Vettel: "Das hat nicht viel mit Rennfahren zu tun"

Von Alexander Maack
In Shanghai fuhr Vettel Alonso nur hinterher und regte sich nach dem Rennen über die Reifen auf
© getty

Über Abwechslung kann sich in der laufenden Formel-1-Saison bisher niemand beklagen. Mit Vizeweltmeister Fernando Alonso hat beim Großen Preis von China im dritten WM-Lauf nach Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel der dritte Pilot ein Rennen gewonnen. Die Reifenlotterie macht die Königsklasse abermals spannend.

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Dass sich über die Abwechslung nicht alle Piloten freuen, ist klar. Eigentlich gilt Red Bulls RB9 als schnellster Wagen im Feld. Bei den beiden Auftaktrennen sicherte sich Vettel die Pole-Position. In Australien konnte er dennoch nicht gewinnen. Mittlerweile ist der Heppenheimer gefrustet, weil sich die Formel 1 wieder zur Formel Reifensparen entwickelt hat.

"Das hat im Moment nicht viel mit Rennfahren zu tun, wenn man das ganze Rennen praktisch nur auf die Reifen auslegt", regte sich Vettel nach seinem vierten Platz in Shanghai auf. Auch wenn er die Führung in der Fahrer-WM verteidigte und jetzt drei Punkte vor Räikkönen und neun vor Alonso liegt, ist der Heppenheimer unzufrieden: "Du kannst nicht die Pace fahren, die das Auto zulässt, weil sonst die Reifen auseinanderfallen würden."

Keine Reifenprobleme bei Siegern

Die Aufregung ist aus Vettels Sicht nachvollziehbar. Auffällig ist, dass bei allen drei Rennen der Pilot gewann, der am besten mit den Reifen zurechtkam. Räikkönen brauchte in seinem Lotus beim Melbourne-Rennen nur zwei Stopps. Vettel hatte in Sepang kaum Probleme mit den soften Slicks. Auf dem Shanghai International Circuit fuhr nun Fernando Alonso fast spielerisch zum Sieg.

"Der Verschleiß der Reifen war besser als erwartet ", freute der spanische Doppelweltmeister direkt nach dem Rennen. Während bei Lewis Hamiltons Mercedes nach seinem Ritt auf die Pole-Position das Gummi des Hinterreifen im Rennen dauerhaft Blasen warf, umkurvte Alonso in seinem F138 die Konkurrenz nahezu mühelos.

Alle Platzierungen in der Übersicht

Dabei fuhr der 31-Jährige zumeist gar nicht am Limit: "Es stimmt, dass wir noch Geschwindigkeit draufpacken könnten. Hoffentlich können wir das in Bahrain nächste Woche zeigen", so Alonso. Für Weltmeister Vettel war die Leichtigkeit der Überholmanöver jedoch ein weiterer Kritikpunkt an Pirelli.

"Mitte des Rennens lässt man die Leute ziehen. Der Fernando ist zweimal an mir vorbei. Ich habe gar nicht versucht, mich zu wehren. Ich hätte mir damit nur selbst ins Bein geschossen", verdeutlichte der 25-Jährige: "Früher war es so, dass man jede Runde attackieren konnte. Jetzt fährt man ein wenig im Dunkeln, was die Zweikämpfe angeht."

Alonso startet freiwillig hinter den Konkurrenten

Eigentlich sind die Voraussetzungen für alle Piloten gleich. Alonsos Erfolg ist ihm aber bei näherer Betrachtung persönlich zuzuschreiben. Der Spanier stimmt seinen Ferrari explizit aufs Rennen ab. Zwar steht er damit mittlerweile in der Startaufstellung regelmäßig hinter seinem Teamkollegen Felipe Massa, im Rennen legt er aber selbst bei schlechteren Startplätzen regelmäßig eine Aufholjagd hin.

Die Alonso-Taktik versuchte Red Bull in China zu kopieren. Weil das Team davon ausging, dass die Pole-Position gegen die schnelle Konkurrenz unerreichbar sein würde, verzichtete Vettel im letzten Teil des Qualifyings darauf, eine Rundenzeit zu setzen. "Es war ein anderer Ansatz im Vergleich zur Normalität", erklärte Vettel am Samstag.

Einen Tag später war der 25-Jährige mit der Entscheidung zufrieden, obwohl er den Sprung aufs Podest verpasste. "Es hat nicht viel gefehlt. Ich glaube knapp drei Sekunden auf Platz zwei", so Vettel: "Die Strategie war richtig. Wir sind vielleicht am Anfang nicht ganz so schnell in die 'Potten' gekommen, wie wir es wollten." Der Grund dafür: Nico Hülkenberg. Der Sauber-Pilot wählte wie Vettel die härteren Medium-Slicks für den Start und überholte den Heppenheimer in der vierten Runde.

