auch ohne ihn beim Namen zu nennen.

Chancenlos gegen Bernd Neuendorf: Auch Peter Peters ein Verlierer

Es bleibt dahingestellt, ob sich beide mit ihrem Auftreten am Freitag einen Gefallen getan haben. Gleiches gilt für den dritten Verlierer aus der alten Garde: Peter Peters. Die Idee des ehemaligen Schalker Finanzvorstands, sich nach 15 Jahren im DFB-Präsidium und massiven Konflikten mit Koch und Co. als Mann der Erneuerung zu verkaufen, ging jedenfalls grandios daneben.

Der 59-Jährige hielt eine inhaltslose Rede ohne Visionen für die Zukunft des größten Sportverbandes der Welt und sah entsprechend alt aus gegen den späteren Sieger Neuendorf, der seine große Erfahrung und rhetorische Stärke als Politiker und Journalist gewinnbringend einsetzte.

In seiner Heimstadt formulierte er fünf Kernbotschaften und machte Hoffnung auf ein neues Image: "Ich möchte als Präsident alles dafür tun, dass dieser Verband wieder zur Ruhe kommt. Dass wir ein paar Jahren sagen können, der Fußball in Deutschland hat eine gute Entwicklung genommen."

DFB-Wahl: Auch die Frauen die großen Gewinnerinnen

Neben Neuendorf und Watzke waren aber auch die Frauen die großen Gewinnerinnen des Bundestags. Denn wo bis vergangenes Jahr nur eine Frau als eine Art Feigenblatt im männlich dominierten Präsidium zu finden waren, stellen sie nun gleich fünf von 16 Mitgliedern: Neben Hopfen, Sinning und Ulrich wurden zudem Ex-Nationalspielerin Celia Sasic und Sabine Mammitzsch als Vizepräsidentinnen gewählt.

Gute Voraussetzungen also für den dringend benötigten Aufbruch im DFB. Und es ist nicht auszuschließen, dass Koch und Peters noch mehr verlieren werden als diese Wahlen. Denn auch ihre lukrativen und einflussreichen Ämter in der Exekutive von UEFA (Koch) und FIFA (Peters) könnten bald zur Disposition stehen, was Ex-Präsident Reinhard Grindel prompt im Fall seines Intimfeindes Koch öffentlich empfahl.

Fakt ist zumindest, dass der DFB in den beiden wichtigsten internationalen Gremien durch zwei aus dem Präsidium herausgewählte Vertreter nicht optimal besetzt ist. Neuendorf und Watzke wollten darauf in ihren ersten Reaktionen nicht konkret eingehen, schlossen eine solche Entscheidung allerdings auch nicht kategorisch aus. Schließlich wäre ein endgültiges Ende der Langzeitfunktionäre Peters und Koch das sichtbarste Zeichen für einen kompletten Neuanfang.