Voll verkuppelt

Von Dominik Geißler
Lewis Hamilton verlor beim Start in Monza fünf Positionen
© getty

Lewis Hamilton verlor den Großen Preis von Italien gegen Nico Rosberg schon am Start. Weil der Internationale Automobilverband FIA den Startmechanismus zu Saisonbeginn änderte, häufen sich die Patzer beim Losfahren im gesamten Formel-1-Feld. Erstaunlich jedoch: Das sonst so dominante Mercedes-Team hat hier die größten Probleme.

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0,478 Sekunden Rückstand brummte Lewis Hamilton seinem Teamkollegen Nico Rosberg in der Qualifikation zum Italien-GP auf. 0,478 Sekunden, die die Dominanz des Weltmeisters auf dem kurvenarmen Vollgaskurs in Monza nur so unterstrichen.

Am Sonntag sollte dann die nächste Triumphfahrt im königlichen Park folgen. Mit einem Sieg vor Rosberg hätte Hamilton seinen Vorsprung in der Weltmeisterschaft auf 16 Punkte hochgeschraubt und einen weiteren Schritt Richtung Titelverteidigung gemacht. Doch es kam anders.

Hamilton verpatzte den Start gänzlich. Nach nur wenigen Metern begannen seine Hinterräder durchzudrehen. Auf den nächsten 360 Metern zogen nicht nur Rosberg, sondern auch Sebastian Vettel, Kimi Räikkönen, Valtteri Bottas und Daniel Ricciardo vorbei. Statt eines lockeren Start-Ziel-Sieges hieß das Motto für den auf Platz sechs zurückgefallenen Hamilton nun Aufholjagd. Rosberg konnte währenddessen ungefährdet seinem ersten Sieg in Monza entgegenfahren - und den Punkterückstand auf zwei Zähler verkürzen.

Die Schuld für das Malheur nahm Hamilton dabei schon während des Rennens auf seine Kappe. "Jungs, macht euch wegen des Starts keine Sorge. Das war mein Fehler", gab der Mercedes-Pilot via Boxenfunk zu. Motorsportchef Toto Wolff pflichtete nach dem Rennen wenig sanft bei: "Das hat er versemmelt."

FIA ändert Startmechanismus

Doch was bei dem Trubel um Hamilton fast unterging: Der Engländer war nicht der einzige mit einem Katastrophenstart. Auch Gutierrez und Verstappen kamen kaum vom Fleck. Der Mexikaner im Haas zwang den hinter ihm startenden Fernando Alonso zu einem Ausweichmanöver, während Verstappen von Platz sieben ins Rennen gehend zwischenzeitlich aus den Top 10 rutschte.

Es fällt auf, dass in diesem Jahr teils extreme Positionsverschiebungen beim Start fast schon zur Tagesordnung gehören. Es ist ein Trend, der mit dem Belgien-GP 2015 begann und sich seit der aktuellen Saison verstärkt hat. Ursache sind die Regeländerungen der FIA.

Der Internationale Automobilverband legte vor dem Spa-Wochenende im Vorjahr fest, dass die Kupplung nach dem Qualifying nicht mehr angepasst werden darf. Probestarts nach der Quali? Sind gestrichen. Der optimale Schleifpunkt muss bereits vorher gefunden werden. Nachjustierungen - wie zum Beispiel das Finden der richtigen Temperatur - sind nur noch ohne Ingenieurshilfe gestattet.

Mit dieser Umstellung sollte der Start wieder mehr in die Verantwortung des Fahrers gelegt werden und variablere Startvorgänge erzeugt werden. "Nur mit dem richtigen Setup wird es ein guter Start. Das heißt, wir werden größere Unterschiede zwischen guten und schlechten Starts sehen", war sich Verstappen schon damals sicher.

Jenson Button verglich das neuere Prozedere sogar mit einem handelsüblichen PKW. Der Start sei nun "wie bei einem normalen Straßenauto. Außer dass du es anstatt des Fußes mit der Hand machst. Natürlich ist es schwierig, weil du so viel Drehmoment hast. Aber das verleiht dem Ganzen mehr Würze."

Fahrer auf sich gestellt

Für 2016 ging die FIA noch einen Schritt weiter. Während in der Vergangenheit zwei Kupplungshebel am Lenkrad genutzt wurden, darf der Pilot jetzt nur noch einen verwenden.

Bis zu diesem Jahr funktionierte der Start so: Der Fahrer drückte die zwei Kupplungshebel, die sich jeweils rechts und links an der Lenkradrückseite befanden, bis die Ampellichter erloschen. Um dann loszufahren, ließ er einen Hebel direkt los. Den zweiten löste er möglichst gefühlvoll, um den richtigen Schlupf zu finden und durchdrehende Räder zu verhindern.

