Wo Siege nicht alles sind

Von Daniel Börlein
Werder Bremens zweite Mannschaft steht in der 3. Liga im Tabellenkeller
© Getty

Sie stehen im Schatten der Profis und sorgen nur selten für Schlagzeilen. Für ihre Vereine sind die zweiten Mannschaften aber wichtig. Dabei geht es nicht um Siege oder gute Ergebnisse. Im Gegenteil: Manche wollen gar nicht aufsteigen. Eine Ausnahme gibt es allerdings.

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Dass Dominik Kaiser heute Bundesliga spielt, ist "wie ein Märchen", findet Hoffenheims Manager Ernst Tanner. Und im Zeitalter von Nachwuchszentren und Scouting-Netzwerken scheint die Geschichte des 23-jährigen Mittelfeldspielers tatsächlich ein wenig wie eine wundersame Begebenheit.

2009 hatte Kaiser gerade seinen Zivildienst hinter sich gebracht. Anschließend, so der Plan des Abiturienten, wollte er irgendwo mit einem Studium beginnen, nebenher aber noch höherklassig Fußball spielen. Doch wo war das möglich? Bei Normannia Gmünd hatte Kaiser zuvor in der fünften Liga gekickt, dort aber nicht unbedingt für Schlagzeilen gesorgt.

Angebote gab es deshalb keine. Der Versuch, Studienort und neuen Klub unter einen Hut zu bringen, schien kurz davor zu scheitern. Bis eines Tages Kaisers Bruder Steffen zum Telefon griff und kurzerhand bei 1899 Hoffenheim anrief. Dort war man gerade dabei, ein neues Team für die Oberliga zusammen zu stellen - und nach kurzer Überlegung schließlich der Meinung, dass Kaiser ein geeigneter Mann dafür sei.

Die Einschätzung bestätigte sich. Kaiser entwickelte sich in Hoffenheims U 23 zu einem Leistungsträger, der maßgeblich daran beteiligt war, dass 1899 den Sprung in die Regionalliga schaffte.

Hoffenheim als Nachzügler

Der Aufstieg war für Kaiser ein weiteres Kapitel seines ganz persönlichen Märchens. Für 1899 war er dagegen schlichtweg eine Pflicht. Denn: Von allen damaligen Bundesligisten spielte einzig Hoffenheims zweite Mannschaft lediglich in der Oberliga. Alle anderen 17 Klubs gingen mit ihrer U 23 in der Regionalliga oder sogar in der dritten Liga an den Start.

Dieser Makel wurde durch den Aufstieg beseitigt. Und aus den Nachzüglern von damals ist inzwischen sogar eines der Top-Teams der Regionalliga Süd geworden. Nach 14 Spieltagen rangiert das Team von Coach Frank Kramer auf Platz drei und darf sich noch Hoffnungen auf den Aufstieg machen.

Bayern II schwach nach Abstieg

Die zweiten Mannschaften einiger anderer Profi-Klubs können davon nur träumen. Bayer Leverkusen kämpft im Westen seit Jahren nur um den Klassenerhalt, Kaiserslautern kommt nach schwachem Saisonstart immerhin allmählich in die Gänge, Nürnberg hat nach 14 Spielen gerade mal zwei Siege und Augsburgs Zweite krebst sogar nur in der Landesliga herum.

Besonders ernüchternd ist bislang das Auftreten der zweiten Mannschaft des Rekordmeisters. Die "kleinen" Bayern stiegen in der letzten Saison aus der dritten Liga ab, starteten katastrophal (nur ein Sieg aus zehn Spielen) in diese Saison und können den Wiederaufstieg schon jetzt abhaken. Wirklich zu stören scheint das in München allerdings niemanden.

Bremen nimmt Abstieg in Kauf

In Bremen schaffte man den Klassenerhalt in der dritten Liga nur, weil Ahlen und Koblenz auf finanziellen Gründen passen mussten. "Letzte Saison waren wir sportlich abgestiegen", erklärt Werder-Boss Klaus Allofs im Gespräch mit SPOX. "In der Nachbetrachtung haben wir aber erkannt, dass das nicht so tragisch gewesen wäre." Ein Abstieg "nicht so tragisch"? Aber warum?

