Ex-U17-Nationalspieler Jan Engels im Interview: "Er hat doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein"

Von Louis Loeser
Engels lief unter anderem für die TuS Koblenz auf.
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Denken Sie heute noch manchmal darüber nach, wie Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn die Verletzung nicht gewesen wäre?

Engels: Leider ja. Wenn mich Leute darauf ansprechen, versuche ich mittlerweile mit Humor damit umzugehen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Einerseits mache mich gerne ein wenig darüber lustig und rede mir ein, dass ich heute sonst nicht dort wäre, wo ich jetzt bin, andererseits tut es immer noch weh - besonders Spieler zu beobachten, wie sie im Profibereich Fuß fassen. Es ist für mich nicht so leicht, Bundesliga-Spiele anzusehen.

Welche Personen haben Ihnen in der Zeit nach der Verletzung besonders geholfen?

Engels: Ich habe meine Familie ich in dieser Zeit etwas abgeblockt, weil ich einfach sehr traurig war und mich allein gefühlt habe. Mein gesamtes Selbstwertgefühl basierte auf Fußball. Nach der Verletzung habe ich mich auf einmal wertlos gefühlt - alles machte für mich keinen Sinn mehr. Ich war plötzlich wieder ein ganz normaler Junge - und genau das wollte ich nie sein. Meine Reha dauerte dann fast zwei Jahre, weil ich immer wieder kleinere Verletzungen erlitt und nie wirklich in den Rhythmus kam. Auch das Jahr in der U19 war nicht besonders gut. Man entwickelt sich in der Jugend vor allem durch Spiele weiter und diese zwei wichtigen Jahre fehlten mir. Meine Technik oder auch meine Vororientierung waren einfach nicht mehr so gut wie vor der Verletzung. Zusätzlich liefen auch intern beim KSC ein paar Dinge ab, bei denen ich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war. Danach war ich erstmal in einem Loch. Es gab in der U19 zwar auch zwei oder drei Spiele, nach denen ich dachte, es geht ja doch, aber mental war ich nicht mehr auf der Höhe.

Wie gingen Sie mit dieser Situation um?

Engels: Ich habe mit einem Psychologen zusammengearbeitet, um mein Selbstvertrauen wiederzuerlangen, was mir damals oft als Schwäche ausgelegt wurde. Ich glaube, dass man psychologische Beratung in Nachwuchsleistungszentren in Zukunft stärker implementieren sollte. Als Leistungssportler ist es nicht einfach, mit diesem Druck umzugehen - besonders nach Verletzungen. Auch in der Schule ging gar nichts mehr. Wenn es im Fußball nicht lief, war das Leben für mich schlecht und wenn das Leben schlecht war, lief es auch in der Schule nicht mehr. Das war eine Kettenreaktion. Mir wurde aber schnell klar, dass ich mein Abitur machen sollte und danach noch ein Jahr versuchen kann, Fußball zu spielen.

In der U19 des KSC bekamen Sie jedoch nicht mehr viel Spielzeit.

Engels: Deshalb ging ich wieder in die Regionalliga Südwest nach Koblenz, was natürlich erstmal ein Schritt zurück war. Als 19-Jähriger in der Regionalliga zu spielen, hörte sich dennoch zunächst gut an, doch nachdem ich schon wieder ein wenig Fuß gefasst hatte, zog ich mir eine Schambeinentzündung zu. Nach der Verletzung war nichts mehr wie zuvor. Mein Körper wollte einfach nicht. Die Schambeinverletzung setzte mich insgesamt 15 Monate außer Gefecht. Ich machte damals mein Sabbatjahr nach dem Abi, in dem ich immer noch auf den Traum fokussiert war, Profi zu werden. Meine Eltern wollten, dass ich danach anfange zu studieren, wenn es in diesem Jahr nicht funktionieren sollte.

"Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben"

Dann kam Tony Mamodaly ins Spiel, der als junger Spieler in Hoffenheim, Karlsruhe und Dresden eine ähnliche Geschichte wie Sie erlebt hatte und heute eine Agentur führt, die europäische Talente in die USA vermittelt.

Engels: Tony hatte von meiner Geschichte gehört und rief mich an. Er erzählte mir, dass er eine ähnliche Story wie ich hinter sich hatte. Auch er hatte das klare Ziel Profi zu werden, lief sogar im Handball und im Fußball für die Nationalelf auf, doch auch seine Karriere nahm einen unverhofft negativen Verlauf. Am Anfang fragte ich mich, was er von mir will. Durch Spielerberater wird man oft geblendet und ich redete mir ein, Tony wäre genauso. Doch dann fragte er mich, ob wir uns treffen könnten. Er erzählte mir seine Geschichte und ich habe mich sofort darin wiedergefunden. Das gab mir auch einiges an Selbstvertrauen zurück - damals telefonierten wir fast täglich.

Was entwickelte sich aus diesem Austausch?

