Brücke, Tunnel, Korkenzieher

Von Alexander Mey
Timo Glock hat für SPOX seine Traumstrecke entworfen
© spox

Nach Nick Heidfeld und Adrian Sutil hat SPOX Timo Glock gebeten, Hermann Tilke zu spielen und seine Traumstrecke aufzuzeichnen. Herausgekommen ist bei Glock ein wahres Monstrum.

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Wirklich glücklich sieht Timo Glock nicht aus, als ich ihm einen Schreibblock unter die Nase halte und ihn bitte, mir seine Traumstrecke aufzuzeichnen. Der Abend ist schon ziemlich weit fortgeschritten und in der Gaststätte an der hessischen Bergstraße ist es so richtig gemütlich.

Dann komme ich und versuche, den Hermann Tilke in Glock herauszukitzeln. Der Marussia-Pilot ziert sich aber nur kurz und sagt dann: "Okay, ich versuch's!"

Geschmäcker der Piloten sind verschieden

Er ist nicht der erste Pilot, den SPOX zu diesem Experiment bittet. Den Anfang machte Nick Heidfeld vor einigen Jahren, Adrian Sutil folgte 2011. Auffällig dabei: Es gibt Passagen auf den Strecken dieser Welt, die alle gleichermaßen begeistern.

Aber es gibt auch Unterschiede im persönlichen Geschmack. So meinte Sutil zum Beispiel: "Abu Dhabi hat mir gar nicht gefallen, da war es ziemlich langweilig."

Das sieht Glock anders: "Abu Dhabi ist jetzt nicht der Mega-Brüller, aber auch dort gibt es ein paar einzigartige Kurven, die man sonst nirgends findet. Ich finde sie eigentlich gar nicht so schlecht."

Generell tut sich Glock schwer, sich zwischen neuen und alten Strecken zu entscheiden. "Ich kann nicht sagen, ob ich lieber Traditionsstrecken oder moderne Strecken mag. Es ist der Mix aus beidem, der es für mich ausmacht", sagt er.

Singapur genial, Barcelona kann man tauschen

Aber eine Lieblingsstrecke hat er, und es ist nicht wie bei so vielen Spa oder Suzuka. "Das sind alles tolle Strecken, aber Singapur ist geil. Das Rennen dürfte man nie streichen! Das ist ein Ritt auf der Kanonenkugel. Stadtrennen finde ich generell genial. Du machst einen Fehler und es ist Ende. Das ist für mich der Reiz."

Folgerichtig findet sich auch der ersten Streckenabschnitt aus Singapur in Glocks Traumstrecke wieder. Aus Barcelona ist nichts dabei, denn: "Barcelona könnte man von mir aus tauschen. Es ist zwar auch eine schöne Strecke, aber sie ist für uns Fahrer durch die ganzen Tests schon sehr ausgelutscht", findet Glock.

US-Erfahrung: Korkenzieher und Bahnschienen

Im Gegensatz zu Heidfeld und Sutil hat Glock den Vorteil, aus seiner ChampCar-Zeit im Jahr 2005 viele Strecken in den USA zu kennen. Die dort wohl legendärste Passage hat es auch in sein Layout geschafft: Die ultrasteile Bergab-Kurvenkombination Cork Screw in Laguna Seca.

"In Laguna Seca bin ich nie mit dem ChampCar gefahren, aber einmal mit einem Tourenwagen. Das ist eine supergeile Strecke", sagt Glock und erinnert sich weiter: "In den USA zu fahren, ist ohnehin legendär. In San Jose überquerst du mit einem ChampCar Bahnschienen! In Cleveland habe ich auf dem Flugplatz am Anfang die Kurve gar nicht gefunden, durch die ich fahren sollte. Es gab einfach keine Anhaltspunkte."

Glocks Zeichnung: Los geht's in Spa

Mit Zettel und Stift findet Glock erstaunlich schnell seinen ersten Anhaltspunkt und beginnt direkt zu zeichnen. "Die erste Kurve muss eine Haarnadelkurve sein, damit gleich am Start richtig Action ist", sagt er und zeichnet den kompletten ersten Sektor aus Spa auf. Durch die Haarnadelkurve La Source geht es über die legendäre Eau Rouge die lange Gegengerade hinauf.

"Durch Eau Rouge zu fahren, ist auch ein geiles Gefühl, aber sie ist eben nicht mehr die Herausforderung, die sie früher war", bekennt Glock zwar, aber weglassen will er sie in seinem Layout dann doch lieber nicht.

Es wird turbulent

Jetzt wird es auf Glocks Zettel turbulent. "Eine kleine Gerade nach Eau Rouge geben wir den Fahrern, aber dann geht es direkt in Cork Screw und von dort aus direkt in die Esses aus Suzuka.

"Danach bauen wir ein paar Mauern auf", sagt Glock und macht sich daran, den ersten Streckenabschnitt aus Singapur aufzuzeichnen. Obwohl es seine Lieblingsstrecke ist, tut er sich erstaunlich schwer, die genaue Abfolge der Kurven zu treffen, aber wer will es ihm beim wohl kompliziertesten Streckenlayout des ganzen Rennkalenders verdenken?

Glock "Jetzt fällt mir bald nichts mehr ein"

Was folgt, ist eine ellenlange Gerade über eine Brücke, die Piste kreuzt sich also - war nicht unbedingt so geplant, hat sich aber so ergeben, versichert Glock.

Weiter führt der Weg durch die Vierfach-Linkskurve Turn 8 in Istanbul zur Bus-Stop-Schikane in Spa. Von dort aus geht es in Belgien zurück zu Start und Ziel. Das hätte Glock auch in seinem Layout gerne, denn: "Jetzt fällt mir schon bald nichts mehr ein."

Dummerweise ist er aber kilometerweit von seinem Ausgangspunkt entfernt und muss die Strecke noch auf gefühlte 12 Kilometer verlängern, um den Kreis zu schließen.

Freie Interpretation des Schlusssektors

Also geht es weiter. Erst durch einen langen Tunnel - es fehlt wirklich an nichts - dann durch die engen Haarnadelkurven aus Malaysia. Eine perfekte Überholmöglichkeit.

Weil er danach möglichst schnell zum Ende kommen will, führt Glock einen flinken Zeichenstrich bogenförmig zurück in Richtung Anfang. Eine enge Zielkurve noch, dann war es das. Und weil das Kind einen Namen haben muss, vergleichen wir die letzten Passagen einfach mit der Zielpassage in Sao Paulo und der Zielkurve in Malaysia.

Glock liebt die Herausforderung

Stadtkurs, schnelle Kurven, langsame Kurven, lange Geraden, Brücke, Tunnel: Man merkt, Timo Glock mag die Herausforderung für den ganzen Mann.

Ob so eine anspruchsvolle Strecke aber in einem Marussia ein großer Spaß wäre? Glock schweigt und nippt an seinem alkoholfreien Weißbier.

Der Rennkalender der Saison 2012

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