Die glorreichen Sieben

Von Alexander Mey
Sebastian Vettel krönte sich in Suzuka zum jüngsten Doppel-Weltmeister aller Zeiten
© Getty

Sebastian Vettel zitterte 2010 um seinen ersten WM-Titel. 2011 fuhr er aber von Anfang an allen davon und ließ nie einen Zweifel an seiner Titelverteidigung. Was hat ihn in diesem Jahr so viel stärker gemacht? Was hat ihm in die Karten gespielt? Die sieben Vettel-Faktoren.

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Faktor 1: Der Speed

Ein großes Erfolgsrezept von Vettel war in diesem Jahr die reine Geschwindigkeit. "Ich habe seinen Fahrstil genauer studiert. Er ist immer am Limit. Und das mit größter Gelassenheit. Er trifft in jeder Kurve genau den Scheitelpunkt", erklärte Ex-Formel-1-Pilot Heinz-Harald Frentzen der "Welt".

Daraus resultierte vor allem im Qualifying eine unglaubliche Überlegenheit. Vettel hat zwölf von 15 Pole-Positions geholt und dabei mehr als einmal im letzten Versuch eine perfekte Runde hinbekommen.

Natürlich ist der Red Bull von seiner Bauweise her grundsätzlich im Qualifying im Vergleich zur Konkurrenz etwas stärker als im Rennen, aber des Öfteren hat sich Vettels Teamkollege Mark Webber nach einem Zeittraining kopfschüttelnd gefragt, wo ihm der Deutsche mal eine halbe Sekunde, mal sogar mehr abgenommen hat.

Webber stand neunmal nicht in der ersten Startreihe, Vettel nur einmal. Die Konsequenz fürs Rennen liegt auf der Hand. Einen guten Start vorausgesetzt, konnte Vettel meistens vorneweg sein Tempo fahren und musste sich nicht in Zweikämpfen aufreiben. Das hat er meisterhaft umgesetzt.

Faktor 2: Die Fehler

2010 stand sich Vettel ab und zu noch selbst im Weg. Unvergessen sind die Kommentare über den unreifen Bengel, die nach seinen beiden Fehlern in Ungarn (zu viel Abstand zum Safety-Car) und Belgien (Auffahrunfall mit Button) auf ihn einprasselten.

2011 hat er sich in den Rennen so gut wie gar keine Fehler mehr geleistet. Der Ausrutscher in der letzten Runde in Kanada, der ihn den Sieg gegen Button gekostet hat, und der Dreher am Nürburgring waren schon die dicksten Patzer.

Wenn einmal etwas zu Bruch ging, dann nur im Training. In der Türkei, in Kanada und in Japan warf er sein Auto von der Strecke, alles ohne Folgen für die Rennen.

"Im letzten Jahr hat er noch einige Fehler gemacht, deswegen hat er damals die WM nicht vorzeitig gewonnen. Aber er hat noch mal viel dazu gelernt und sich gewaltig entwickelt", sagte Ferrari-Pilot Felipe Massa.

Faktor 3: Die Zuverlässigkeit

Vettel kann noch so gut fahren: Wenn sein Auto nicht hält oder seine Crew Fehler macht, dann bringt ihm das alles nichts.

Auch hier kommen wieder Erinnerungen an 2010 hoch, als Vettel gleich zu Beginn erst an einer Zündkerze in Bahrain und dann an einer losen Radmutter in Australien scheiterte. Im WM-Endspurt ging ihm in Südkorea dann auch noch der Motor hoch. Hochrechnungen ergaben damals, dass Vettel 71 Punkte durch technische Probleme verloren hatte.

2011 war davon überhaupt nichts mehr zu sehen. Der Red Bull wartet nach 15 Rennen immer noch auf seinen ersten technisch bedingten Ausfall. Vettel hat sämtliche Rennrunden absolviert. 892 waren das bisher. Zweiter ist Paul di Resta mit 866. Vettels WM-Rivalen Fernando Alonso (857), Jenson Button (854) und Mark Webber (843) folgen dahinter. Lewis Hamilton hat nur 797 Runden absolviert.

"Im letzten Jahr hatten wir noch mehr Chancen, auch wenn Red Bull da schon dominiert hatte. Aber sie hatten Probleme, sind mit sich selbst kollidiert oder hatten Schwierigkeiten mit dem Motor. Diese Probleme haben sie jetzt alle abgestellt, und das Auto ist immer noch sehr schnell", sagte Alonso und erkannte neidlos an: "Der beste Fahrer im besten Team mit dem besten Paket. Sie verdienen den Titel."

Faktor 4: Die Effizienz

Vettel hat nach seinem zweiten Titelgewinn am Sonntag einen interessanten Satz gesagt: "Unser Auto war in diesem Jahr nicht so überlegen wie im vergangenen. Aber wir waren ein sehr starkes Team, das kaum Fehler gemacht hat, wenn es darauf ankam."

