Schumi lebt im Konjunktiv

SID
Michael Schumacher in einem seiner unzähligen Zweikämpfe beim Türkei-GP
© Getty

Auch in der Formel-1-Saison 2011 bewertet SPOX-Redakteur Alexander Mey nach jedem Grand Prix die fahrerischen Leistungen der Piloten und stellt sein persönliches Driver-Ranking auf. Teil 4: Türkei-GP.

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In der Türkei gab es wieder ein extrem turbulentes Rennen, diesmal für meinen Geschmack sogar ein bisschen zu turbulent. Wenn man selbst als erfahrener Formel-1-Zuschauer Probleme bekommt, den Überblick zu behalten, wird es kritisch. Aber vier Reifenwechsel wie in Istanbul wird es wahrscheinlich nicht mehr geben, da die kommenden Strecken die Pneus nicht ganz so hart ran nehmen.

Fahrerisch haben mich viele Piloten überzeugt. Allen voran Fernando Alonso. Nico Rosberg habe ich zudem sogar noch stärker gesehen als Sebastian Vettel. Ein besonderes Wort muss ich aber über die Leistung von Michael Schumacher verlieren.

Meine Wertung für den Türkei-GP:

Platz 1, Fernando Alonso: Nach zwei Rennen, in denen er gegen Teamkollege Felipe Massa nicht gut aussah, hat Alonso im Ferrari wieder einmal alles gezeigt, was ihn auszeichnet. Im Qualifying verschafft er sich die mit diesem Auto bestmögliche Ausgangslage, die er dann im Rennen dank guten Starts, guter Strategie und fahrerischer Klasse in einen Podiumsplatz ummünzt. Mehr konnte sich Ferrari mit dem aktuellen Paket beim besten Willen nicht erträumen. Sogar Platz zwei war zwischenzeitlich greifbar. Der direkte Vergleich mit Massa war diesmal verheerend für den Brasilianer.

Platz 2, Nico Rosberg: In Sachen direkter Vergleich hat Rosberg seinem Mercedes-Kollegen Schumacher zum wiederholten Mal eine bittere Packung verpasst. Dabei ging es nicht einmal um den reinen Speed, den konnte Schumi mitgehen. Aber eben nur im Training. Rosberg hat danach im Qualifying die perfekte Runde erwischt und den Silberpfeil über seine Verhältnisse gut platziert. Dass er dann im Rennen zurückgefallen ist, konnte nicht einmal er verhindern. Aber Rosberg hat sich massenhaft sehenswerte Zweikämpfe geliefert, sich gut verteidigt, ohne aber auch nur ein einziges Mal über das Limit zu gehen. Seine fahrerische Leistung hätte einen Podestplatz verdient gehabt.

Platz 3, Sebastian Vettel: Wenn ein Fahrer so überlegen ist wie er, findet alles Jammern in so einem Ranking auf sehr hohem Niveau statt. Wie eigentlich immer war seine Quali-Runde perfekt und auch im Rennen hat er sich nicht den geringsten Fehler geleistet. In Zweikämpfen konnte er sich nicht beweisen, denn er musste an der Spitze schlichtweg keine bestreiten. Bemerkenswert ist, dass Vettel es fast ohne Training geschafft hat, wieder der schnellste Mann im Feld zu sein. Dazu kam es aber nur, weil er im Regen leichtfertig ein zu hohes Risiko eingegangen und heftig abgeflogen ist. Das war völlig unnötig und hat seinen Mechanikern einen Haufen Stress eingebracht. Deshalb diesmal nur der dritte Platz.

Platz 4, Jenson Button: Er hat in Istanbul richtig Spaß gemacht. Zuerst das fast schon epische Duell gegen Hamilton, das mit Konter und Gegenkonter begeistert hat. Dann noch das grandiose Manöver gegen Rosberg durch drei Kurven hindurch, als er die Chance genutzt hat, gemeinsam mit Massa durchzuschlüpfen. Alles war hart, aber alles war sehr fair. Vorwerfen kann man ihm nur, dass er das Quali-Duell gegen Hamilton mal wieder verloren und sich ausnahmsweise bei der Reifenstrategie verspekuliert hat. Drei Stopps waren die falsche Wahl.

Platz 5, Lewis Hamilton: Im Qualifying hat er nicht die perfekte Runde zusammengebracht, was normalerweise gar nicht seine Art ist, und startete deshalb hinter Rosberg. Das wurde ihm zum Verhängnis, denn nach schwachem Start auf der schmutzigen Seite der Strecke wollte er in den ersten Kurven zu viel und rutschte von der Ideallinie. Das hat ihn zwei weitere Plätze gekostet. Was danach kam, war aber wieder der gewohnte Hamilton, der mit starken Manövern geglänzt und sich zurück nach vorne gearbeitet hat. Diesmal übrigens mit der goldrichtigen Vierstopp-Strategie - im Gegensatz zu Teamkollege Button.

