Eine glattrasierte Suche nach der Power

Kimi Räikkönen kommt mit seinem Ferrari F14-T selbst jetzt noch nicht wirklich zurecht
© getty

Es war das beherrschende Thema nach dem Formel-1-Saisonende 2013: Wird Kimi Räikkönen gegen Fernando Alonso im teaminternen Duell bei Ferrari die Oberhand behalten? Schon lange vor dem Großen Preis von Brasilien (alle Sessions im LIVE-TICKER) war die Antwort klar. Doch die Schuld für die miesen Resultate liegt nicht wirklich beim Iceman.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Ich hasse die Situation, wie sie derzeit ist und die Dinge laufen - ich kann sie nicht selbst lösen", machte der 35-Jährige nach dem USA-GP seinem Ärger Luft. Als 13. landete er im Austin-Rennen nur auf dem vorletzten Platz. Lediglich Esteban Gutierrez im Sauber war noch langsamer.

Eine Ausnahme ist das nicht: Von Melbourne bis Austin hat der Finne es genau einmal unter die Top 5 geschafft - auf seiner Paradestrecke in Spa-Francorchamps. Teamkollege Alonso gelang das Kunststück ganze acht Mal, zudem gewann er an 15 Samstagen das interne Duell im Qualifying.

Egal welche Statistik ausgegraben wird, sie fällt aus Räikkönens Sicht negativ aus. Am vernichtendsten ist aber der Blick auf die Fahrerwertung: 149 Punkte hat der Spanier gesammelt, mehr als dreimal so viel wie der Iceman. Ein Urteil über die Qualität der beiden Fahrer lässt das aber nicht zu.

Wie sein Freund Sebastian Vettel bei Red Bull kämpft auch Räikkönen bei Ferrari mit den Auswirkungen des neuen Reglements. Dass die Ferrari-Powerunit schwächer ist als die von Mercedes, ist kein Geheimnis. Auf der Motorenstrecke schlechthin sprangen beim Heimspiel in Monza auch ohne Strafen gerade mal die Startplätze 11 und 12 heraus.

Untersteuern trifft Fernando Alonso weniger

Doch den Unterschied zum eigenen Teamkollegen erklärt es nicht. Der älteste Pilot im ganzen Fahrerfeld klagt immer wieder über Untersteuern. Zusammen mit seinen Ingenieuren bekommt er einfach kein vernünftiges Setup hin, das seinem Fahrstil entspricht und gleichzeitig die Vorderreifen nicht übermäßig belastet.

"Was auch immer wir versuchen, wir bekommen es nicht weg. Dadurch machen wir uns im Rennen die Vorderreifen kaputt", erklärt er: "Es ist frustrierend, dass wir nicht in der Lage sind, die Probleme zu beheben. Wenn wir wüssten, woher sie überhaupt stammen, wäre das schon sehr hilfreich."

Von Alonso ist bekannt, dass er aus jedem Auto das Optimum herausholt. Kleine Schwächen stören den Asturier kaum. "In bestimmten Bereichen hat er die gleichen Probleme, aber es scheint ihn nicht allzu sehr zu stören, wenn die Frontpartie wegrutscht", sagt auch Räikkönen.

Behindern Räikkönen die Reifen?

Doch neben aerodynamischen Schwächen am F14-T könnten auch andere Teile für die Probleme verantwortlich sein. Beim Blick auf die die Ergebnisse der letzten Saison fällt auf, dass Räikkönen immer dann gut war, wenn softe oder supersofte Reifen von Pirelli geliefert wurden.

Alle neun Podiumsplatzierungen fuhr der Iceman mit den weicheren Mischungen ein. Gab es dagegen die härtesten Gummis, reichte es kaum zum Sprung unter die Top Five. Einer Durchschnittsplatzierung von 2,7 auf soft und supersoft steht im Mittel Platz 8,2 gegenüber.

Die Reifen in der Saison 2014 sind allerdings allesamt eine Stufe härter ausgefallen als die Vorjahresmodelle, um das höhere Drehmoment der Powerunits an der Hinterachse auszugleichen. Räikkönen fährt also in diesem Jahr eigentlich immer mit den härteren Mischungen des Vorjahres.

"Man kann Probleme nicht in Luft auflösen"

"Natürlich habe ich versucht, mich anzupassen. Jedes Jahr gibt es Neues", räumt Räikkönen angesprochen auf die Veränderungen an: "Man muss Kompromisse eingehen, aber man kann gewisse Probleme nicht einfach in Luft auflösen." Immerhin: Der Lernprozess bringt Fortschritte mit sich.

