Duygu Erdogan von Rot-Weiß Oberhausen im Interview - die einzige Frau im Profibereich

Duygu Erdogan in ihrem Element als Co-Trainerin von Rot-Weiß Oberhausen.
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SPOX: Woher kommt dieser Ehrgeiz, der Ihnen offensichtlich innewohnt?

Erdogan: Ich war schon immer ehrgeizig und leidenschaftlich. Gerade dann, wenn ich ein Ziel erreichen möchte. Ein Arzt will Menschenleben retten und ich möchte mit dem Fußball Menschen glücklich machen. Fußball ist weiterhin ein großer Faktor, um das zu erreichen - und zwar weltweit. Das muss auch nicht bei einem Profiklub geschehen, ich kann mir auch vorstellen, einen Amateurverein zu trainieren oder mit Kindern in Afrika zu arbeiten. Ich glaube daran, dass es immer einen Ausweg gibt, immer eine Besserung der Lage möglich ist, auch wenn eine Situation kompliziert erscheint. Man hat selbst beim Sterben die Wahl, ob man dabei lächelt oder ob man dabei traurig ist - das kann einem selbst überlassen sein. Ich möchte mit einem Lächeln auf den Lippen sterben, weil ich hart gearbeitet und Menschen eine Freude bereitet habe.

SPOX: Bei Galatasaray blieben Sie über zweieinhalb Jahre lang, dann zogen Sie 2014 für eine Saison zum Erstligisten Elazigspor weiter. Ab wann kam der Gedanke auf, ins Ausland gehen zu wollen?

Erdogan: Bei Elazigspor hatte ich häufigeren Kontakt zu Beratern und habe dort auch meinen aktuellen Berater kennengelernt. Ich hörte von einigen Angeboten aus anderen Ländern im Frauenfußball, stand aber auch mit einigen Top-Klubs in der Türkei im Austausch. Ich wollte allerdings schon immer irgendwann den Schritt ins Ausland wagen. Deshalb waren wir uns einig, dass Deutschland ein sehr guter Standort wäre, um hier erstmals ausländischen Fußball zu erfahren und internationale Erfahrung zu sammeln. Mein Berater hatte Kontakte zum Vorstand der SG Wattenscheid 09 und hat dort angefragt. Es war ein Zufall, aber natürlich ideal für mich, dass dort mit Farat Toku ein türkischer Trainer im Amt ist.

SPOX: Wie sah die Zusammenarbeit mit Toku aus?

Erdogan: Ich war ganz klassisch Co-Trainerin. Das ging vom Anleiten der Aufwärmübungen zu Individualtraining über Spielbeobachtung bis hin zur Gegneranalyse. Ich hatte dort einen Einjahresvertrag mit einer Option auf ein weiteres Jahr unterschrieben. Nach der Saison habe mich aber entschieden, einen weiteren Verein in Deutschland kennenlernen zu wollen. Deshalb sind wir nach einem Jahr in gegenseitigem Einvernehmen auseinandergegangen.

SPOX: Davon profitierte Regionalliga-Konkurrent Rot-Weiß Oberhausen, wo Sie nun seit Sommer 2016 unter Vertrag stehen und ähnlich wie in Wattenscheid Cheftrainer Mike Terranova assistieren. Wie haben denn die Spieler bei RWO reagiert, als Sie das erste Mal dort ankamen?

Erdogan: Ich hatte den Eindruck, dass man von meinem Werdegang wusste und gewissermaßen beeindruckt war. Ich habe hier ziemlich schnell Respekt verspürt, so dass wir uns sehr schnell ohne jegliche Vorurteile kennenlernen konnten. Am Ende zählt auch hier - oder wie im Falle junger Bundesligatrainer wie Julian Nagelsmann oder Domenico Tedesco - die Qualität der Arbeit, die man anbietet und abliefert.

Erdogan über ihre Eindrücke vom deutschen Fußball und Zukunftspläne

SPOX: War es für Sie nie schwer, in der Männerdomäne Fußball vor die Spieler zu treten?