Engels: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon entschieden, dass ich studieren wollte, was mit den Trainingszeiten in der Regionalliga allerdings kaum zu vereinbaren ist. Dann kam Tony und sagte mir, dass all meine Rückschläge nicht umsonst gewesen sein könnten und ich mich und meine Träume nicht aufgeben solle. Er erzählte mir von der Möglichkeit, in den USA am College Fußball auf hohem Niveau und Studium verknüpfen zu können. Du kannst dort täglich professionell trainieren, gehst drei- bis fünfmal die Woche in den Kraftraum und fliegst zu deinen Auswärtsspielen. Mein Englisch war zwar sehr schlecht, aber ich habe gesagt: "Ich will einfach nur weg." Ich wollte nicht zwingend in die USA, aber das war für mich der einzige Weg raus aus dem meinem damaligen Leben und die Chance, noch etwas aus meinem Talent zu machen.

Über Mamodalys Agentur Mind Game Sport kamen Sie an ein Angebot über ein Vollstipendium der Louisville Cardinals, doch es stellte sich heraus, dass Sie in der College-Liga NCAA nicht spielberechtigt waren. Was war das Problem?

Engels: Etwa zwei Wochen bevor ich nach Louisville gehen sollte, wurde mir mitgeteilt, dass ich keine Spielgenehmigung habe, da meine Länderspiele als Profi-Einsätze gewertet wurden. Ich dachte, es würde ein neues Leben anfangen, doch meine Verletzung verfolgte mich und ich traf auf das nächste Hindernis. Ich ging auf eine Partnerschule in Kentucky, deren Team in der NAIA spielte, und sollte nach einem Jahr nach Louisville wechseln. Doch dann ging der Trainer, mit dem die Abmachung getroffen wurde und unsere mündliche Absprache war nichtig. Der neue Trainer meinte, er wolle keinen Spieler aufnehmen, der aus einem schlechteren Verband kommt. Dabei war ich nur in die NAIA gewechselt, um anschließend in Louisville spielen zu können. Es waren noch zwei Wochen, bevor die Vorbereitung starten sollte, und ich hatte plötzlich keine Uni mehr. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits so gut wie alle Teams ihre Kader voll und ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Glücklicherweise hat Tony mich aus dieser Situation rausgeholt und mich an das renommierte Programm der University of Texas vermittelt.

Was waren in den USA die größten Herausforderungen?

Engels: Seit ich 14 war, bin ich von zuhause weg gewesen. Ich habe kein Heimweh und mir fällt es leicht, Leute kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen. Ich brauchte aber Zeit, um mich einzuleben. Gleichzeitig habe ich mir auch selbst mentalen Druck aufgebaut, weil ich mir den MLS-Draft als neues Ziel in den Kopf gesetzt hatte. Mittlerweile habe ich mich davon frei gemacht. Klar wäre es super, den Sprung in die MLS zu schaffen, aber mir ist bewusst, dass das schon alleine aufgrund der International Roster Regulations in der Liga schwer wird. Daher nutze ich die aktuelle Phase, um mich intensiv auf einen Wechsel zurück nach Europa vorzubereiten. Das ist zwar ein ungewöhnlicher Weg, aber ich möchte mir beweisen, dass es gehen kann. Und selbst wenn es im Anschluss nichts mehr mit einer Profikarriere wird, bin ich trotzdem glücklich. Denn dann hat mir der Fußball eben die Tür zu einem Master-Abschluss, fünf Jahren Auslandserfahrung, perfekten Englischkenntnissen und einem globalen Netzwerk eröffnet. So denke ich momentan von Schritt zu Schritt. Und seit ich mir nur noch kleine Ziele setze und aus dieser Haltung der Dankbarkeit agiere, läuft alles wie geschmiert. Im Sommer werde ich auch bei den Rio Grande Valley Toros mittrainieren - einem Profi-Klub aus der 2. US-amerikanischen Liga.

Trotz des harten Einschnitts sind Sie dem Fußball immer treu geblieben. Hatten Sie auch einmal darüber nachgedacht, dem Fußball gänzlich den Rücken zu kehren?

Engels: Tatsächlich noch nie. Wenn ich mir einrede, ich hätte keine Lust mehr auf Fußball, dauert es vielleicht zwei Tage und schon kribbeln die Füße wieder. Ich wurde im Nachwuchsleistungszentrum großgezogen und der Fußball wird immer ein Teil von mir bleiben.

Wenn Sie auf Ihren bisherigen Weg zurückblicken: Was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?

Engels: Könnte ich noch einmal entscheiden, wäre ich damals zu Borussia Dortmund oder einem anderen größeren Klub gewechselt, denn am Ende zählt immer der Lebenslauf. In meinem Jahrgang spielten damals beim BVB Christian Pulisic, Felix Passlack und Dzenis Burnic. Das Team hat drei Deutsche Meisterschaften geholt und im Nachhinein wäre ich gerne ein Teil davon gewesen.