"Ich war wie ein Groundhopper"

Bruno Labbadia trainierte in der Bundesliga Leverkusen, den HSV und Stuttgart
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SPOX: Sie haben mit den Stuttgartern dann 30 Punkte geholt und den Klassenerhalt geschafft, aber wie meinen Sie das genau?

Labbadia: Ich meine damit, dass ich meine Arbeit als Trainer voll einbringen konnte. Als ich in Stuttgart anfing, war ich nach über einem halben Jahr Auszeit sehr ausgeruht und voller Energie, die ich auf das Team übertragen konnte. Das erwartet eine Mannschaft auch von einem Trainer, zumal im Abstiegskampf jeder im und um den Verein Halt sucht. Niemand hat damals an die Mannschaft geglaubt, nicht einmal sie selbst. In solch einer Phase muss man mit Überzeugung und Kraft agieren können, damit sich das abfärbt. Man muss sich sowohl im positiven, als auch im negativen Fall von der Hysterie einigermaßen freimachen können. Fredi Bobic hat mir damals alles vom Leib gehalten, damit ich mich konzentriert mit dem Team arbeiten konnte - diese Konstellation hat sich ausgezahlt.

SPOX: Bobic meinte kürzlich im SPOX-Interview über seine Zeit beim VfB, dass er irgendwann nur noch im Tunnel war und seine Eigenwahrnehmung vernebelt gewesen sei. Bekommt man diese Scheuklappen, von denen Sie vorher sprachen, mit der Zeit automatisch aufgesetzt?

Labbadia: Fredi sieht jetzt natürlich auch: Stuttgart war ein echter Kraftakt, wir standen ja auch unter wirtschaftlichem Druck, mussten unseren Etat um über 20 Millionen Euro herunterfahren. Wir hatten Spieler auf der Liste, mit denen man den nächsten Schritt hätte gehen können und die wir auch bekommen hätten. Stattdessen mussten wir aber welche abgeben, die uns richtig weh getan haben. Wir waren oft gezwungen, fußballerisch einen Schritt zurück zu gehen und sind dennoch zwei Mal in Folge ins europäische Geschäft eingezogen - ohne den Verein in diese Lage zu bringen, in die er jetzt mittlerweile eigentlich geraten ist. Dass man dann im Nachhinein feststellt, dass einen dieses Paket auch persönlich zermürbt hat, ist nachvollziehbar.

SPOX: Wer hat Sie in solchen Phasen aufgefangen?

Labbadia: Man hat natürlich Vertraute um sich herum, mit denen man sich austauscht. Aber das ist schwierig, weil man im Endeffekt der alleinige Entscheidungsträger bleibt. Auch das ist ein großer Unterschied zwischen Spieler- und Trainerkarriere: Wenn du als Trainer verlierst, bist du mit der einsamste Mensch, den es in deiner Stadt gibt. Da bekommt man das Gefühl vermittelt, der Blindeste der Blinden zu sein. Wenn man aber drei, vier Spiele am Stück gewinnt, ist es umgekehrt: Dann machen sie einen zum Bürgermeister (lacht). Man muss ein sehr hohes Selbstwertgefühl in diesem Beruf haben.

SPOX: Weil er so speziell ist?

Labbadia: Ja. Man lernt aber auch schnell diese Intensität und Vielfältigkeit zu schätzen, weil sie den Beruf außergewöhnlich und spannend macht. Wenn man sich all diese Mechanismen vergegenwärtigt und trotz des Auf und Ab eine innere Ruhe ausstrahlt, die man sich durch die verschiedenen Erfahrungen aneignet, dann ist der Trainerjob eine enorm schöne Herausforderung. Man muss wissen, dass all dies dazugehört, darf es nicht persönlich nehmen und sollte es so gewichten, dass man daran nicht kaputt geht. Ich bin jede Sekunde sehr gerne und engagiert Trainer. Es ist letztlich einfach ein Prozess, den man durchläuft.