Der Grund: "Wir arbeiten erst in zweiter Linie ergebnisbezogen", sagt Allofs. "Das heißt nicht, dass wir nicht gewinnen wollen. Aber im Vordergrund steht die Entwicklung des Spielers, der bei uns Bundesligaspieler werden soll."

Diesen Ansatz verfolgen auch die anderen Klubs: Es geht um die Ausbildung von jungen Spielern, um die Förderung von Talenten und die Heranführung an den Profi-Kader. "Die wichtigste Aufgabe unserer zweiten Mannschaft ist die Ausbildung unserer Nachwuchsspieler. In der Art, dass sie später den Sprung in die Profimannschaft schaffen können. Das steht über allem", stellt Allofs überraschend deutlich klar.

Dafür wird auch eine Niederlage oder, wenn nötig, gar der Abstieg in Kauf genommen. "Wir wollen in der 3.Liga bestehen, werfen dafür aber unsere grundsätzlichen Ideen nicht über Bord. Wir werden nie hergehen und sagen: ‚Heute müssen wir uns ein 0:0 ermauern.'", so Allofs. "Die Inhalte stehen über den Ergebnissen. Wenn sich die Spieler trotz schlechter Ergebnisse weiterentwickeln, hat die Mannschaft ihren Zweck erfüllt."

Profis sammeln Spielpraxis

Allerdings geht es in den zweiten Mannschaften nicht nur um die Entwicklung von jungen Spielern. Regelmäßig sammeln Stammkräfte der Profis Spielpraxis in der Zweiten, immer wieder werden auch aussortierte Akteure nach unten abgeschoben.

"Man muss immer schauen, wer von den Profis runter kommt. Bei mir waren das auf Schalke teilweise zehn bis 15 Mann", sagt Michael Boris, in der letzten Saison noch Coach von Schalkes zweiter Mannschaft und aktueller Trainer der Sportfreunde Siegen, gegenüber SPOX.

Dass darunter teilweise auch die Ergebnisse leiden, ist klar, schließlich kann sich so keine Mannschaft einspielen und Automatismen entwickeln, auch weil andersherum die besten Talente recht schnell den Sprung nach oben schaffen. "Die Top-Talente werden zu den Profis hochgezogen oder zu anderen Vereinen verliehen, um Spielpraxis zu sammeln. Deshalb hast du eine zweite Mannschaft, die gut und konstant spielt, nie über einen längeren Zeitraum zusammen."

Und deshalb ist nachhaltiges Arbeiten schwierig und Erfolg kaum planbar. Die Folge: Aktuell spielen mit dem VfB Stuttgart und Werder nur noch zwei U-23-Teams eines Bundesligisten in der 3. Liga. Bislang schaffte überhaupt erst eine zweite Mannschaft (BVB) den Aufstieg, stieg nach einer Saison aber postwendend wieder ab.

Lieber in der Regionalliga?

Doch die Klubs scheinen mit der Regionalliga fast besser leben zu können. "Wir wissen, dass viele Lizenzvereine mit ihren zweiten Mannschaften die dritte Liga gar nicht anstreben", verrät DFB-Direktor Helmut Sandrock.

Einerseits aus den genannten Gründen der Talentförderung, andererseits aber auch wegen zu hoher Kosten. "Die Personalbudgets der ersten Mannschaften liegen im Durchschnitt bei drei Millionen Euro. Das ist selbst für Erstligisten wie beispielsweise Nürnberg oder Freiburg relativ hoch", erklärt Sandrock. Und Geld verdienen kann man mit einer zweiten Mannschaft nicht.

Dass es allerdings sehr wohl funktioniert, Talente auszubilden und gleichzeitig in der dritten Liga erfolgreich mitzuspielen, zeigt der VfB Stuttgart. Und das seit Jahren.

Bei den Schwaben schafften in der Vergangenheit regelmäßig Spieler aus der 2. Mannschaft den Sprung in die Bundesliga (zuletzt Bernd Leno). Gleichzeitig schloss der VfB eine Drittliga-Saison noch nie schlechter als mit Platz zehn ab. Eine herausragende Leistung, die vielen anderen Bundesligisten vorkommen muss wie ein Märchen.

Die aktuelle Tabelle der 3. Liga

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