Erdogan: Nein. Ich mache absolut keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Mir ist es egal, aus welchem Land jemand stammt, welche Hautfarbe man hat oder welche Behinderung - ich behandele alle Menschen mit demselben Respekt. Ich glaube, dass man das schnell merkt, wenn man mich näher kennenlernt. Daher hatte ich auch noch nie ernsthaft oder auf längere Sicht mit Vorurteilen oder machohaften Sprüchen gegen mich zu kämpfen.

SPOX: Welche Eindrücke haben Sie denn jetzt nach bald drei Jahren vom deutschen Fußball?

Erdogan: Mir gefällt, dass in der Regionalliga viele ehemalige Bundesligisten spielen und diese Vereine weiterhin sehr professionell arbeiten. Ich bin auch erstaunt gewesen, welche tollen Arbeitsbedingungen in der deutschen 4. Liga vorherrschen. Damit will ich aber nicht sagen, dass die Bedingungen hier besser seien als in der türkischen Süper Lig. Das wurde mir nämlich in einem Interview im Winter so ausgelegt, obwohl ich das niemals so behauptet habe. Das möchte ich hier noch einmal klarstellen: Einen Vergleich anzustellen zwischen türkischer 1. Liga und deutscher 4. Liga ist sinnlos.

SPOX: Worin besteht bislang Ihr größte Lerneffekt, den Sie vom deutschen Fußball mitnehmen?

Erdogan: (überlegt lange) Ich möchte das nicht genauer erklären, weil die Erklärung teils auch in meiner Antwort steckt: In Deutschland habe ich gelernt, was man als Trainer nicht machen sollte.

SPOX: Dann erklären Sie doch bitte einmal Ihre Pläne für die Zukunft: Der Vertrag in Oberhausen läuft zum Saisonende aus.

Erdogan: Ich habe ein paar persönliche Projekte, die ich gerade im Hintergrund etwas genauer plane und vorantreibe. Ich bekomme immer mal wieder Anfragen aus arabischen Ländern oder Asien, gerade im Hinblick auf einen Posten als Trainerin einer Frauen-Nationalmannschaft. Ich bin aber der Meinung, dass meine Arbeit in Deutschland noch nicht beendet sein kann. Daher halte ich es für möglich, dass ich innerhalb des Landes weiter ziehe, wenn sich mir eine neue Herausforderung - vielleicht auch in einer höheren Liga oder als Cheftrainerin im Frauenfußball - bietet.

Erdogan über die deutsche Sprache, Heimweh und Stolz

SPOX: Sie sprechen schon sehr ordentlich Deutsch. Haben Sie das per Sprachkurs gelernt?

Erdogan: Danke. Ich hatte zwei Monate lang eine private Nachhilfe, um mir die absoluten Grundkenntnisse anzueignen. Der Rest kam bisher über die Arbeit und die tägliche Konfrontation mit der deutschen Sprache. Es muss aber noch besser werden, das ist klar.

SPOX: Wie sieht denn der Kontakt in die Heimat aus, haben Sie Heimweh?

Erdogan: Natürlich vermisse ich meine Familie. Es ist eher so, dass sie mich besuchen, als dass ich die Zeit habe, in die Türkei zu fliegen. Das passiert ungefähr nur alle sechs Monate. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl, so dass sich das Heimweh in Grenzen hält. Je mehr sich die Sprachbarriere auflöst, umso unproblematischer ist es für mich. Da ich aus der riesigen Metropole Istanbul komme, ist das hier selbstverständlich schon ein großer Unterschied, aber ich komme gut damit klar.

SPOX: Um noch einmal zum Ausgangspunkt des Gesprächs zu kommen: Ihre Personalie war bereits im türkischen Fußball einzigartig, in Deutschland ist es kaum anders. Das macht Sie schon stolz, oder?

Erdogan: Ich bin sicherlich nicht traurig darüber, aber das ist kein einfaches Thema für mich. Ich weiß, dass meine Person im Sportjournalismus ein gewisses Interesse weckt. Ich will aber nicht, dass einseitig über mich berichtet wird und alle nur auf dem klassischen Klischee "Eine Frau im Männerfußball" herumreiten. Daher habe ich jetzt auch eine ganze Weile lang keinen Interviewtermin mehr zugesagt - weil eben eine Vielzahl nur diese Thematik besprechen möchte. Ich will nicht mit meinem Geschlecht punkten, sondern ausschließlich mit meiner Arbeit. Und darüber spreche ich gerne.