"Die Pace von Kimi verbessert sich", verteidigte Teamchef Marco Mattiacci zuletzt seinen Neuzugang, obwohl sich das nicht direkt in Punkte niederschlage: "Aber er steigert seine Geschwindigkeit." Die hohen Erwartungen Räikkönens befriedigt das nicht: "Es gibt Positives, aber wir stehen als Team nicht dort, wo wir stehen sollten. Und das ist an der Spitze. Es ist ein langes und enttäuschendes Jahr. "

Dass die Misserfolge der Saison 2014 nicht den Fahrern zuzuschreiben sind, weiß die Führungsriege. "Wir müssen in ein paar Hintern treten und das müssen wir schnell tun", sagte Montezemolo-Nachfolger Sergio Marchionne: "Ein Ferrari, der nicht auf einer Formel-1-Strecke gewinnt, ist kein Ferrari. Ich kann mit Perioden von Pech leben, aber es darf kein strukturelles Element der Marke sein."

Alonso rettete Ferrari jahrelang

Doch das ist es längst. Seit dem Großbritannien-GP 2012 stand kein rotes Auto mehr auf der Pole Position, doch ein genauerer Blick macht das Bild noch schlimmer: Seit vier Jahren holte die Scuderia nicht mehr Startplatz 1 bei trockener Strecke. Nur das fahrerische Talent von Alonso rettete die Scuderia im Regen mehrmals.

Der Spanier hat die Konsequenzen daraus gezogen, dass Ferrari auch die Reglement-Revolution in diesem Jahr nicht nutzen konnte. Besonders bei der Antriebseinheit verkalkulierte man sich vollends. Den Mercedes-Trick, das ERS-H vom Turbo zu trennen verpasste die Scuderia wie Renault. Viel schlimmer: Der Turbo wurde zu klein konstruiert, um den Aerodynamikern mehr Spielraum zu lassen. Kein Wunder, dass der langjährige Motorenchef Luca Marmorini die Koffer packen musste.

Ferrari hat den Einfluss der neuen Antriebstechnik während der Entwicklung unterschätzt. Deshalb übernahm Mattiacci als Formel-1-Fremder die Rolle des Teamchefs vom Motorsport-Fachmann Stefano Domenicali: Alte Zöpfe radikal abschneiden war das Ziel.

Die Scuderia mag momentan eine Glatze tragen, doch im Hintergrund macht sie Politik wie eh und je. Dass Ferrari unbedingt die Motorenhomologation für 2015 aushebeln will und zusammen mit Renault immer wieder betont, dass durch die verlängerte Weiterentwicklungsdauer keine Zusatzkosten für die Kundenteams entstehen, ist ein erster Schritt.

Räikkönen erwartet großen Sprung in 2015

"Wir haben viel aus diesem Jahr gelernt. Wir erwarten nicht, die Weltmeisterschaft direkt anzuführen und alle Rennen zu gewinnen. Aber ich bin sicher, wir werden einen großen Schritt nach vorne machen. Wir werden vorne mitkämpfen und die Probleme abstellen", sagte selbst der sonst öffentlich mürrische Iceman.

Dass er sich der Scuderia noch einmal angeschlossen hat, bereut er trotz WM-Rang 12 nicht. "Ich habe hundertprozentig die richtige Entscheidung getroffen", erklärte er und erlaubte sich einen seiner Sprüche: "Ich bin lieber in einem Ferrari als in einem anderen Team, wenn ich nicht auf dem ersten Platz bin."

GP-kompakt: Vorsicht Bauarbeiten!

Von Motivationsproblemen für die Saison 2015 kann also keine Rede sein, zumal Räikkönen dann wohl mit seinem Kumpel Sebastian Vettel die Garage teilt: "Mit ihm unternehme ich etwas auch außerhalb des Rennsports. Er ist einfach ein ganz normaler Kerl, wir haben eine voll lockere Beziehung. All die anderen Piloten sind für mich keine Freunde, sondern nur Gegner."

Der eigentlich schon angekündigte Abschied könnte dadurch sogar aufgeschoben werden. "Ich habe einen Vertrag für kommendes Jahr und wahrscheinlich noch für ein weiteres", offenbarte der Finne zuletzt bei "CNN" und ergänzte: "Die Leidenschaft ist immer noch da. Ich höre erst auf, wenn ich keine Freude mehr am Job habe." Jetzt müssen Ferrari nur die Haare nachwachsen.

Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM

Artikel und Videos zum Thema