Mutter Glock: "Junge, fahr nicht so schnell!"

SID
Auch beim Indien-GP sind die tödlichen Unfälle von Wheldon und Simoncelli präsent
© Getty

Zwei tödliche Unfälle im Motorsport haben auch die Formel 1 geschockt. Die ist zwar seit 17 Jahren verschont geblieben, ungefährlich ist sie deshalb aber nicht.

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Sebastian Vettel saß fassungslos und wie versteinert auf seinem Sofa, bei Timo Glock klingelte das Telefon. "Meine Mutter hat angerufen und gesagt: 'Junge, fahr nicht so schnell'", erzählt der Formel-1-Pilot: "Ich habe geantwortet: 'Mama, das ist ein bisschen schwierig.'" Was Weltmeister Vettel so schockierte und Mama Glock so besorgte, war der zweite tödliche Unfall eines Motorsportlers innerhalb einer Woche.

Den tragischen Tod des zweimaligen Indy-500-Champions Dan Wheldon hatten die meisten noch gar nicht richtig realisiert, da erlag der ehemalige Motorrad-Weltmeister Marco Simoncelli in Malaysia seinen schweren Verletzungen.

Erinnerungen an 1994

Die "zwei ganz schlimmen Wochen für den Motorsport" (Vettel) haben vielen wieder bewusst gemacht, wie gefährlich ihr Sport eigentlich ist. Die Formel 1 hatte das vielleicht etwas verdrängt.

Schließlich hat es seit dem tragischen Mai-Wochenende 1994 in Imola, als innerhalb von 24 Stunden Roland Ratzenberger und der dreimalige Weltmeister Ayrton Senna starben, keinen tödlichen Unfall mehr gegeben.

"Das ist kein gutes Zeichen"

Aus dem heutigen Fahrerfeld waren die meisten damals noch Kinder. Sie wurden in der Formel 1 noch nie mit dem Tod konfrontiert. Die aktuellen Vorfälle "erwecken nun Gedanken, die im Hinterkopf immer irgendwie da sind", sagt Nico Rosberg. "Wenn man sich das alles durch den Kopf gehen lässt, läuft es einem eiskalt den Buckel runter", meint Glock.

Auch für Vettel zeigen die tragischen Zwischenfälle, "wie schnell sich alles im Leben ändern kann". Den Unfall Simoncellis hatte er live vor dem TV-Schirm verfolgt. Bis zum bitteren Ende bangte er mit dem Italiener, den er persönlich gut kannte.

"Das Warten vor dem Fernseher war ganz schlimm", sagt Vettel: "Vor allem weil man mit immer längerer Dauer wusste: Das ist kein gutes Zeichen."

Risiko fährt immer mit

Im Fahrerlager von Indien trifft man dieser Tage ungewöhnlich bedrückte Stars an. Die Rennen wollen sie aber angehen wie bisher. Durch eine Art Selbstbetrug. "Wir sitzen mit dem Gefühl im Auto, dass uns nichts passieren kann - auch wenn es natürlich nicht der Wahrheit entspricht", sagt Rosberg.

"Im Auto darf man nicht an das Risko denken", erklärt der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso: "Die Freude am Sport und der Wille zum Sieg helfen uns, das zu verdrängen."

Wer an Sicherheit denke, verliere die entscheidenden Sekunden, versichert der Inder Karun Chandhok. Seine Kollegen wüssten aber genau, was sie tun: "Niemand hat uns eine Waffe an den Kopf gehalten und gezwungen, Rennen zu fahren."

Eltern und Freunde machen sich Sorgen

Auch Rekordweltmeister Michael Schumacher denkt nach eigener Aussage "im Auto nicht daran, dass wir uns in Gefahr bringen". Doch allein das besorgte Umfeld erinnert die Fahrer daran.

"Eltern und Freunde machen sich natürlich Gedanken", meint Glock, der sein Mutter nach dem Kartkauf zur Konfirmation versprochen hatte, keine Rennen zu fahren: "Da gibt's immer Gespräche, das Thema lässt sich ja nicht wegdiskutieren."

Klar scheint: Die Formel 1 ist eine der sichersten Rennserien der Welt, die Sicherheitsvorkehrungen an Autos, Strecken und Ausrüstung wurden ständig verbessert.

Pervers, aber menschlich

"Aber totale Sicherheit wird es nie geben, in keinem Bereich des Lebens", gibt Schumacher zu bedenken: "Und im Motorsport sind die Risiken noch größer." Und die Gefahr immer greifbar. "Man muss sich nur den Kubica-Unfall 2007 in Kanada anschauen", sagt Alonso: "Der wäre beinahe in einer Katastrophe geendet." Auch Felipe Massa habe 2009 in Ungarn "viel Glück gehabt".

Bleibt die Frage: Wie viel Risiko braucht der Motorsport, um seinen Reiz auszuüben? "Es will schon jeder sehen, dass Fahrer auch mal Fehler machen und rausrutschen", meint der Aachener Architekt Hermann Tilke, der nahezu alle neuen Strecken konzipiert hat: "Aber kein Mensch will, dass etwas Schlimmes passiert."

Eine ganz eigene Theorie vertritt der frühere FIA-Präsident Max Mosley. "Niemand will sehen, wie sich jemand verletzt", sagt er: "Wenn es aber einen großen Crash gibt und der Mann einfach aussteigt, dann ist das recht unterhaltsam. Das ist zwar irgendwie pervers, aber sehr menschlich."

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