SPOX: Sie haben in Stuttgart eine Wutrede gehalten, weil sich viele Dinge aufgetürmt hatten. Ging Ihnen die öffentliche Meinung da zu sehr auf die Nerven?

Labbadia: Ich wäre der Letzte, der behaupten würde, die Presse sei an allem Schuld. Erst durch das Medienaufkommen hat der Fußball diesen Stellenwert bekommen, den er nun hat. Ich hätte es früher nicht für möglich gehalten, dass dieser Sport mal so groß wird. Deshalb verdient man in diesem Geschäft gutes Geld und ist überall bekannt. Man muss aber auch einen Preis dafür zahlen und die Schattenseiten aushalten können. Das gelang mir in diesem einen Fall für ein paar Minuten nicht mehr (lacht).

SPOX: Es wurde in Ihren Augen alles zu viel zu pessimistisch und unrealistisch gesehen.

Labbadia: Ja. Dieser Ausbruch war nicht geplant. Mir hat es einfach gereicht, es hatte sich einiges angesammelt. Damals wurden Dinge verbreitet, die sich aus der Sichtweise des Berichtenden vielleicht so wie beschrieben darstellen. Das mag ja gerne sein. Aber sie waren dennoch schlicht falsch. Manche Themen lassen sich öffentlich auch nicht widerlegen, weil man eventuell Gefahr läuft, jemandem ans Bein zu pinkeln. Es ist eine Zwickmühle, da man eben nicht immer das sagen kann, was man denkt. Da ist es dann aber aus mir herausgeplatzt. Ich gehe davon aus, dass mir das künftig nicht mehr allzu oft passieren wird.

SPOX: Wenn arbeitslose Trainer wieder einen Job annehmen, hört man von vielen, dass man beim neuen Verein Talente fördern und langfristig etwas aufbauen möchte. Ist das in diesem oszillierenden Beruf nicht nur bloßes Wunschdenken?

Labbadia: So etwas werden Sie von mir auch nicht hören, da es Langfristigkeit im Fußball nicht mehr gibt. Eine Entlassung ist nicht das Problem. Dass das heute auch aufgrund des veränderten Trainermarkts schneller passiert als früher, gehört mittlerweile einfach dazu. Was ich mir von einem Verein wünsche ist eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den handelnden Personen, die sich zudem von den äußeren Faktoren einigermaßen freimachen können. Ich möchte, dass offen und ehrlich miteinander umgegangen wird, bei Erfolg und Misserfolg. Schauen Sie sich den Zusammenhalt bei Borussia Dortmund an - so muss es sein.

SPOX: Sie sind jetzt seit eineinhalb Jahren ohne Job. Wie lange darf die Pause zwischen zwei Stationen denn maximal sein?

Labbadia: Das ist sicherlich individuell verschieden. Ich erlaube mir momentan ehrlich gesagt noch den Luxus, Dinge abzusagen. Andere würden vielleicht eher zusagen. Ich habe bisher Vereinen abgesagt, bei denen mir das Gesamtpaket nicht zugesagt hat. Andererseits gab es auch schon Angebote, die ich angenommen hätte, es aus verschiedenen Gründen aber am Ende doch nicht funktioniert hat. Das ist normal und macht mich nicht verrückt. Ich gehe da einfach nach meinem Bauchgefühl und das tun die Vereine manchmal auch. Es ist mir dabei aber auch vollkommen bewusst, dass irgendwann einmal der Punkt eintreten könnte, an dem ich sage: jetzt sollte ich dann doch auch wieder einsteigen. Wir werden sehen, was mit mir passiert. Noch habe ich die innere Ruhe.

SPOX: Könnten Sie denn morgen sofort wieder irgendwo anfangen?

Labbadia: Klar. Ich habe richtig Bock zu arbeiten - weil ich auch im Kopf dazu bereit bin.

Seite 1: Labbadia über seine Art von Groundhopping und den Stress als Trainer

Seite 2: Labbadia über Schwarz-Weiß-Denken, seine Wutrede und Zukunftswünsche

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