Ex-U17-Nationalspieler Jan Engels im Interview: "Er hat doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein"

Von Louis Loeser
Engels lief unter anderem für die TuS Koblenz auf.
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Nach der misslungenen OP mussten Sie das Laufen neu erlernen. Stand in dieser Zeit auch ein vorzeitiges Karriereende im Raum?

Engels: Einige Ärzte haben damals davon gesprochen, aber das waren keine Sportärzte, weshalb ich erstmal relativ ruhig blieb. Meine Gedanken drehten sich wirklich wie besessen um die Weltmeisterschaft, auf die ich, seit ich 14 war, hingearbeitet hatte. Bei meinem früheren Verein TuS Koblenz hatte mich mein Trainer noch ausgelacht, als ich sagte, ich wolle eines Tages U16-Nationalspieler werden. Ich habe es dann weit gebracht, aber leider nur bis zu diesem Punkt.

Bereits als 14-Jähriger hatten Sie so ein konkretes Ziel im Kopf?

Engels: Als Leistungssportler musst du dir hohe Ziele setzen und felsenfest an dich und deine Fähigkeiten glauben. Die Leistungsdichte im Fußball ist enorm. Wie sollen andere an dich glauben, wenn du selbst nicht an dich glaubst? Ich bin mit 15 zuhause ausgezogen, um mein großes Ziel zu erreichen, an der WM teilzunehmen und Profi zu werden. Um solche Opfer zu bringen, musst du schon ein wenig verrückt und besessen von deinem Ziel zu sein.

In dieser Zeit spielten Sie noch bei TuS Koblenz, bevor Sie als 16-Jähriger in die Jugend des Karlsruher SC wechselten.

Engels: Ich wurde bereits als U16-Spieler in die Nationalmannschaft berufen. Von der TuS Koblenz zu kommen und plötzlich mit Georgios Spanoudakis vom FC Barcelona zusammenzuspielen oder mit Felix Passlack vom BVB das Zimmer zu teilen, war schon ein komisches Gefühl. In diesem Jahr habe ich gemerkt, dass es richtig losgeht.

Sie bestritten für die U16- und die U17-Nationalmannschaft insgesamt neun Länderspiele, spielten unter anderem mit Niklas Dorsch, Ridle Baku oder auch Aymen Barkok zusammen. Wem haben Sie damals eine Profikarriere zugetraut?

Engels: Das ist schwer zu sagen. Ich bin zwar sehr zielstrebig, zugleich aber auch bodenständig und realistisch genug gewesen, um zu wissen, dass man als U17-Nationalspieler nicht automatisch Profi wird, aber ich habe bereits gemerkt, dass der 98er-Jahrgang ziemlich gut war. Bei Salih Özcan hat man beispielsweise schon damals den Biss gesehen. Mit solchen Spielern zusammenzuspielen, die das gleiche Ziel verfolgen und dafür alles geben, hat mich sehr inspiriert.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Zeit in der U16 und U17?

Engels: Zum Ende meiner Zeit in Koblenz hatte ich von fast allen Bundesliga-Mannschaften Angebote vorliegen. Hannes Wolf, der zuletzt Leverkusen trainierte und den ich immer noch sehr schätze, wollte mich nach Dortmund holen. Ich entschied mich aber für Karlsruhe, weil die Durchlässigkeit zu den Profis dort deutlich höher war. Außerdem überzeugte mich Tim Walter, der ein Wahnsinnstrainer ist und später leider zu Bayern München wechselte, als ich in die U19 kam. In der U17 spielten wir unter Lukas Kwasniok um die Deutsche Meisterschaft und Walter zog mich sogar für ein Spiel gegen den FC Bayern in die U19 hoch. Zu dieser Zeit habe ich mich super gefühlt und habe wirklich gute Spiele abgeliefert. Besonders nach meinem U17-Jahr, in dem es auch in der Nationalelf super lief, hatte ich ein gutes Gefühl, Fußballprofi werden zu können.

Engels hat einen Neuanfang in den USA gewagt.
© Jan Engels
Engels hat einen Neuanfang in den USA gewagt.

Engels: "Habe einen großen Respekt vor Marco Reus"

Dann kam die Verletzung sowie die misslungene OP und sie mussten eine langwierige Reha absolvieren.

Engels: Es lief sehr schleppend und ich habe schnell meine Muskeln verloren. Ich durfte aber schon früh wieder auf Krücken gehen, da im fälschlicherweise operierten Bein nur der Knochen von den Schrauben und Platten betroffen war. Trotzdem war es nicht leicht und vor allem eine Kopfsache. Ich dachte damals, ich mache jetzt meine Reha und danach bin ich wieder auf dem Platz, aber so läuft das leider nicht. Deshalb habe ich auch einen großen Respekt vor Marco Reus, der immer und immer wieder zurückkommt. Psychisch ist das ein riesiger Aufwand. Gleichzeitig siehst du deine Jungs auf dem Trainingsplatz und verfolgst deine Kollegen von der Nationalelf. Salih Özcan unterschrieb damals seinen ersten Profivertrag in Köln und Felix Passlack unter Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund. Das war für mich keine leichte Situation.

Zudem mussten Sie der U17 zusehen, wie sie in Bulgarien Vize-Europameister wurde und in Chile bei der Weltmeisterschaft antrat.

Engels: Die Jungs spielten damals eine hervorragende Europameisterschaft und verloren erst im Finale mit 1:4 gegen Frankreich. Auch die Spanier, gegen die wir zuvor nicht viel Land gesehen hatten, bezwang das Team im Viertelfinale im Elfmeterschießen. Bei der WM schlugen sie sich ebenfalls gut und schieden im Achtelfinale gegen Kroatien aus. All das von zuhause verfolgen zu müssen mit dem Wissen, dass man eine Chance gehabt hätte, dabei zu sein, war sehr hart. Ich habe mir deshalb auch nicht alle Spiele angesehen.

Wie hat Sie Ihre Verletzung als Mensch verändert?

Engels: Ich würde es so beschreiben, dass ich innerhalb von drei Monaten eine Persönlichkeitsentwicklung durchgemacht habe, die normalerweise fünf Jahre dauert. Mein Traum hat sich sofort verändert. Ich wusste zwar, dass ich es noch kann, aber mein Ziel ist immer weiter in die Ferne gerückt. Die Chance, es aus der Jugend eines Bundesliga-Klubs in den Profikader zu schaffen, liegt vielleicht bei ein bis drei Prozent. Mir war bewusst, dass man dazu auch Glück benötigt.

Wie lange haben Sie gebraucht, das Vertrauen in Ihren Körper zurückzugewinnen?

Engels: Das dauerte bis zum aktuellen Jahr. Im vergangenen Januar habe ich zum ersten Mal meinem Körper wieder vollständig vertraut. Ich hatte immer wieder Verletzungen und konnte nie viele Spiele ohne Unterbrechung bestreiten. Mein Trainer in den USA sagte mir vor dieser Saison: "Jan, du kannst machen, was du möchtest. Werde einfach fit und versuche, zehn Spiele am Stück zu spielen." Bis dahin schaffte ich höchstens fünf Spiele, weil mein Körper einfach nicht mehr konnte. Jetzt bin ich zum ersten Mal wieder seit einem halben Jahr verletzungsfrei. Ich fühle mich super und merke, dass ich plötzlich wieder besser werde. Dadurch fällt immer mehr der Druck ab, den ich mir selbst gemacht habe. Ich kann mich wieder entwickeln und mein Körper lässt es zu.