El Hotzo im Interview: "WM-Verzicht von selbst fünf Millionen Menschen würde nichts ändern"

Von Louis Loeser
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Sie bezeichnen die WM 2002 als Ihr fußballerisches Erweckungserlebnis und verfolgten auch das Sommermärchen 2006 ekstatisch. Heute ist Ihre Beziehung zur Nationalmannschaft abgekühlt und es gibt nicht wenige, denen es genauso geht. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Hotz: Ich hätte es aus Selbstdarstellungsgründen gerne wieder als exklusives Merkmal, dass ich die Nationalelf nicht leiden kann. Ich glaube, bei mir kam das früher, weil ich mich abheben wollte. Das lag auch an einer frühen linken Politisierung und ergab nicht unbedingt Sinn. Dass sich Fans aus anderen Gründen vom DFB-Team abwenden, ergibt sich vor allem aus dem sportlichen Misserfolg und der schrecklichen Kommunikation. Ich glaube nicht, dass "Die Mannschaft" ein riesiger Fehler war. Das ist ein Branding, das jetzt vorgeschoben wird, weil man irgendwem die Schuld am Misserfolg geben muss. Wäre die Nationalmannschaft nach 2016 erfolgreich geblieben, hätte sie heute kein Imageproblem.

Von Greenpeace-Aktivisten in der Allianz-Arena über Regenbogenflaggen auf den Tribünen bis hin zu Goretzkas Herzchen-Torjubel in Richtung der ungarischen Hooligans: Die letzte EM war nicht gerade arm an politischer Symbolkraft. Wieso denken Sie, dass solche Debatten gerade jetzt im Fußball ankommen?

Hotz: Sie hätten viel früher ankommen können und sollen. Wenn wir vom Fußball als Spiegel der Gesellschaft ausgehen, bleibt gar nichts anderes übrig, als sich mit solchen Themen auseinandersetzen. Homo- und Transfeindlichkeit sind in Deutschland nach wie vor fest verankert, sowohl gesetzlich als auch gesellschaftlich, da bildet der Fußball keine Ausnahme. Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, wenn sich Deutschland bei der EM als großer LGBTQ-Verfechter inszeniert und irgendeine Arena mit den Regenbogenflaggen anstrahlt und im selben Sommer im Bundestag das diskriminierende Transsexuellengesetz nicht abgeschafft wird. Symbolpolitik ist ohne entsprechende Taten nutzlos, aber es ist natürlich auch einfach, das aus der Ferne zu kritisieren.

Fußball ist für viele ein Weg, den Problemen des Alltags zu entfliehen. Ist das überhaupt möglich, ohne politische Missstände ein Stück weit auszublenden?

Hotz: Es ist nicht der Job des Fußballs, die Projektionsfläche für Ignoranz zu sein. Ich finde, es ist längst an der Zeit, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen wie die Tatsache, dass es schwule Männer gibt, auch im Fußball ankommen. Vielleicht muss man an dieser Stelle die Union-Berlin-Präsidenten dieser Welt dafür verantwortlich machen, dass es immer noch so ist. Fußball kann das nicht ausblenden und sich daneben stellen, weil er ein integraler Bestandteil von Millionen von Leben ist.

El Hotzo: "Kimmich hat einen großen Schaden angerichtet"

Der Fußball ist politisch wie selten zuvor. Sind das für jemanden, der mit politischer Satire sein Geld verdient, nicht ideale Arbeitsbedingungen?

Hotz: Ich finde, dass man nicht spitzfindig werden sollte, wenn es um ein Massenphänomen wie Fußball geht. Letztlich spielen in der Bundesliga oder auch bei internationalen Turnieren mittelständische Unternehmen gegeneinander. Dass die nicht zu den progressivsten Vereinigungen der Welt zählen, ist klar. Es lädt natürlich zu Pointen ein, aber man sollte mit dem einzelnen Fan nicht zu hart ins Gericht gehen, wenn er eine Sache unterstützt, die moralisch nicht einwandfrei ist.

Machen sich auf Ihren Social-Media-Kanälen deshalb auch so selten über Fußball lustig?

Hotz: Ich habe da schon lautere Töne angeschlagen und dafür zurecht Kritik kassiert, weil dieser Comedy-Generalverdacht, dass alle Fußballfans besoffene Macker-Arschlöcher seien, Blödsinn ist. Man sollte bei einer Volkssportart wie dem Fußball ein bisschen die Schnauze halten, auch weil Fußball-Comedy in Deutschland ein sehr breit besetztes Feld ist. Da ist schon jeder Gag gemacht worden, bevor ich ihn machen könnte.

Goretza lobten Sie vorhin. Seinen Kollegen Joshua Kimmich, mit dem er die Kampagne "We kick Corona" initiiert hat, bezeichneten Sie hingegen in der Diskussion um seinen Impfstatus als "Fußball-Wendler".

Hotz: Ich finde es bei Kimmich wie auch bei Novak Djokovic bewundernswert, dass man wegen so einer eigenartigen Überzeugung seine Karriere aufs Spiel setzt. Bei beiden wird es keinen langfristigen Schaden anrichten, aber Michael Wendler hat sich seine gesamte vielversprechende Karriere im deutschen Privatfernsehen zerstört. Ein seltsamer Kreis an Menschen, vielleicht gibt es dafür mal ein Reality-Format.

Auf Kimmich lastete ein enormer öffentlicher Druck und nach seiner Corona-Infektion reagierten einige mit Schadenfreude. Wieso hielten Sie die Häme für gerechtfertigt?

Hotz: Wir alle gehen seit zwei Jahren durch eine wirklich beschissene Zeit und die Impfung ist das beste Schutzmittel gegen eine Infektion. Wahrscheinlich ist es völlig egal, ob Kimmich geimpft ist oder nicht. Was mir so sauer aufstieß, war, dass Kimmich die größtmögliche Plattform im deutschen Fernsehen genutzt hat, um seine komplett unreflektierte und wissenschaftlich unbegründete Meinung zur Impfung auszuposaunen. Für die Behauptung, es gäbe keine Langzeitstudien, gibt es schlichtweg keine wissenschaftliche Grundlage. Damit hat Kimmich Wind in die Segel der Querdenker gegeben und einen großen Schaden angerichtet, der im krassen Gegensatz zu seinem vorherigen Engagement mit "We kick Corona" steht. Dass er sich dann infiziert und gemerkt hat, dass Corona keine einfache Erkältung ist, ist auf den ersten Blick witzig, da es die direkte Konsequenz seines eigenen Handelns ist. Ich denke nicht, dass Schadenfreude da grundsätzlich unangebracht ist.