"Nachdenken, ob Tradition alleine ausreicht"

SID
Helmut Sandrock ist seit 17 Monaten der "zweite Mann" beim DFB
© getty

Seit 17 Monaten ist Helmut Sandrock Generalsekretär des DFB und damit der "zweite Mann" im größten Sportfachverband der Welt. Im Interview erklärt der 56-Jährige, welches Profil der künftige Sportdirektor haben soll, was er über die Kehrtwende von FIFA-Präsident Sepp Blatter bezüglich der Winter-WM in Katar denkt und warum der DFB künftig immer mit den besten Spielern zu einer U21-EM fahren soll.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Frage: Herr Sandrock, der DFB ist nun seit mehr als sieben Wochen ohne Sportdirektor. Gibt es eine Deadline, bis wann der Nachfolger von Robin Dutt gefunden sein soll?

Helmut Sandrock: Von Deadline möchte ich nicht sprechen, aber es gibt schon eine Entwicklung. Wir haben Klarheit, was das Profil angeht. Wir haben in Abstimmung mit der Liga geschaut, was der Markt hergibt. Aber wir haben von Anfang an gesagt, dass wir Zeit haben. Es ist ja nicht so, dass wir nicht arbeitsfähig sind.

Frage: Gab es schon Gespräche mit irgendwelchen Kandidaten?

Sandrock: Nein, keine konkreten.

Frage: Und wie sieht das Profil aus?

Sandrock: Wir brauchen jemanden, der aus dem Fußball kommt, vorzugsweise aus dem Trainer-Bereich, mit einer guten Schnittmenge zum Management-Bereich. Und natürlich muss die Person eine Vision haben, wie sich der Fußball in Deutschland entwickeln soll. Und es sollte auch jemand sein, der international über den Tellerrand schaut.

Frage: Kann es denn dann sogar ein Ausländer sein?

Sandrock: Ich würde es nicht als ein totales Muss sehen, dass der Kandidat aus Deutschland kommt. Aber wir haben schon vorzugsweise in Deutschland geschaut.

Frage: Bevorzugen Sie eher einen verdienten Nationalspieler oder eher einen Verbandskandidaten mit Stallgeruch?

Sandrock: Die genannten Voraussetzungen können auf beides zutreffen. Aber wenn der Mix stimmt, muss derjenige nicht unbedingt 100 Länderspiele absolviert haben. Wenn ein verdienter Nationalspieler dieses Profil erfüllt, gerne.

Frage: Wenn das Profil klar ist: Ist auch das Aufgabenfeld klar? Sprich: Wird der neue Mann auch für das A-Team oder nur für die Teams bis zur U21 zuständig sein?

Sandrock: Die Zuständigkeit des Sportdirektors hatten wir schon mit Robin Dutt geklärt. Dabei wurde die Konfliktfrage, die es zwischen Matthias Sammer (Dutts Vorgänger, d. Red.) und Joachim Löw gegeben hatte, bereits aufgelöst.

Frage: Also wird der neue Mann nicht der 'Chef' von Bundestrainer Löw?

Sandrock: Das ist nicht vorgesehen, nein.

Frage:Lange nichts gehört hat man auch über das geplante Leistungszentrum. Wird es kommen - und wo wird es kommen?

Sandrock: Als das Thema aufkam, ist zu viel an der Oberfläche diskutiert worden. So ein Thema hat tiefgreifende Einflüsse, wirtschaftlich und strukturell. Deshalb nehmen wir alle Querschnittgruppen mit ins Boot. Zuletzt haben wir die Regionalverbände besucht. Aktuell führen wir durch einen externen Dienstleister eine Interviewserie mit allen Funktionsgruppen durch, die der Fußball hergibt, vom Zeugwart bis zum Vorstandsvorsitzenden. Am Ende werten wir das alles aus und werden uns dann innerhalb der Gremien damit beschäftigen.

Frage: Aber kommen wird es, irgendwo, irgendwann?

Sandrock: Ich will den Gremien nicht vorgreifen, dafür hat das Thema eine zu große Tragweite. Zu nächst einmal muss als Entscheidungsgrundlage ein belastbares Konzept auf dem Tisch liegen.

Frage: Bundestrainer Joachim Löw hat zuletzt seine grundsätzliche Bereitschaft zur Vertragsverlängerung über die WM 2014 hinaus geäußert. Bis wann strebt der DFB eine Verlängerung an, damit man nicht wieder mit einer ungeklärten Vertragssituation in die WM geht?

Sandrock: Wir haben gesagt, dass wir die Qualifikation abwarten wollen. Dort sind wir auf einem sehr guten Weg. Danach ist sicher der geeignete Moment, um sich an einen Tisch zu setzen.

Frage: Wird dort auch Oliver Bierhoff sitzen? Der Nationalmannschaftsmanager hat sich zuletzt dahingehend geäußert, sich auch eine Zukunft bei einem Klub vorstellen zu können?