Platz 6, Mark Webber: Zu ihm gibt es kaum Neues zu sagen. Im Rennen kann er sich nichts vorwerfen. Er überholt stark, hat die richtige Strategie und fährt mittlerweile konstant seine Punkte ein. Aber das reicht eben nicht, wenn man im schnellsten Auto sitzt und Wochenende für Wochenende vom eigenen Teamkollegen abgewatscht wird.

Platz 7, Kamui Kobayashi: Seine Rennen sind immer wieder ohne Worte. Nach seinem Pech im Qualifying von ganz hinten gestartet, ist er fast durch das Feld gestürmt. Zwischenzeitlich sah es sogar danach aus, als hätte er Siebter werden können, doch ein Reifenschaden bei einer Berührung mit dem Auto von Buemi kostete wertvolle Zeit. Aber egal, ein WM-Punkt von Startplatz 24 aus kann sich in einem Sauber sehen lassen.

Platz 8, Sebastien Buemi: Nach Platz 16 im Qualifying sah es noch gar nicht nach WM-Punkten für Toro Rosso aus, aber Buemi hat sich dank einer Dreistopp-Strategie und schonender Fahrweise heimlich, still und leise nach vorne geschoben und in einem unterlegenen Auto Massa und Schumacher hinter sich gehalten. Da kann man mal sehen, was möglich ist, wenn man durch so ein turbulentes Rennen ohne große Zwischenfälle durchkommt. Der junge Buemi als Vorbild für die erfahrenen Massa und Schumi - kurios.

Platz 9, Nick Heidfeld: Quick Nick hat es nach dem Rennen selbst gesagt: Da war mehr drin. Mehr wäre vor allem dann drin gewesen, wenn Heidfeld nicht wieder im Qualifying Probleme gehabt hätte. Von Platz neun aus hat man eben im Normalfall keine Chance mehr auf ein Resultat in Podiumsnähe, auch wenn das Auto vielleicht sogar schnell genug dafür gewesen wäre. Dass Heidfeld zu Rennbeginn von Teamkollege Petrow abgedrängt wurde, ist ärgerlich, aber sicher nicht der Hauptgrund für den siebten Platz.

Platz 10, Witali Petrow: Der Russe war das ganze Wochenende über schnell, er schlug im Qualifying sogar erneut Heidfeld. Es folgte aber ein ziemlich wildes Rennen. Zuerst der verlorene Start gegen Schumacher, dann das knallharte Überholmanöver gegen den Rekordchampion, das um ein Haar auch für Petrow schief gegangen wäre. Der Crash war auf keinen Fall seine Schuld, aber er hat schon sehr gnadenlos rein gehalten. Sein Abdrängen von Teamkollege Heidfeld war auch nicht die feine englische Art. Aber trotzdem: Petrow überrascht in dieser Saison weiterhin positiv.

Härtefall, Michael Schumacher: Jetzt kommen wir zum eigentlich Thema aus fahrerischer Sicht. Wieder einmal prügelt die Weltpresse auf Schumacher ein, wieder einmal fordern vor allem seine englischen Ex-Kollegen den sofortigen Rücktritt des alten Mannes. Es ist die alte Leier, aber sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schumacher in der Tat die gleichen Probleme hat wie 2010.

Er ist vom Speed her generell nicht so weit weg von Rosberg, aber er bekommt es einfach nicht hin, wenn es darauf ankommt. Was früher seine Stärke war, wird immer mehr zu seiner Schwäche. Nach fast jedem Qualifying muss er sich hinstellen und nach Gründen suchen, warum Rosberg gleich einige Startreihen vor ihm steht.

Die Folge im Rennen ist, dass Schumacher im Mittelfeld fest hängt und dort mit seiner gnadenlosen Fahrweise nicht mehr wie früher auf ehrfürchtige Kollegen trifft, sondern auf junge Heißsporne wie Petrow, die sich um den Namen Schumacher nichts scheren und genauso gnadenlos dagegen halten. Abgerissene Frontflügel sind die logische Folge.

Schumacher kämpft nach seiner Pause mit einer Generation Rennfahrer, die so gut geschult ist, dass sie genug Selbstvertrauen hat, um es mit jedem aufzunehmen, auch mit ihm. Für sie ist Schumacher im Rennen auch nicht mehr als ein Typ in einem silbernen Auto, den es zu überholen gilt.

Das heißt für mich nicht, dass er aufhören soll, weil er zu alt ist. Ich glaube, dass Schumacher es immer noch drauf hat, mit den Besten mitzuhalten, aber er muss aufhören, im Konjunktiv zu leben und sein Potenzial endlich mal in Ergebnisse ummünzen. Dann sehe ich ihn in dieser Saison durchaus noch ab und zu auf dem Podium.

Dass er die Königsklasse noch einmal so dominieren kann wie früher, war vom ersten Tag an Wunschdenken.

WM-Stand bei Fahrern und Teams

Meine Punkte für das Istanbul-Wochenende:

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