Ex-Nationalspieler Timo Hildebrand im Interview: "Es gab Spiele, da stand ich wie auf Autopilot auf dem Feld"

Von Denis Kaya
Im Interview redete Timo Hildebrand über seine erfolgreiche Karriere, die Zeit unter Felix Magath und sein Leben außerhalb des Profi-Business.
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Im Juli 2007, direkt nach der Meisterschaft, wechselten Sie zum FC Valencia. Warum?

Hildebrand: Ich wollte den nächsten Schritt machen, aber es war einfach der falsche Verein zum falschen Zeitpunkt. Wir hatten drei, vier Trainer, plötzlich waren der Sportdirektor und der Präsident weg, die Situation war ähnlich wie auf Schalke jetzt. Wir sind in ein richtig schlechtes Fahrwasser geraten und dazu kam noch, dass der damalige Torwart Santiago Canizares überraschend seinen Vertrag verlängert hat und mir im Weg stand.

Wie würden Sie die damalige Zeit beschreiben?

Hildebrand: Das war keine einfache und keine schöne Zeit. Es gab schon Spiele, in denen ich wie auf Autopilot auf dem Feld stand und hinterher gar nicht mehr wusste, wie ich die Bälle gehalten habe. Das sind extreme Phasen, aber dir bleibt nichts anderes übrig, als zu spielen. Außer, du hast einen verständnisvollen Trainer oder ein Team, das dir erlaubt, eine Auszeit zu nehmen. Aber in der Regel musst du liefern. Das ist in der Ellenbogengesellschaft Fußball leider so. Bei Männern untereinander ist es immer irgendwie schwierig, Schwäche zu zeigen und ich glaube, dass das damals im Fußball nicht dazu gehört hat.

Sie beendeten die Saison damals als Zehnter und standen in der Liga 26-mal im Tor.

Hildebrand: 2008 kam Unay Emery nach Valencia und die EM stand an, vor der ich überraschend aussortiert wurde. Das hat mich brutal heruntergezogen und ich habe lange dran geknabbert. Ich habe in Valencia nicht gut performt, weil ich down war. Mit dem neuen Trainer kam ein neuer Torhüter (Renan, die Redaktion), der war eine Woche da und wurde vom Trainier direkt eingesetzt. Vor dem ersten Saisonspiel wurde mir gesagt, dass ich nicht spiele. Und dann bin ich zum ersten Spiel einfach nicht gekommen, bin nicht einmal ins Stadion. Aber nicht, weil ich etwas Böses wollte, sondern weil ich einfach fertig war.

Von 2007 bis 2009 stand Hildebrand 39-mal für den FC Valencia im Tor.
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Von 2007 bis 2009 stand Hildebrand 39-mal für den FC Valencia im Tor.

Timo Hildebrand: "Das nächste halbe Jahr ist Eierschaukeln"

Welchen Anteil hatte Unai Emery daran?

Hildebrand: Emery ist ein guter Trainer, hat er im Nachhinein ja dann auch gezeigt, für ihn ist der Teamgedanke extrem wichtig. Meine Aktion damals hat mein Ende in der Mannschaft des FC Valencia besiegelt. Ich versuchte, kurz vor knapp noch zu wechseln. Der Wechsel nach Hoffenheim funktionierte nicht, ich konnte erst im Winter dorthin. Also war klar: das nächste halbe Jahr ist Eierschaukeln (lacht). Obwohl man in der Sonne und am Strand lebt, ein gutes Leben hat, viel Geld verdient - wenn du nicht gebraucht wirst oder keine Aufgabe hast, ist das nie gut.

In Hoffenheim blieben Sie auch nur eineinhalb Jahre.

Hildebrand: Die Jahre nach Valencia waren der absolute Tiefpunkt, da war ich auch mal arbeitslos und stand ohne Verein da. Hoffenheim war noch okay, aber ich hatte den Stempel "schwieriger Typ". Dann bin ich kurz vor knapp noch nach Lissabon, ohne Aufgabe und Chance. Da war ich auch wieder froh, weg zu sein. Es folgte eine Zeit der Ungewissheit, ohne Angebote, ohne Verein. Ich bin bei Pforzheim auf den Platz gegangen und habe trainiert. Da gab es auch Tage, an denen ich dachte: Das war's. Du warst Meister und bist ein paar Jahre später ohne Verein, wie konnte das schief laufen? Man fragt sich, was man falsch gemacht hat.

Was haben Sie sich in dieser Zeit für ihr heutiges Leben mitgenommen?

