Was bei Mercedes wirklich schief ging

Nico Rosberg und Lewis Hamilton schienen in Montreal uneinholbar, bis die Technik streikte
© getty

Der sechste Doppelsieg in Folge war für Mercedes beim Kanada-GP zum Greifen nah, doch an den beiden Autos von Nico Rosberg und Lewis Hamilton traten Fehler auf. Das schlechteste Saisonergebnis ist eventuell selbstverschuldet, was Daniel Ricciardo den ersten Sieg seiner Karriere einbrachte.

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Es war eine kurze Mitteilung, die das Mercedes-Team nach dem Rennen am Sonntag twitterte: "Offiziell: Fehler der Hochspannungs-Kontrollelektronik führte zu permanentem Verlust der MGU-K an beiden Autos." Was kompliziert klingt, ist relativ einfach erklärt: Die komplizierte Technik funktioniert auch bei den Silberpfeilen nicht immer fehlerfrei. Die Energierückgewinnung beim Bremsvorgang, bis zur Saison 2013 als KERS bekannt, war ausgefallen.

Dass die Steuerungselektronik der wunde Punkt der neuen Technik ist - ein offenes Geheimnis. Die Komponente leitet die beim Bremsen und aus den Turbo-Abgasen gewonnene Energie unter Hochspannung ans Speichermodul weiter und koordiniert das Abrufen beim Beschleunigen. Dabei wird das Teil extrem erhitzt und ist dadurch fehleranfällig.

Sebastian Vettel fährt derzeit etwa schon mit dem fünften Bauteil, mehr sind in der gesamten Saison nicht erlaubt. Braucht der Renault-Antrieb des Weltmeisters ein neues Teil, kassiert der 26-Jährige automatisch eine Strafversetzung um zehn Plätze im nächsten Rennen. Da Vettel nicht der Einzige ist, drohen in der zweiten Saisonhälfte komplizierte Rechenaufgaben, wie die Startaufstellung wirklich aussieht.

Mercedes übt sich als Sparfuchs

Bisher allerdings läuft noch alles normal. Damit das eigene Werksteam die Grenze auch später nicht erreicht, sparte Mercedes bisher. Nico Rosberg und Lewis Hamilton starteten in Montreal mit dem zweiten Bauteil aller sechs Einzelkomponenten ihrer Power Units ins Wochenende.

Schon seit dem Monaco-GP vor zwei Wochen ist klar, dass die bisherige Version ein Risiko birgt. Der Motorschaden von Valtteri Bottas rührte ebenso von einem Problem mit der Energierückgewinnung MGU-K her wie die technischen Probleme von Sergio Perez im Freien Training von Kanada. Beide erhielten neue, verbesserte Komponenten.

Kanada-GP-Analyse: Drama pur! Mercedes streikt - Ricciardo siegt!

Allerdings kann das nicht der Grund für Hamiltons Ausfall sein. Der Engländer hatte vor dem Qualifying am Samstag ebenfalls eine neue Steuerungselektronik bekommen. Interessant ist, wann die Probleme auftraten, die nicht mal mit einem Reset der Einheit zu beheben waren.

"Wir hatten einen exakt zeitgleichen Ausfall der MGU-K an beiden Autos", sagte Technikchef Paddy Lowe. Motorsportdirektor Toto Wolff gab zu, dass der Motorenhersteller nicht damit gerechnet hatte, dass die hohen Temperaturen im Heck des Autos solche Probleme auslösen könnten.

"Eine fantastische Schadensbegrenzung"

Das Unglück passierte kurz nach dem ersten Boxenstopp, das Stehen beim Reifenwechsel könnte die Temperaturen zu sehr in die Höhe getrieben haben. Weil die Sensoren eine Überhitzung feststellten, beendete Rosberg das Rennen ohne die zusätzlichen 160 PS des elektrischen Teils des Hybridsystems. Nur der Verbrennungsmotor lieferte den Vortrieb.