Hülkenberg kostete Vettel einen Podestplatz

Anschließend wehrte sich Hülkenberg lange erfolgreich gegen ein Überholmanöver und verhinderte damit Vettels Fahrt aufs Podium. Auf Nachfrage des Teams erklärte der Weltmeister per Funk, dass er etwa 0,5 Sekunden pro Runde schneller fahren könnte, wenn er nur freie Fahrt hätte: "Aber man kommt halt nicht so nah dran, wie man gerne möchte. Gerade zum Überholen reicht es dann nicht, weil die Vorderreifen mehr und mehr darunter leiden, je länger man hinterher fährt."

Warum Vettel nicht am Landsmann vorbeikam, ist leicht herauszufinden: "Die Mercedes sind schneller als wir auf der Geraden. Es wäre schwer geworden, hinten raus noch was zu bewegen", so Vettel. Das liegt aber nicht allein am schwächeren Renault-Motor, wie oft behauptet wird.

Räikkönen fuhr mit dem gleichen Aggregat während des China-Grand-Prix neun Stundenkilometer schneller. Sogar Charles Pic und Giedo van der Garde im drittklassigen Caterham waren auf der Geraden schneller als der Weltmeister.

Red Bulls Nachteil ist Eigenverschulden

Der Top-Speed-Nachteil von Red Bull ist deshalb hausgemacht. Technikdirektor Adrian Newey entwirft seine Autos seit Jahren so, dass sie in schnellen Kurven die Konkurrenz abhängen. Durch den größeren Abtrieb fehlt auf langen Geraden aber die nötige Höchstgeschwindigkeit, um an der Konkurrenz vorbeizufahren.

Im Normalfall war das in den letzten Jahren selten ein Problem. Solange die Red Bull in der Startaufstellung vorne stehen, fahren sie in den schnellen Kurven genug Vorsprung heraus, um die Konkurrenz auf der Geraden mindestens in Schach zu halten. Schaffen sie es aber nicht in die ersten Startreihen, brauchen sie ein anderes Setup.

Als Vettel 2012 in Abu Dhabi wegen seiner Strafversetzung aus der letzten Reihe starten sollte, brach Red Bull das Siegel am Getriebe. Damit wurde die Parc-Fermé-Regelung aufgehoben und die Abstimmung konnte komplett umgestellt werden. Vettels furiose Aufholjagd endete auf Platz drei. Das Vorgehen wiederholte sich beim diesjährigen China-Grand-Prix bei Mark Webber.

Der Australier startete mit einem Rennsetup aus der Box und befand sich bis zu seinem Ausfall auf Punktekurs. "Seine Geschwindigkeit war exzellent. Er fuhr extrem gut im Feld nach vorn", sagte Teamchef Christian Horner. Noch bezeichnender: Webber reihte sich in der Top-Speed-Tabelle mit 319,3 Stundenkilometern an Platz fünf ein, Vettel kam trotz geringeren Gewichts nur auf 310,9.

Neben dem Gewinn an Höchstgeschwindigkeit hat die stärkere Ausrichtung des Setups aber noch eine weitere Auswirkung: Sie schont die Reifen. Pirelli hat für die Saison 2013 nicht nur die Pneus weicher konstruiert, auch die Struktur der Reifen ist flexibler. Dadurch wirkt sich die hohe Kurvengeschwindigkeit von Red Bull nachteilig auf die Haltbarkeit der Slicks aus.

Lauda: Reifenprobleme werden sich ab Barcelona ändern

Allerdings könnte die aktuelle Situation schon beim Europa-Auftakt auf den Kopf gestellt werden. "Ich kann die guten Nachrichten sagen, dass sich das ab Barcelona dann ändern wird", verriet Mercedes' Aufsichtsratsvorsitzender Niki Lauda in seiner Funktion als "RTL"-Experte: "Da wird etwas mehr Luft in die Reifen gemacht: Luft im Sinne von länger halten, dass das Fenster größer wird."

Eine Neukonstruktion ist dafür nicht nötig. Pirelli könnte bei der Nominierung der Reifen konservativer vorgehen und die härteren Mischungen auswählen. Die Strategie-Optionen würden dadurch geringer werden, der Kampf auf der Strecke wieder intensiver geführt werden.

Für Lauda ist das kein Problem. Der Zuschauer komme trotzdem nicht zu kurz. "Die Reifen sind so am Limit, dass schon in dem Moment, wo das Rennen beginnt, die meisten an der Box sind", sagte der Österreicher: "Es ist schon manchmal verwirrend, auch zum Zuschauen." Vettel und Red Bull dürften sich darüber wohl am meisten freuen.

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