Sandrock: Oliver hat laut darüber nachgedacht, dass auch einmal der Zeitpunkt kommen kann, etwas anderes zu machen. Im Moment hat er sich uns gegenüber dahingehend aber nicht geäußert. Im Gegenteil, er sieht voll motiviert der WM entgegen. Von daher gehe ich zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass wir die Gespräche mit dem gesamten Stab führen werden.

Frage: Die U21-EM in Israel verlief mit dem Vorrunden-Aus zuletzt enttäuschend. Ist dieses Scheitern mit dem Trainerwechsel schon aufgearbeitet?

Sandrock: Wir haben direkt nach dem Turnier eine erste Analyse vorgenommen. Auf dieser Grundlage wurde eine Personal-Entscheidung getroffen, zu der wir ganz klar stehen. Was im sportlichen Bereich für Lehren gezogen werden können, arbeiten jetzt die Trainer auf. Wenn man sieht, was beispielsweise Spanien abgeliefert hat, kann man daraus Erkenntnisse ableiten.

Frage: Könnte eine Erkenntnis lauten, dass man bei der nächsten EM ohne Wenn und Aber mit der besten Mannschaft antritt?

Sandrock: In den letzten Jahren haben immer nur die Länder den Titel gewonnen, die mit der besten Mannschaft dabei waren. Im Übrigen auch wir 2009.

Frage: Also hätte man auch in diesem Jahr bereits im A-Team festgespielte Spieler des Jahrgangs wie André Schürrle oder Julian Draxler mitnehmen müssen?

Sandrock: Wir hatten in diesem Jahr eine Sondersituation durch die USA-Reise des A-Teams. Aber wenn man auf dem Niveau Titel gewinnen will, braucht man die beste Mannschaft. Und wir wollen Titel gewinnen. Ich denke, dass das auch von der Liga getragen wird.

Frage: Wie steht Löw zu dieser Diskussion?

Sandrock: Der Bundestrainer ist natürlich immer Teil der Diskussion. Im Einzelfall wird man sicher auch über einen Spieler reden können. Aber es geht um den Grundsatz, mit der bestmöglichen Mannschaft in ein Turnier zu gehen.

Frage: Was diesmal nicht passiert ist...

Sandrock: Es gab Kompromisse, weil wir wie gesagt eine besondere Konstellation hatten. Grundsätzlich gilt der Ansatz, dass wir nicht ausbilden allein um des Ausbildens willen. Wir wollen Turniere gewinnen, mit den besten Spielern. Ein solches internationales Turnier bringt jeden Spieler weiter. Das wird Ihnen jeder bestätigen, der das erlebt hat.

Frage: Die WM 2022 in Katar soll nach einer Kehrtwende von FIFA-Präsident Sepp Blatter nun doch im Winter stattfinden. Da sich der DFB dahingehend immer eindeutig positioniert hat, müssten Sie das mit Freude aufgenommen haben...

Sandrock: Wir haben durch unseren Präsidenten Wolfgang Niersbach immer Unverständnis über die geplante Austragung von Spielen in Katar im Sommer geäußert. Von daher sind wir grundsätzlich froh, dass Bewegung in das Thema kommt. Aber ich bin der Meinung, dass Herr Blatter gut beraten ist, in die Fußball-Familie zu gehen, bevor eine solche Kehrtwende - die ich im Ergebnis für absolut richtig halte - öffentlich verkündet wird. Die Engländer sind beispielsweise dagegen.

Frage: War seine Kehrtwende für Sie überraschend?

Sandrock: Ich frage mich vielmehr, warum die klimatischen Bedingungen für die Spieler und Fans erst jetzt thematisiert und so kritisch hinterfragt werden.

Frage: In den letzten Wochen haben auffallend viele Traditionsvereine Insolvenz anmelden müssen oder die Lizenz verweigert bekommen. Bereitet Ihnen das Sorge?

Sandrock: Traditionsvereine sollten darüber nachdenken, ob Tradition alleine ausreicht. Ziele, die man sich setzt, müssen auch im Einklang mit wirtschaftlichen Voraussetzungen stehen. Ich habe selbst bei einem dieser Traditionsvereine (MSV Duisburg, d. Red.) gearbeitet und weiß, dass man dort oft ein Getriebener ist. Aber das darf nicht dazu verleiten, dass man mehr ausgibt als man einnimmt. Es gibt nicht nur die aktuellen Beispiele wie Duisburg, Aachen oder Wuppertal, es gab auch die Fälle Rot-Weiss Essen oder Waldhof Mannheim in der Vergangenheit.

Frage: Waren daran ausschließlich hausgemachte Probleme schuld oder muss der DFB eventuell über eine neue Geldverteilung in der von ihm organisierten 3. Liga nachdenken?

Sandrock: Die Vereine sind autonome Wirtschaftsunternehmen, und das fordern sie auch immer wieder ein. Zudem gibt es auch Traditionsvereine, die es geschafft haben, sich - auch über die 3. Liga - zu konsolidieren und zurückzukehren. Eintracht Braunschweig oder Fortuna Düsseldorf sind gute Beispiele für stabiles Management, immer in dem Wissen: Wir haben einen starken Fußball-Standort und können auch aus einer 3. Liga zurückkehren.