"Nico hat eine sensationelle Leistung gezeigt", lobte Wolff deshalb: "Wenn man bedenkt, wie viel weniger Power er im Vergleich zu den anderen Autos hatte, war das eine fantastische Schadensbegrenzung."

Hamilton gab dagegen mit Bremsproblemen sogar auf, obwohl bei beiden Autos derselbe Defekt vorlag. Seit 2014 wird an der Hinterachse mittels des Generators wesentlich mehr kinetische Energie gewonnen, gleichzeitig wird das Auto dadurch stärker verzögert. Damit die Piloten das Auto überhaupt noch kontrollieren können, gleicht das Brake-by-Wire-System die unterschiedlichen Grade der Bremswirkung aus.

Kleine Bremsscheiben führen zu Hamilton-Aus

Da das Konstrukt allerdings den Geist aufgegeben hatte, musste Hamilton die herkömmliche Bremse wesentlich mehr belasten. Weil die Teams allerdings auf Gewichtsersparnis aus sind, um ihre Autos schneller zu machen, sind die traditionellen Bremsanlagen 2014 wesentlich kleiner und haben weniger Leistung.

"Ich konnte überhaupt nichts gegen die Schwierigkeiten machen", erklärte der Engländer später. Dass Rosberg durchhielt und Platz zwei ins Ziel rettete, könnte am zusätzlichen Fahrtwind durch seine Führungsposition liegen - oder daran, dass er besser mit dem Problem umging und die Bremsbalance zulasten der Rundenzeit richtig einstellte.

Was auch der Grund ist, fest steht, dass Hamilton wieder von neuem beginnen kann. Seit dem Ausfall beim Saisonauftakt in Australien hatte er sich gemüht, 25 Punkte Rückstand aufzuholen. Jetzt sind es wieder 22 Zähler, die ihn von Rosberg trennen. "Ich habe schon 50 Punkte verloren, ich werde sie mir woanders holen", sagte der 29-jährige Champion der Saison 2008.

Ricciardo siegt - Red Bull mit Psycho-Spielchen

So stand am Ende kein Mercedes-Fahrer auf dem Podium, sondern ein Red Bull - völlig unerwartet. Daniel Ricciardo sicherte seinen ersten Sieg in der Formel 1 und wurde dafür von seinem Team gefeiert. "Es ist noch immer surreal, aber richtig cool", sagte der 24-Jährige mit einigem Abstand: "Es wäre enttäuschend gewesen, wenn sie ihre Probleme gehabt hätten und wir immer noch hinter ihnen gewesen wären."

Durch seinen Erfolg fliegt Ricciardo als WM-Dritter zum nächsten Grand Prix nach Österreich. Beim Red-Bull-Heimspiel auf der hauseigenen Strecke soll der Abstand kleiner werden, weil der Renault-Antrieb nochmals nachgebessert wird. "Wir brauchen mehr von allem", sagte Teamchef Christian Horner: "Deshalb wird in allen Bereichen nach Leistung gesucht. Bei der Software. Bei der Integration der Hardware. Und beim Kraftstoff." Total bringt immerhin ein neues Benzin mit nach Zeltweg.

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Und auch Abseits der Strecke wirft der Wettkampf Schatten. "Wir sind rausgeschmissen worden", beklagte sich Wolff in Montreal: "Die, die am meisten und härtesten am Auto arbeiten, müssen jetzt jeden Tag 70 Kilometer pendeln."

Was der Mercedes-Verantwortliche meint: Im gebuchten Hotel ist plötzlich kein Platz mehr. Die Mechaniker übernachten im 70 Kilometer entfernten Graz, während die Fahrer und Wolff Wohnmobile beziehen. Dass die meisten Hotels in unmittelbarer Nähe der Rennstrecke ebenfalls zum Red-Bull-Konzern gehören, ist sicher nur ein Zufall.

Stand in der Fahrer- und Kontrukteurs-WM

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