Der deutsche Weg

Von SPOX/Andreas Renner
Franz Beckenbauer im WM-Finale 1990: Der Kaiser erklärte das DFB-Team damals für unschlagbar
© Getty
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Die Entwicklung erwischte den deutschen Fußball leider genau in dem Moment, als er am wenigsten darauf vorbereitet war. Auf der Höhe des Erfolges nämlich. Deutschland hatte 1982 und 1986 jeweils das WM-Finale erreicht und 1990 in Italien den dritten Titel geholt.

Teamchef Franz Beckenbauer hatte voller Enthusiasmus verkündet, dass Deutschland nun auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein werde. Schließlich standen jetzt ja auch noch die besten Spieler der DDR zur Verfügung. Deutschland war ganz oben. Und deshalb erst recht nicht bereit, sich mit irgendwelchen internationalen Entwicklungen zu befassen.

Die totale Raumverknappung in der ballorientierten Raumdeckung, wie sie Arrigo Sacchi beim AC Milan Ende der 80er Jahre lehrte, brach dem deutschen Fußball schließlich das Genick. Die einzelnen Elemente waren nicht neu. Raumdeckung hatten schon die Brasilianer 1958 betrieben. Pressing hatten die Holländer in den 70ern praktiziert. Doch in dieser Konsequenz war beides nie gespielt worden.

Zebec findet keine Nachahmer

Und schon gar nicht in Deutschland, wo es gang und gäbe war, den Gegenspielern auf Schritt und Tritt zu folgen. Auch wenn, das soll nicht verschwiegen werden, Trainer wie Branko Zebec in den 70ern auch schon mit Pressing und Raumdeckung arbeiteten.

Wolfgang Frank, später Raumdeckungspionier als Trainer in Mainz, erinnert sich bei SPOX an seine aktive Zeit bei Eintracht Braunschweig: "Wir sind damals unter Zebec schon nicht stupide hinter unseren Gegenspielern hergelaufen." Aber Zebec war eine Ausnahme, wie Frank sagt: "Branko Zebec war seiner Zeit um Jahre voraus." Seine Methoden fanden hierzulande keine Nachahmer.

Nun, Anfang der 90er Jahre war es international üblich geworden, dass Fußballspiele nur noch in einem etwa 30 auf 40 Meter breiten Korridor stattfanden. Und genau diese Enge des Raums war es, die die deutschen Stärken negierte und die Defizite gnadenlos aufdeckte.

Raumgreifende Sprints mit Ball, wie sie Franz Beckenbauer in den 70ern und Lothar Matthäus in den 80ern und 90ern geboten hatten, waren ohne Manndeckung, wo ja jeder seinem Gegenspieler gefolgt war, plötzlich unmöglich geworden. Im Raum standen nun überall Gegner, die sich auf den ballführenden Mann stürzten.

"Damals hat sich die Spreu vom Weizen getrennt"

Der Spielgestalter traditioneller Prägung hatte in einer konsequenten Raumdeckung auch keine Zeit mehr, das Spiel seiner Mannschaft in Feldherrenmanier zu ordnen, weil ihn gleich mehrere Gegner attackierten. Und der wichtigste Punkt: Da eine ausgereifte Technik traditionell keine deutsche Kernkompetenz war, konnten sich die Spieler immer seltener aus bedrängten Situationen befreien.

Wer nicht in der Lage war, einen Pass vom Mitspieler sofort zu kontrollieren und präzise weiterzuspielen, der hatte in der neuen Fußballwelt keinen Platz mehr.

Als sich die Raumdeckung dann Ende der 90er Jahre auch in Deutschland durchsetzte, bedeutete das harte Zeiten für viele Spieler. Holger Stanislawski, heute Trainer, damals Spieler beim FC St. Pauli, erinnert sich im Gespräch mit SPOX: "Damals hat sich schon die Spreu vom Weizen getrennt. Wer mit dem neuen Anforderungsprofil im Fußball nicht zu Recht kam, der wurde durch die Ligen nach unten durchgereicht."

Umbruch von unten nach oben

Auf den strategisch wichtigen Positionen verpflichteten die Bundesligaklubs Ausländer, die schon Systemerfahrung hatten. Deshalb fehlt dem deutschen Fußball heute zum Beispiel mindestens eine Generation von Innenverteidigern.

Die junge Garde der deutschen Verteidiger (etwa die frisch gebackenen U-21-Europameister) dagegen hat nie etwas anderes als Raumdeckung und Viererkette kennen gelernt.

Der Umbruch begann von unten. Besonders der Württembergische Fußballverband trieb die Entwicklung in den frühen 90er Jahren nach vorne. Und vom Jugend- und Amateurbereich drang die Raumdeckung langsam in den Profifußball durch. Von unten nach oben.

Ungewohnte Taktiklektionen

So feierten Trainer wie Wolfgang Frank, Ralf Rangnick und Volker Finke ihre ersten Erfolge in der Zweiten Liga. Für ihre Spieler war der neue Fußball ein Schock. Christian Hock, zuletzt Trainer beim SV Wehen-Wiesbaden, früher in Mainz Spieler unter Wolfgang Frank, erinnert sich: "Ich bin bei Mainz zum ersten Mal überhaupt mit Taktik in Berührung gekommen. In meiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach ist nie Taktik trainiert worden. Meine erste taktische Schulung erlebte ich unter Wolfgang Frank in Mainz."

Auch für den Mittelfeldspieler Hock begann eine neue Zeitrechung: "Wir mussten lange üben, um das System im Training einzustudieren. Es war total ungewohnt, weil man nun permanent Gegner und Ball im Auge haben musste."

Auf die Defensive kommt es an