Durch den Wegfall des einen Kupplungshebels verändert sich der Vorgang drastisch. Bei eingelegtem Gang hält der Fahrer den Motor bei knapp 12.000 Umdrehungen, bevor die Ampellichter ausgehen. Bis ungefähr 50 km/h erreicht sind, sucht der Pilot nun den Schleifpunkt am Hebel und erhöht mit dosierter Gastpedalstellung gleichzeitig die Drehzahl.

Besonders tricky: Die Einheitselektronik deaktiviert mittlerweile den sogenannten "Schleichpunkt-Finder", der Fahrer ist also auf sich gestellt. Ab rund 100 km/h ist schließlich Vollgas angesagt und das eigentliche Startprozedere beendet.

"Sobald sie die Kupplung loslassen, liegt die Verantwortung allein beim Fahrer. In dieser Mittelphase versucht der Fahrer, die Balance für den perfekten Reifenschlupf zu finden. Ein bisschen zu viel in die eine Richtung - und die Räder drehen durch. Ein bisschen zu viel in die andere Richtung und das Auto gerät ins Stottern", zitiert Speedweek einen Mercedes-Verantwortlichen.

Mercedes besonders anfällig

Dass aufgrund der Komplexität des Vorgangs, der in der Formel 1 nicht einmal drei Sekunden dauert, Fehler passieren, ist dabei so voraussehbar wie ein Mercedes-Weltmeistertitel in diesem Jahr. Erstaunlich aber: Die sonst so dominierenden Silberpfeile scheinen mit dem neuen System die größten Probleme im Feld zu haben.

Eine kurze Aufarbeitung der bisherigen Saison zeigt das gut. Beim Auftakt in Australien zogen die beiden Ferrari an Rosberg und Hamilton vorbei. Auch in Bahrain und China fiel jeweils ein Mercedes beim Start zurück. In Kanada schnupfte Vettel erneut beide Silbernen, in Ungarn und vor allem Deutschland kam Rosberg schlecht vom Fleck. In Italien war es Hamilton.

Natürlich, je weiter vorne man startet, desto mehr Plätze kann man theoretisch auch verlieren. Eine Startschwäche ist Mercedes aber dennoch nicht abzusprechen. Hamilton und Rosberg gelingen zwar immer wieder gute Starts. Allein: Es fehlt die Konstanz. In Stuttgart tappt man daher im Dunklen. "An einem Tag geht es richtig gut, an einem richtig schlecht", runzelte Wolff nach dem Rennen in Monza die Stirn.

Rätselraten bei Hamilton

"Ich verstehe nicht ganz, was mit der Kupplung passiert ist. Die Kupplung lieferte einfach nicht jenes Drehmoment, das ich gewohnt bin. Meine Kupplung rutschte also zu stark, dabei habe ich die ganzen Abläufe exakt befolgt. Auch die Probestarts waren gut", wunderte sich Hamilton beispielsweise nach dem GP von Kanada.

Auf der Formationsrunde sei der Start phantastisch gewesen, meinte der 31-Jährige damals in Montreal: "Eine Runde später mache ich exakt das Gleiche, und das verflixte Ding rutscht nur. Die Kupplung ist wirklich etwas, das wir uns dringend ansehen müssen. Es macht mir schon Sorgen, dass wir immer und immer wieder von der Kupplung erwischt werden. Wir müssen das verstehen."

Verstanden hat Mercedes die eigene Kupplung jedoch bis heute nicht. "Wir wissen es nicht ganz genau", gab Chefingenieur Aldo Costa nach dem Italien-GP zu: "Die Hinterreifen sind von Anfang an weggerutscht."

Die einzige Schwäche

Es scheint, als sei die von AP Racing hergestellte Kupplung sehr sensibel. Hat sie nicht das optimale Temperaturfenster und treffen die Fahrer nicht den idealen Schleifpunkt, sind die Folgen größer als bei anderen Teams. Ein Wechsel des Herstellers steht für Mercedes dennoch nicht zur Debatte.

Die Startprobleme könnten sich damit für das Team aus Brackley bis ans Ende der Saison ziehen - und womöglich eine entscheidende Rolle im Kampf um die Fahrer-WM spielen. Denn: Nachdem die Zuverlässigkeitsprobleme zu Jahresbeginn ausgemerzt wurden, ist der Start die einzig übrig gebliebene Schwäche des F1 W07. Der Feind von Mercedes heißt daher nicht Ferrari oder Red Bull, sondern Kupplung.

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