Todestag von Robert Enke - Berater Jörg Neblung im Interview: "Du wirst alt, mein Lieber, habe ich gescherzt"

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Enke musste dafür auch sehr viel schauspielern.

Neblung: Auch das gehörte zu den vielen brenzligen Situationen. Die Pressekonferenz beim DFB in Köln war eine schauspielerische Meisterleistung von ihm, weil er damals schon tief in der Depression war. Er hatte unglaubliche Fluchtgedanken, als er im Hotel bei der Mannschaft weilte und wollte abends schon abhauen. Am nächsten Tag ging er aber zu dieser PK und hat dafür, wie schlimm es ihm eigentlich ging, unfassbar abgeliefert und alle überzeugt. Es gibt sehr viele Depressive, die glänzende Schauspieler sind. Sie müssen einfach irgendwie funktionieren und Mechanismen entwickeln, damit niemand etwas merkt. Ich habe zu Robert nur gesagt: Für diese Leistung bekommst du einen Oscar, mein Freund. Den hat er leider bis heute nicht von mir erhalten.

Um seinen Plan vom Suizid zu vollenden, war Enke im Grunde gezwungen, seine Vertrauten in seinen letzten Tagen zu täuschen. Gab es einmal einen Moment, in dem Sie deshalb von Ihrem langjährigen Freund enttäuscht waren?

Neblung: Nein, denn wir wussten, dass diese Krankheit seinen Blick auf das Wesentliche verstellt hat. Er hatte diesen Irrglauben im Kopf, dass ein Suizid die einzige Lösung und Hilfe für ihn ist. Da konnte er aber nichts dafür, weil er einfach ein Opfer dieser Krankheit war.

Sie gehörten zu den ganz wenigen Menschen, die schon zu einem frühen Zeitpunkt von Enkes Krankheit wussten. 2004, nach seiner ersten Therapie, lebte er für zwei Monate bei Ihnen in Köln. Wie kann man sich dieses Zusammenleben vorstellen?

Neblung: Er hat das Gästezimmer bekommen. Morgens haben wir zusammen gefrühstückt, dann ist er aus dem Haus, um im Mediapark seine Trainingseinheiten oder die Gesprächstherapie bei Valentin Markser zu absolvieren. In Köln konnte er inkognito sein. Abends haben wir zusammen gekocht oder sind essen gegangen - wie in einer normalen WG. Nur, dass wir einen Code und eine Punktewertung bis zehn entworfen hatten, damit ich ihn nicht jeden Tag fragen musste, wie es ihm geht.

Das heißt?

Neblung: Ich musste ihn im Grunde nur anschauen und er sagte dann zum Beispiel: zwei. Eine Vier war schon richtig gut, es gab aber auch öfter einmal die Null. Es war auch für mich intensiv, weil ich tagtäglich seine Entwicklung beobachten konnte. Letztlich ging es ihm immer besser, das Ganze hat wirklich gut funktioniert. Je mehr er damals aus dieser Depression wieder herauskam, desto lustiger wurde es auch. Ich habe noch tolle Videos, auf denen er im Esszimmer den Moonwalk versuchte oder er sich mit einem Schleifchen um den Hals neben den Weihnachtskalender setzte.

Finden Sie, dass seit Enkes Tod mehr Sensibilität und Menschlichkeit rund um den Fußball herrscht?

Neblung: Ganz eindeutig. Es hat sich sehr viel bewegt, aber es kommt auf den Blick an. Bei den Grundprinzipien des Fußballs hat sich nichts verändert: Es spielen immer noch die elf Stärksten, das Verhalten der Kurve ist nicht unbedingt positiver geworden, die Schlagzeilen des Boulevards sind immer noch dieselben und die sozialen Medien tun ihr Übriges, um die Drucksituation von öffentlichen Personen zu verstärken.

Was sich also vor allem bewegt und verändert hat, sind vielmehr die Rahmenbedingen?

Neblung: Ja, die sind viel besser geworden. Fußballvereine engagieren heute deutlich mehr Mentaltrainer, Sportpsychologen und Psychiater oder stellen diese Experten für den Bedarfsfall zur Verfügung. Auch mit Hilfe der Robert-Enke-Stiftung können wir Menschen Möglichkeiten an die Hand geben, wie sie sich vor depressiven Verstimmungen schützen. Hier greifen wir auf ein Netzwerk zurück, durch das wir sehr schnelle Hilfe anbieten können. Die Sensibilität für und das Verständnis um diese Krankheit ist bei den Entscheidungsträgern in den Vereinen, aber auch in der Öffentlichkeit deutlich höher geworden.

Gibt es etwas, das Sie mit dem Wissen von heute anders machen würden?

Neblung: Sicher, weil ich zehn Jahre später einfach viel aufgeklärter bei diesem Thema bin. Ich hätte heute mehr Sensibilität für das Frühstadium dieser Krankheit. Auch wenn es für mich immer noch absolut unfassbar ist, dass diese Krankheit in Roberts damaliger positiver Lebensphase wiederkommen konnte. Ich hätte inzwischen auch viel mehr Optionen im therapeutischen Bereich, die ich ausprobieren würde. Ich würde heute auf Therapeutengespräche von Angesicht zu Angesicht bestehen anstatt auf Telefonate und einen Medikamentenwechsel viel skeptischer sehen. Damals bekamen wir durch das Psychopharmaka keine Unterstützung, also wurde das Medikament gewechselt - und hinterher habe ich erfahren, dass das suizidale Tendenzen verstärkt.

Wie begehen Sie den Sonntag und grundsätzlich die Todestage von Robert Enke?

Neblung: Unterschiedlich, mal an seinem Grab, an dem ich letzten Montag noch war, mal zuhause. An diesem Sonntag bin ich zunächst noch beruflich im Ausland unterwegs und anschließend mit meiner Familie in Köln. Wir werden Robert auf unsere Art und Weise gedenken. Ich war der Patenonkel seiner Tochter, er ist der Patenonkel meiner Tochter - bis heute. Uns hatten die positiven wie schwierigen Episoden wirklich zusammengeschweißt.

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