"Ich bin halt kein zweiter Drogba"

Von Interview: Haruka Gruber
Die neue Heimat von Sebastian Kneißl: der 1. FC Schweinfurt 05
© Imago

Als Teenager galt Sebastian Kneißl als der nächste deutsche Fußball-Superstar und wechselte zum FC Chelsea. Mit 26 Jahren trat er bereits einmal zurück, arbeitete in Londons gefährlichstem Viertel als Streetworker - und spielt seit dem Winter beim 1. FC Schweinfurt 05, in dieser Saison aus der fünften in die sechste Liga abgestiegen. Kneißl über den vermeintlichen Absturz, Roman Abramowitsch und eine Fahrt in Marcel Desaillys Ferrari.

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SPOX: Sie wurden als Teenager von Bayern München, Real Madrid oder Ajax Amsterdam gejagt und standen fünf Jahre beim FC Chelsea unter Vertrag. Wie landet dann ein 26-Jähriger in der Winterpause beim Tabellenletzten der Bayernliga, der vor eineinhalb Wochen auch noch in die Landesliga abgestiegen ist?

Sebastian Kneißl: Die Monate zuvor habe ich bereits in Weiden, ebenfalls ein Bayernligist, gespielt. Daher kannte ich Schweinfurt schon ein bisschen. Deren Trainer hat im Winter auf gut Glück bei mir angerufen, mir das Konzept vorgestellt und zudem den Trainerjob für die U 15 angeboten. Das hat sich viel versprechend angehört. Leider hat es mit dem Klassenerhalt nicht geklappt.

SPOX: Ihr Werdegang verwundert. Zwischenzeitlich hatten Sie Ihre Profi-Karriere schon beendet und in Londons größtem Problemviertel als Streetworker gearbeitet.

England: Friedhof der deutschen Talente?

Kneißl: Es gab eine Reihe von Rückschlägen. Begonnen hatte es 2003. Beim FC Chelsea stand ich kurz vor dem Sprung in die erste Mannschaft, dann kam aber Roman Abramowitsch, der den Verein gekauft und viel Geld für neue Spieler ausgeben hat, so dass für mich kein Platz mehr war. Wenig später bin ich nach Belgien zu Westerlo ausgeliehen worden, wo ich mich überhaupt nicht wohl gefühlt habe. Danach lief es in der ersten Saison beim damaligen Zweitligisten Burghausen sehr gut, im zweiten Jahr wurde ich unerklärlicherweise aber nicht mehr berücksichtigt. Daraufhin ist etwas in mir passiert.

SPOX: Was?

Kneißl: Ich habe komplett meine Motivation verloren. Der totale Frust. Mir war es egal, ob ich gespielt habe oder auf der Bank saß. Ich war irgendwann sogar regelrecht froh, wenn ich nur Reservist war und im Training nicht mehr so viel investieren musste.

SPOX: Und deswegen haben Sie mit 24 Jahren einen Schlussstrich gezogen?

Kneißl: Im Sommer 2007 hatte ich die Schnauze voll vom Fußball. Hass wäre ein zu starkes Wort, aber ich wollte einfach nichts mehr von Fußball hören. Wenn ich im Fernsehen ein Spiel gesehen habe, war es mir komplett egal, wie es ausging. Deswegen habe ich mich neu orientiert...

SPOX: ... und sind nach London zurückgezogen, wo Sie Kinder aus sozial schwachen Familien trainiert haben.

Kneißl: Als meine damalige Freundin, eine Pressesprecherin bei Chelsea, gehört hatte, dass ich es als Trainer versuchen will, hat Sie den Kontakt zu einem Coach von Chelsea hergestellt, der sich um Straßenkinder kümmert. Ich habe ein Jahr lang mit Elf- bis 17-Jährigen gearbeitet - und es hat mir meine Augen geöffnet. Dass ich vorher alles zu eng gesehen habe. Dass ich nur an den Fußball und an den Druck gedacht habe. Dass es Leute gibt, denen es viel schlechter geht als mir.

SPOX: Was haben Sie erlebt?

Kneißl: In London herrschen zum Teil amerikanische Verhältnisse. Wie in der Bronx. Das habe ich gleich bei meinem ersten Training gemerkt, als die Kinder vor der Einheit ihre Geldbeutel, Schlüssel und Handys abgaben. Plötzlich lagen aber auch zehn Messer und drei, vier Pistolen herum. Da fragt man sich, wo man gelandet ist.

SPOX: War es gefährlich?

Kneißl: An einem Montag konnten wir nicht trainieren, weil es zu stark geregnet hatte. Am Tag darauf hörte ich, dass sich genau an unserem Platz eine Schießerei ereignet hat. Beim nächsten Training hatte dann ein Junge, der immer dabei war, gefehlt. Erschossen. Ich habe gelernt, dass man nicht alles an sich heranlassen darf.

SPOX: Haben Sie dennoch persönliche Beziehungen aufgebaut?

