Martin Rafelt im Interview: "Es wird über Taktik geredet, aber nicht zu Ende gesprochen"

Martin Rafelt war drei Jahre lang als Co-Trainer bei Hajduk Split beschäftigt.
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Fällt Ihnen ein prägnantes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ein?

Rafelt: Kürzlich bei Leverkusens Sieg gegen Dortmund war Bayer in den ersten fünf Minuten des Spiels komplett unterlegen. Dann ließ Peter Bosz Manndeckung über das gesamte Feld spielen und die restliche Halbzeit lief nur noch für Leverkusen. Das erzählt aber keiner, weil man es nicht merkt oder nicht genau hinguckt. Das Problem ist, dass dafür schlichtweg die Kompetenz fehlt und man sie sich erst aneignen müsste. Dass solche Beobachtungen aber nicht unterhaltsam seien, scheint mir eher eine bequeme Ausrede zu sein. Ich glaube aber, da werden mittlerweile auch Fortschritte gemacht.

Im Jahr 2016 haben Sie ein Buch mit dem Titel "Vollgasfußball - die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp" veröffentlicht. Was gab den Ausschlag dafür?

Rafelt: Seit 2008 hatte ich quasi jedes Spiel und jede PK des BVB gesehen, habe sehr viele Partien analysiert und die öffentlichen Diskussionen verfolgt. Ich habe parallel zu den öffentlichen Narrativen wie "Dortmund ist schlechter, weil Nuri Sahin nicht mehr dort spielt" aus meiner Beobachtung heraus meine eigenen Narrative entwickelt. Dabei hat sich so viel Information angesammelt, die mir einen Einblick gaben, wie komplex eine Mannschaftsentwicklung und der Leistungsaufbau über einen langen Zeitraum ist. Daher dachte ich, dass ich das einfach mal aufschreibe, meine Artikel ausbaue und daraus ein Buch mache.

Haben Sie Klopp einmal kennengelernt und vom ihm Feedback dazu bekommen?

Rafelt: Nein, weder noch.

Sie sprachen vorhin davon, auch selbst Mannschaften trainiert zu haben. Das fing im März 2015 an, bis Dezember 2017 waren Sie Jugendtrainer beim FSV Witten. Hatten Sie schon zuvor versucht, irgendwo eine Mannschaft zu übernehmen?

Rafelt: Nein, aber das hätte ich tun sollen. Deshalb bin ich mit dem Buch auch nicht gänzlich zufrieden, da ich den allergrößten Teil davon geschrieben habe, bevor ich selbst trainiert habe - und das merkt man dem Buch an. Es ist eher narratives Storytelling, aus der Trainerperspektive fehlen dem Buch konkrete Dinge oder sind falsch gewichtet. Ich hatte nicht den Einblick, was wie selbstverständlich ist im Fußball - woran muss man eigentlich arbeiten, damit es am Ende funktioniert? Mir war die Hierarchie, wie man zu bestimmten Leistungsfacetten kommt, damals nicht so bewusst wie jetzt.

Wie entstand es, dass Sie in Witten loslegten?

Rafelt: Mir war zuvor schon klar, dass ich gerne als Trainer arbeiten will. Ich war nur nie jemand, der einfach mal etwas macht, um zu sehen, ob er es kann. Ich wollte lieber das Gefühl haben, etwas richtig gut zu können. Deshalb habe ich Fußball lange nur beobachtet. Als ich dann als Trainer begann, merkte ich relativ schnell, dass das vielleicht nicht die beste Herangehensweise war. Gerade in der Anfangsphase habe ich extrem viel herumprobiert, aber dadurch konnte ich auch sehr schnell dazulernen.

Was haben Sie in der Praxis in Witten genau gelernt?

Rafelt: Extrem viele Details: Wie man die Idee, die man hat, konkret umgesetzt. Wie ich Spieler anspreche. Wie ich ihnen Sachen beibringe und wie nicht. Wie eine Trainingsgestaltung aussieht, wie ich die Übungen leite. Wie ich eine Mannschaftsansprache mache und ein Team über einen längeren Zeitraum führe. Welche Dinge man voraussetzen kann und welche nicht und woran man wie stark arbeiten muss. Gerade im Jugendfußball ist es beispielsweise ein Klassiker, dass die Spieler noch nicht gelernt haben, wie man das große Feld und die Tiefe hinter sich verteidigt. So etwas lässt sich schwer herausfinden, wenn man nur die Bundesliga analysiert.

Wieso ging es in Witten zu Ende?

Rafelt: Weil ich im März 2017 das Angebot von Hajduk Split erhielt. Dort hätte ich bereits im Sommer beginnen sollen, doch kurz vor dem Umzug hatte ich mich noch recht schwer verletzt. Im Januar 2018 bin ich dann nach Kroatien gezogen.