In der Tat gab es 2011 einige Rennen, in denen Vettel sehr viel härter um seinen Sieg kämpfen musste, als es nach dem Qualifying den Anschein hatte. Barcelona und Monaco sind dafür sehr gute Beispiele. "Er hat Rennen gewonnen, die vielleicht kein anderer gewonnen hätte", lobte Jenson Button.

Aber auch, wenn es mal nicht zum ganz großen Wurf gereicht hat, ist Vettel mit Ausnahme des Rennens auf dem Nürburgring immer aufs Podium gefahren. Er hat vier Rennen vor Saisonende 324 von 375 möglichen WM-Punkten geholt. 2010 war er nach 19 Rennen mit gerade mal 256 Punkten Weltmeister.

"Er macht das Optimale aus den Möglichkeiten, die ihm gegeben werden", kommentierte Lotus-Renault-Pilot Bruno Senna.

Faktor 5: Die Einstellung

Vettel hat es geschafft, nach seinem überraschenden ersten Titelgewinn weder abzuheben, noch in ein Motivationsloch zu fallen. Genau wie der Rest des Teams hat er bei Null angefangen, als wäre in Abu Dhabi 2010 nichts passiert.

"Das Härteste ist, nach dem Gewinnen erneut zu gewinnen. Auch wenn man weiß, wie es geht, kann man nicht darauf verzichten, all die kleinen Schritte immer wieder zu machen", erklärte Vettel das Erfolgsrezept.

Ex-Weltmeister Niki Lauda beschreibt Vettels Einstellung so: "Während wir staunen, hat er nichts anderes zu tun, als morgen zu überlegen: 'Wie werde ich noch besser?'. Und das ist der ewige Kampf des Spitzensportlers, jedes Jahr zu versuchen, noch schneller zu laufen, noch schneller Ski zu fahren, noch schneller Rennen zu fahren."

Vor diesem Hintergrund spricht nichts dagegen, dass es 2012 ähnlich weitergeht. Denn das Team hat die gleiche Mentalität wie sein Aushängeschild. "Die gesamte Crew bleibt zusammen. Ich sehe also keinen Grund, warum wir nicht auch im kommenden Jahr wieder erfolgreich sein sollten", sagte Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko der "BBC".

Faktor 6: Die Reifen

Ein Punkt, der oft unter den Tisch fällt, aber auf keinen Fall zu unterschätzen ist. Kein anderer Fahrer hat sich so schnell auf die neuen Pirelli-Reifen eingestellt wie Vettel. Er wusste als Erster, wie man sie am besten anfährt, um im Qualifying schnell zu sein und wie man sie im Rennen am besten schonend über die Distanz bringt.

Das ist der Hauptgrund für seinen Blitzstart in die Saison. "Er verfügt über ein sehr gutes Gefühl für die Reifen. Mark hat länger gebraucht als Sebastian, um zu verstehen, wie man diese Reifen am besten verwendet", stellte Red-Bull-Mastermind Adrian Newey fest.

Auch Webber selbst gestand ein: "Sebastian leistete vor allem zu Saisonbeginn einfach klasse Arbeit, da ist er schneller und besser als alle anderen zurecht gekommen, da hat er den Grundstein gelegt."

Faktor 7: Die Gegner

Zum Schluss noch ein Faktor, auf den weder Vettel noch Red Bull Einfluss hatten. Seine Konkurrenten haben sich so oft gegenseitig die Punkte weggenommen und sich durch eigene Fehler aus der Bahn geworfen, dass es ihm dadurch erst möglich wurde, trotz des Punktesystems schon vier Rennen vor Schluss zu feiern.

"In diesem Jahr haben wir zu viele Fehler gemacht, es an manchen Rennwochenenden nicht hinbekommen", resümierte Button. Gerade er stünde ohne den dummen Radverlust beim Boxenstopp in Silverstone und den Hydraulik-Defekt im Rennen danach am Nürburgring sehr viel besser da.

Webber stand sich mit schwachen Qualifyings und einer ganzen Reihe schlechter Starts zu oft selbst im Weg. Zudem hatte er gerade zu Saisonbeginn häufiger Probleme mit KERS und dem verstellbaren Heckflügel.

Ferrari und McLaren wechselten sich derweil in schöner Regelmäßigkeit in der Rolle als erster Verfolger von Red Bull ab. Die Folge: Wenn Vettel gewann, standen neben ihm auf dem Podium nicht immer die gleichen Piloten, was den Titelkampf bei der aktuellen Punkteverteilung länger offen gehalten hätte, sondern immer andere.

Man mag sich kaum noch daran erinnern, aber in den ersten beiden Rennen standen sogar Witali Petrow und Nick Heidfeld auf dem Siegerpodest. So gesehen haben auch sie einen winzigen Anteil daran, dass Vettel schon in Suzuka die große Party starten konnte.

Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM

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