Hildebrand: Für mich war es wichtig, Demut zu lernen. Als junger Mensch verdienst du viel Geld, dir fliegt viel zu, du schottest dich ab und wirst arrogant, nachher stehst du ohne Verein da. Daraus lernt man extrem viel für das Leben. Ich bin auf den Platz gegangen, der Akku war leer, ich war mental am Boden und hatte keinen Bock zu trainieren. Letztendlich habe ich dann auf Schalke nochmal ein neues zu Hause gefunden, aber auch da war es nicht von Anfang an okay. Ich habe bei den Amateuren gespielt, bei den Profis trainiert, dann war ich mal Nummer zwei und Nummer eins, war wieder im zweiten Glied und habe mich verletzt - aber letztendlich war es meine zweitlängste Zeit.

Wie würden Sie Ihre Karriere im Nachhinein beschreiben?

Hildebrand: Im Großen und Ganzen ist meine Karriere glaube ich gut verlaufen, aber es waren auch brutale Tiefpunkte dabei. Ich habe eine Meisterschaft erlebt, habe oft international gespielt. Diese ganze Bandbreite habe ich letztendlich als Spieler und als Mensch mitgenommen - und das ist brutal wertvoll für das Leben danach.

Hildebrand: "Will auch in 15 Jahren noch Blödsinn machen"

Mittlerweile haben Sie Yoga für sich entdeckt. Was gibt Ihnen das im Vergleich zum Fußball?

Hildebrand: Das Thema Yoga ist das genaue Gegenteil. Es gibt keine Ellenbogen, alle akzeptieren, wie du bist. In dem Thema fühle ich mich wohl, du kannst so sein wie du bist, auch mit Schwächen - was im Fußball ja auch nie stattfindet. Du musst immer irgendwie stark sein, in dieser typischen Männerwelt Fußball habe ich mich sowieso nicht immer wohlgefühlt. Ich habe auch das Leben genossen, habe mir mal einen Maserati geleast oder bin Business-Klasse irgendwo hingeflogen, aber das ist nicht meine Welt. Ich verachte das nicht, aber es gibt Dinge auf der Welt, die wichtiger sind als ein dickes Auto zu fahren.

Seit wann machen Sie Yoga?

Hildebrand: Yoga kam erst nach meiner Karriere in mein Leben, weil ich mich in meinem Körper nach einer OP nicht mehr richtig wohl gefühlt habe. Yoga hilft einem, sich wieder gut zu fühlen. Ich mache es auch, weil ich in Zukunft beweglich bleiben will, allein schon wegen meines Sohnes. Ich will auch in 10 bis 15 Jahren noch Blödsinn mit meinem Sohn machen können - und nicht mit dem Rollator unterwegs sein müssen oder mit meiner Hüfte Probleme bekommen.

Beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn.

Hildebrand: Mein Sohn ist der wichtigste Mensch. Es berührt mich immer wieder, auch, weil ich oft an meinen eigenen Vater denken muss, mit dem ich diese Verbindung nicht hatte. Das ist extrem wichtig und ich will jemand anderes für meinen Sohn sein. Man wünscht sich als Sohn eine Vaterfigur, bei der man Halt findet. Und für mich ist es wichtig, diese Figur für meinen Sohn zu sein.

Neben Ihrer Leidenschaft für Yoga ernähren Sie sich auch vegan und sind gerade dabei, ein veganes Restaurant zu eröffnen. Wie sind Sie dazu gekommen?

Hildebrand: Für mich ist es logisch, auf tierische Produkte zu verzichten. Das wurde immer mehr zu meinem Lifestyle, ohne da Aktivist oder Hardcore-Veganer zu sein. Ich bin kein Gastronom, deswegen habe ich gute Partner mit reingenommen und darf das Projekt leiten. Das macht mir brutal viel Spaß. Meine Funktion ist, alles zu überwachen, aber ich habe mir fest vorgenommen, mal als Küchenhilfe zu agieren, weil ich wissen will, was die Jungs jeden Abend leisten werden. Ich glaube, die müssen richtig Gas geben und ich hoffe, dass ich die Jungs nicht aufhalte. Viele Leute hauen bei diesem Thema immer irgendwelche Parolen und Vorurteile raus und geben einem schnell das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil man vegan lebt. Aber ich glaube, auch viele Fleischesser haben mittlerweile das Gefühl, sie müssen sich rechtfertigen. Ich denke, man muss die Leute abholen, damit ein Umdenken stattfindet, was es für einen selber und für die Umwelt heißt, Tiere zu essen. Und diese Idee versuche ich mit diesem Projekt voranzutreiben.

Timo Hildebrand: Seine Profi-Karriere in Zahlen

VereinZeitraumSpieleSpiele ohne Gegentor
VfB Stuttgart1999 - 2007296107
FC Valencia2007 - 2009399
TSG Hoffenheim2009 - 20104215
Sporting Lissabon2010 - 20113-
FC Schalke 042011 - 20145815
Eintracht Frankfurt2014 - 20153-
Deutsche Nationalmannschaft2004 - 200771
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