Benjamin Köhler im Interview über den Kampf gegen den Krebs: "Ich rief jeden Tag im Krankenhaus an und nervte die Leute"

Benjamin Köhler spielte lange Jahre für Eintracht Frankfurt und Union Berlin.
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Ab wann merkten Sie, dass Sie körperlich abbauen?

Köhler: Das hat bis zur vierten, fünften Chemo gedauert. Ich war dann schon beim leichten Treppensteigen total fertig, das war unglaublich. Ich hatte auch extrem abgenommen. Meine Bauchmuskeln verschwanden komplett, die Augenbrauen und der Bart fielen aus, das Gesicht war eingefallen. Das war schon nicht so schön anzusehen. Ich habe mir oft die Mütze ins Gesicht gezogen.

Sind in dieser Zeit Gedanken an den Tod aufgekommen?

Köhler: Nein. Ich habe mir ohnehin mehr Gedanken über meine engen Mitmenschen gemacht als darüber, ob ich tatsächlich sterben könnte. Ich war mir selbst nicht mehr so wichtig. Nach meiner Genesung hatte ich ein gutes Jahr lang damit zu kämpfen, nicht darüber nachzudenken, ob wirklich wieder alles okay ist oder die Krankheit wiederkommen würde. Immer, wenn ich zum Beispiel Popcorn gegessen habe, hatte ich Bauchschmerzen. Seitdem esse ich kein Popcorn mehr. (lacht)

Drei Wochen nach Ende der letzten Chemotherapie fuhren Sie mit Union ins Trainingslager nach Österreich, um die Nähe zur Mannschaft beizubehalten. Am 23. Juli 2015 gab Union dann bekannt, dass Sie genesen seien. Wie erinnern Sie sich an diese allerletzte Untersuchung, nach der der Daumen nach oben ging?

Köhler: Nach der letzten Chemo war erst einmal wieder Warten angesagt, sechs Wochen lang. Dann folgte die letzte Computertomographie. Anschließend sollte feststehen, ob ich wieder gesund bin. Ich rief dann jeden Tag im Krankenhaus an und habe die Leute genervt. Eines frühen Morgens hatte ich es noch nicht wieder versucht, als plötzlich mein Handy klingelte und der Arzt dran war. Ich weiß es noch genau: 'Wir können Ihnen eine erfreuliche Nachricht machen. Ihre Lymphdrüsen sind wieder klein und Ihre Krebszellen nicht mehr aktiv. Sie sind geheilt.'

Wie haben Sie reagiert?

Köhler: Äußerlich offenbar ziemlich emotionslos. Meine Frau stand neben mir, als ich am Telefon war und hat mich ungeduldig angeschaut. Aus meinem Gesicht konnte sie nichts ablesen. 'Ich bin wieder gesund', sagte ich und legte auf. (lacht) Sie können sich nicht vorstellen, welch riesige Freude das war. Andererseits empfand ich es auch als ziemlich surreal, denn ich habe mich nach dieser Odyssee schon gefragt, ob das jetzt wirklich wahr ist. Ich musste diese Nachricht erst einmal ein paar Tage lang verarbeiten.

Benjamin Köhler in der Zeit während seiner Chemotherapien.
© imago images
Benjamin Köhler in der Zeit während seiner Chemotherapien.

Im August 2015 haben Sie das Lauftraining wieder aufgenommen, nachdem Sie sich zuvor die Zustimmung und den Aufbauplan bei einem Heidelberger Sportmediziner abholten. Im November waren Sie zurück im Mannschaftstraining. Wie waren Ihre ersten fußballerischen Eindrücke?

Köhler: Ganz verlernt hatte ich es nicht. Ich musste zwischenzeitlich auch gebremst werden, weil ich viel früher wieder anfangen und auch schnell mehr wollte. Gerade koordinative Dinge oder das Timing musste ich mir wieder antrainieren. Anfangs war es schwer, diese automatische Sicherheit wieder zu erlangen, wie ich nach einer Flanke zum Ball gehe. Laufen zu gehen war das eine, aber die Belastung auf dem Platz etwas ganz anderes. Es war schon ziemlich anstrengend.

Es dauerte bis zum 18. März 2016, ehe Sie in der 77. Minute eingewechselt im Heimspiel gegen Braunschweig Ihr Pflichtspiel-Comeback gaben und später von Ihren Mitspieler vor den Fans in die Luft geworfen wurden. Wie fühlte sich dieser Tag an?