Kneißl: Irgendwann kam ein Elfjähriger und hat gesagt: 'Ey, Du bist jetzt mein Kumpel. Wenn Dir was passiert, ruf mich an. Ich komme mit meinen Jungs vorbei.' Ich stand da als 25-Jähriger und dachte nur: 'Wie will der Knirps mir denn helfen?' Nun ja, später wurde mir erzählt, dass sein älterer Bruder der Boss von einer der größten Gangs Londons ist.

SPOX: Andere hätten Muffensausen bekommen.

Kneißl: Dieses Gespräch hat mir gezeigt, dass ich von den Jungs akzeptiert wurde, was mir sehr wichtig war. Ich wollte ja nicht als Lehrer auftreten, sondern Spaß und grundlegende Regeln im Miteinander vermitteln. Mit einigen halte ich heute noch über "Facebook" Kontakt.

SPOX: Sie sind zwar im besten Fußballer-Alter, dennoch sehen Sie sich zukünftig als Trainer?

Kneißl: Ich muss mir von anderen zu Recht ankreiden lassen, mein Talent vergeudet zu haben. Aber Gott sei Dank habe ich es rechtzeitig gemerkt, so dass ich noch Fußballspielen kann und meine Knochen halten. Aber mittelfristig will ich als Trainer durchstarten. Zunächst fange ich im September beim Hauptsponsor von Schweinfurt eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann an, danach will ich aber den A-Trainerschein und den Fußballlehrer machen. Mein Traum ist es, irgendwann im Trainerstab des FC Chelsea zu arbeiten.

SPOX: Als Jugendlicher haben Sie die Chance noch vertan, sich bei den Blues durchzusetzen.

Kneißl: Ich dachte in meiner jugendlichen Naivität, dass mir alles zufliegt. Mein erstes Jahr in London lief sehr gut, im zweiten habe ich angefangen zu glauben, dass die Tore von alleine kommen. Da hat es schlicht an der Einstellung gemangelt. Statt 15 Minuten länger zu trainieren, habe ich überlegt, wo man shoppen gehen kann oder wo das nächste schöne Cafe ist.

SPOX: Vom Talent her standen Ihnen alle Türen offen. Sie haben immerhin rund 50 Jugend-Länderspiele absolviert.

Kneißl: Man hört häufig davon, dass Spieler, die in der U 15 feste Größen waren, den Durchbruch verpassen. Ich habe mich wenigstens bis in die U 20 gehalten, aber ich bin eben auch einer derjenigen, die es nicht geschafft haben. Wenn jemand zu früh hochgejubelt wird, verliert er den Boden unter den Füßen. Vor allem, wenn man wie ich jung von zuhause weg geht und in der fremden Stadt treiben kann, was man will.

SPOX: Und Schritt für Schritt sind Sie in eine Lebenskrise geschlittert?

Kneißl: Lebenskrise ist übertrieben. Aber vieles lief zu schnell ab. Zunächst sagt man sich: 'Es kann doch nur nach oben gehen. Was kostet schon die Welt?' Aber wenn es doch mal abwärts geht, sieht man es als junger Spieler total dramatisch und lässt sich dadurch verunsichern. Und in so einem Fall hilft die größte fußballerische Begabung überhaupt nichts. Der Wille und die Einsatzbereitschaft müssen stimmen - und daran hat es bei mir gehapert.

SPOX: Haben Sie zu sehr auf das Geld geachtet, als Sie mit 17 von Frankfurt nach London gingen?

Kneißl: Das Gerücht mit dem Geld ist Quatsch. Wäre es danach gegangen, hätte ich zu Lazio Rom gehen müssen. Ich habe geschaut, wo ich meinen Karriereplan am besten umsetzen kann, und Chelsea hat den glaubwürdigsten Eindruck hinterlassen. Es konnte keiner ahnen, dass plötzlich ein Abramowitsch auftaucht und alles im Verein ändert. Dennoch: Ich würde mich jedes Mal genauso entscheiden.

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SPOX: Weil?

Kneißl: Weil ich so viel erlebt habe. Ich habe mit Gianfranco Zola gespielt, mich haben Gianluca Vialli, Claudio Ranieri und für einen Monat Jose Mourinho trainiert. Ich durfte Marcel Desailly, meinem großen Vorbild, die Schuhe putzen und einmal hat mich Desailly nach einer Einheit sogar in seinem Ferrari mitgenommen, da ich damals noch keinen Führerschein hatte. Ich habe alles mitgemacht, es war eine geile und teilweise krasse Erfahrung.

SPOX: Hat Ihre Vergangenheit in Chelsea auch nicht so erfreuliche Folgen?

Kneißl: Die Jahre in London werden mir immer hängen bleiben. Selbst heute werde ich noch mit zu hohen Erwartungen konfrontiert. Dabei müssen die Leute verstehen, dass ich zwar talentiert war und eine gute Ausbildung bei den Blues genossen habe - aber dass das ganze Paket einfach nicht gereicht hat, um sich bei einem Topklub zu etablieren. So ehrlich muss man mit sich sein. Ich bin halt kein zweiter Didier Drogba.

Der Endstand in der Bayernliga