Martin Rafelt (r.) beim FSV Witten, seiner ersten Station als Trainer.
Martin Rafelt (r.) beim FSV Witten, seiner ersten Station als Trainer.

Haben Sie stets den Plan verfolgt, letztlich im höherklassigen Fußball zu landen?

Rafelt: Höchstens langfristig. Mir ging es am Anfang darum, mich als Trainer auszuprobieren und zu finden. Ich hatte ja null Erfahrungswerte und wusste nicht, ob ich das gut kann. Ich wusste, was man auf dem Feld tun müsste, hatte aber keine Thesen dazu, wie ich das den Spielern beibringe und auf eine Mannschaft übertrage. Das war mir auch bewusst.

In Split wurden Sie Co-Trainer von Mario Despotovic, einem in Neuss aufgewachsenen Kroaten. Der hatte Sie zuvor zusammen mit Maric nach Kanada eingeladen, wo er als Trainer und Sportdirektor beim FC London in Ontario arbeitete. Wie kam der erste Kontakt zustande?

Rafelt: Mario und Rene waren damals im Austausch, dann wurde er Mitglied in einer unserer Chatgruppen zum Thema Coaching. Warum er ausgerechnet dann auch mich nach Kanada eingeladen hat, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Er kannte mich nur von dem Zeug, das ich so in die Gruppe geschrieben habe und wollte mich wohl einfach mal kennenlernen.

Was haben Sie in Kanada gemacht?

Rafelt: Für eine Woche wurden Trainer aus aller Welt eingeladen. Prominentester Vertreter war Marcel Lucassen. Er war zuletzt Direktor Entwicklung beim FC Arsenal, arbeitete lange Zeit für den DFB, hat viele Weltmeister trainiert und ist seit 30 Jahren im Geschäft. Es gab acht Trainingseinheiten pro Tag und die komplette Zeit davor und danach wurde über Fußball geredet. Es war für mich sehr beeindruckend, sich mit solchen Leuten auf Augenhöhe auszutauschen. Mario und ich fanden dort einen Draht zueinander. Ein halbes Jahr später wechselte er zur U19 von Hajduk, suchte noch einen Co-Trainer und hat mich gefragt.

Wie überraschend kam dieses Angebot für Sie?

Rafelt: Total überraschend. Mein allererster Gedanke war: Ich will doch gar nicht auswandern. (lacht) Dann habe ich ein, zwei Tage darüber nachgedacht und gemerkt, dass ich diesen riesigen Schritt zum größten Verein Kroatiens nicht ablehnen kann. Zumal mir die Rolle gut gefiel und ich wusste, dass ich von Mario extrem viel lernen kann. Ich war wohl der erste Nicht-Kroate, der dort jemals in der Akademie gearbeitet hat.

Martin Rafelt arbeitete bei Hajduk Split unter Cheftrainer Mario Despotovic.
Martin Rafelt arbeitete bei Hajduk Split unter Cheftrainer Mario Despotovic.

Wie sah Ihr Start bei Hajduk aus?

Rafelt: Im Herbst 2017 lud mich Mario zunächst für eine Woche ein, um mir alles anzusehen. Ich sollte auch auf Initiative der jeweiligen Trainer dabei helfen, zwei Akademiemannschaften auf Spiele gegen Dinamo Zagreb vorzubereiten. Es gab mir natürlich ein gutes Gefühl, dass sich auch andere Leute als Mario an meiner Meinung interessiert zeigten. Ich bin abends angekommen und am nächsten Tag ging es los: ab zum Verein, Laptop anschalten, Dinamo anschauen, Ideen mit den Trainern diskutieren.

Wie liefen die Partien?

Rafelt: Die U15 spielte mit einem Plan, den ich so halb vorgeschlagen hatte - und hat dann einen goldenen Jahrgang von Dinamo mit 1:0 besiegt. Mir wurde gesagt, dass die seit neun Jahren kein Spiel mehr verloren hatten. Bei unserer U19 hatte ich vorgeschlagen, ein asymmetrisches Aufbausystem zu spielen. Mittlerweile ist das ja gar nicht mehr so außergewöhnlich, aber für die anderen war das bestimmt schon ein bisschen wie: Jetzt kommt da dieser komische Typ aus Deutschland und schlägt eine Formation vor, die eigentlich gar keine ist. Das haben wir dann gespielt und ich war entsprechend nervös. Ich hätte ja als Depp dagestanden, wenn das in die Hose gegangen wäre. Die Spieler haben das aber zum Glück super umgesetzt, nach einer Viertelstunde stand es schon 3:0 für uns. (lacht)