Köhler: Auch diese 13 Minuten waren sehr kraftraubend, das hätte ich so nicht gedacht. (lacht) Ich empfand aber natürlich die pure Euphorie, denn ich war zurückgekehrt und hatte mein Ziel tatsächlich wahrgemacht. Ich wusste, dass ich das hinkriege. Da habe ich einfach meinen eigenen Kopf und glaube auch, meinen Körper am besten einschätzen zu können. Wenn ich sage, ich schaffe das, dann schaffe ich das auch!

Kurz darauf durften Sie noch 15 Minuten auswärts gegen St. Pauli ran. Anschließend absolvierten Sie, nachdem im April 2016 Ihr Vertrag um ein Jahr verlängert wurde, aufgrund anhaltender Knieprobleme kein Spiel mehr. Im Sommer 2017 beendeten Sie Ihre Karriere.

Köhler: Ich hatte immer wieder mit dem Meniskus zu kämpfen, das Stechen darin kam und ging. Irgendwann wollte ich es einfach nicht mehr darauf ankommen lassen. Ich hatte mein großes Ziel erreicht und 30 Jahre lang Fußball gespielt. Da musste ich mich nicht mehr ein weiteres Mal quälen. Ich wusste schon während der Krankheit, dass es anschließend eh nicht mehr besonders lange gehen würde.

Ein Jahr nach Ihrer Genesung und vor dem Karriereende hatten Sie noch einmal einen Rückschlag, der sich am Ende glücklicherweise als harmlos erwies. Was war da geschehen?

Köhler: Wir waren mit unseren beiden Familien im Heimatdorf meiner Frau in Italien im Urlaub. In der Nacht auf meinen Geburtstag am 4. August bekam ich zunächst leichte Rückenschmerzen und wurde wach. Kurz darauf zogen sich die Schmerzen immer weiter nach vorne und es entwickelten sich auf einmal wieder zwei Stunden lang ganz extreme Bauchschmerzen. Ich krümmte mich erneut auf dem Boden, vor allen anderen lag ich auf der Terrasse herum. Als ich auf die Toilette musste, pinkelte ich sogar Blut. Das hat mich schockiert und ich dachte: Oh mein Gott, bitte nicht wieder alles von vorne! Dann kam mitten in der Nacht der Krankenwagen und ich erhielt erst einmal eine Ladung Schmerzmittel. Als ich im Krankenhaus untersucht wurde, lachte der Arzt plötzlich auf und sagte etwas, das ich natürlich nicht verstand. Die Übersetzung lautete: Das sei bloß ein Nierenstein und wäre nach einer Chemotherapie völlig normal. Ich scheine ihn auch herausgepinkelt zu haben, denn seitdem ist Ruhe.

Bevor Sie das Eiscafe eröffneten, haben Sie zwei Jahre lang Ihre Freizeit genossen. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Köhler: Alles Mögliche: Ich war oft im Urlaub, habe Freunde getroffen, war gut Essen, habe auch mal eine Shisha geraucht. Ich genoss das Gefühl, nicht mehr so angreifbar zu sein wie als Profi. Jetzt kann ich auch mal in die Bar eines Kumpels gehen und mir einen reinkippen, das interessiert nun keinen mehr. (lacht)

Benjamin Köhler am 18. März 2016 nach seinem umjubelten Comeback gegen Braunschweig.
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Benjamin Köhler am 18. März 2016 nach seinem umjubelten Comeback gegen Braunschweig.

Wie geht es Ihnen heute?

Köhler: Sehr gut, ich kann absolut nicht klagen. Mittlerweile muss ich nur noch einmal im Jahr zur Kontrolluntersuchung. Je länger es her ist - und es sind schon sechs Jahre -, desto größer sind die Chancen, dass der Krebs nicht mehr zurückkommt. Ich mache mir darüber keine Gedanken mehr.

Wie wird nun Ihre Zukunft aussehen, gibt es schon neue Pläne?

Köhler: Ich mache gerade meinen Trainerschein und will das auf jeden Fall bis zur DFB-Elite-Jugend-Lizenz durchziehen. Das kann bestimmt nicht schaden, vielleicht ergibt sich ja einmal irgendetwas. Cheftrainer zu sein ist wohl nicht mein Ding, aber die Arbeit als Co-Trainer kann ich mir schon vorstellen. Zudem werde ich ein Buch über mich schreiben lassen, wir suchen derzeit noch nach einem Verlag. Das soll nicht nur eine Biografie, sondern nach meinen Erfahrungen mit der Krankheit und dem Umgang damit eine Art Motivationshilfe für Menschen werden, die ein ähnliches Schicksal haben oder andere Schwierigkeiten im Leben meistern müssen.