Der Kampf gegen das Monster

Von Andreas Allmaier
Auf und davon: Jenson Button nutzt einen Fehler von Sebastian Vettel und rast zum sechsten Sieg
© Getty

Es hätte die Wende im WM-Kampf werden sollen, doch am Ende fuhr Brawn wieder einmal allen um die Ohren. Der Große Preis der Türkei in Istanbul legte schonungslos offen, was der Kombination Red Bull / Sebastian Vettel fehlt, um ernsthaft den WM-Titel ins Visier zu nehmen. Daran änderte auch der Einsatz einer vermeintlichen Geheimwaffe nichts.

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Das Monster hat seine Wirkung nicht verfehlt. Als Jenson Button beim Großen Preis der Türkei vom Start weg Druck auf Pole-Setter Sebastian Vettel machte, zeigte der Deutsche Nerven. Gegen Ende der ersten Runde unterlief ihm in Turn 9 - den neon-lackierten BGP001 schon riesengroß im Rückspiegel - ein Fahrfehler, der gleich zu Beginn Vettels Siegchancen zunichte machte.

Button nahm die unverhoffte Einladung dankend an. Wohlwissend, dass mit dem Passieren des Qualifikations-Siegers die einzige ernstzunehmende Hürde auf dem Weg zum sechsten Sieg im siebten Saisonrennen bereits genommen war.

"Ihr habt ein Monster-Auto gebaut"

"Danke, ihr habt ein Monster-Auto gebaut", funkte der Brite 84 für ihn weitestgehend ereignislose Runden später an die Box. In wilden Schlangenlinien steuerte er sein Auto über die Ziellinie. Es war die einzige Kursabweichung, die sich Button in diesem Rennen erlaubte. Die Konkurrenz hinkte zu dem Zeitpunkt so weit hinterher, dass er sich solche Sperenzchen problemlos erlauben konnte.

"Button ist zurzeit unschlagbar. Man könnte meinen, dass Brawn GP mit dem Rest der Welt spielt", resümiert Premiere-Experte Keke Rosberg.

Der Rennspeed reicht noch nicht

Weil sich die Red-Bull-Strategen dafür entschieden, an der am Samstag erarbeiteten Drei-Stopp-Strategie für Vettel festzuhalten, sah der am Ende sogar noch nach seinem Teamkollegen Mark Webber als Dritter die schwarz-weiß-karierte Flagge.

"Wir hätten gegen Button heute sowieso keine Chance gehabt", erläuterte ein sichtlich angefressener Vettel später der Presse. Taktik hin oder her: In der Auseinandersetzung mit Brawn zieht Red Bull auch nach gut einem Drittel der Saison weiterhin aus mehreren Gründen den Kürzeren.

Der wichtigste: Auch wenn der RB5 inzwischen im Qualifying auf eine Runde mindestens ebenbürtig ist, ist Brawn im Rennen noch immer klar voraus. Mehrere Zehntel fährt Red Bull da pro Runde hinterher.

Doppel-Diffusor wirkungslos

Daran ändert auch der berüchtigte Doppel-Diffusor nichts, der zu Saisonbeginn für so viele Kontroversen gesorgt hatte. In Istanbul sollte die Neukonstruktion nach dem Debüt in Monaco erstmals seine volle Wirkung entfalten. Den erhofften Sprung nach vorn - im Vorfeld war von bis zu einer Sekunde pro Runde die Rede - brachte der modifizierte Unterboden freilich nicht. Im Gegensatz zu Brawn wurde der Red Bull nicht für den Doppel-Diffusor konstruiert, der nachträgliche Einbau hat Designer Adrian Newey zu Kompromissen genötigt.

Das Wissen um die Unterlegenheit im Rennen zwingt das Team dazu, Risiken einzugehen. Das provoziert Fehler. Sebastian Vettel machte in Istanbul schon den dritten nach seiner Kolission mit Kubica in Australien und seinem Crash in Monaco.

Button noch nicht richtig gefordert

Das ist für einen 21-Jährigen weder überraschend noch besorgniserregend, allein: Es ist im Kampf gegen einen routinierten und enorm präzise agierenden Jenson Button ein K.o.-Kriterium. "Du kannst nicht auf einen Fahrer setzen, der in sieben Rennen drei Fehler macht", sagt Premiere-Experte Marc Surer.

Zumal der acht Jahre ältere Brite in dieser Saison noch gar keinen Anlass hatte, über längere Zeit wirklich ans Limit zu gehen. Auch in Istanbul gondelte Button am Schluss dem Rennende entgegen.

Am Kommandostand herrscht eine ähnliche Konstellation zwischen den beiden Teams an der WM-Spitze: Der 35-jährige Christian Horner gilt als brillanter Analytiker, die Erfahrung eines Ross Brawn, der schon diverse WM-Schlachten geschlagen hat, hat er allerdings nicht.

Vettels Kritik an der Strategie

Seine Entscheidung, an der Drei-Stopp-Taktik festzuhalten, hat Vettel vermutlich den zweiten Platz gekostet. Zwar blieb der mit Mark Webber im Team, aber den Unmut des WM-Dritten hat Horner damit trotzdem auf sich gezogen.

Vettel: "Ich habe gedacht, wir gehen auf zwei Stopps. Sind wir aber nicht. Das macht meiner Meinung nach nicht ganz so viel Sinn. Da wird man nochmal drüber reden müssen."

61 zu 29 steht es zwischen Button und Vettel jetzt in der WM-Wertung. Und Brawns Monster verbreitet weiter Angst und Schrecken: Ist die Weltmeisterschaft in dieser Saison etwa früh entschieden? Rein rechnerisch könnte Button schon in Valencia am 23. August durch sein.

"Das Auto wird immer besser"

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Red Bull zumindest das verhindern kann. Für Silverstone hat das Team ein größeres Update angekündigt. "Das Auto wird immer besser und es geht in die richtige Richtung", sagt Sebastian Vettel.

Außerdem hat das Monster in der Türkei offenbart, dass es nicht unverwundbar ist. Getriebeprobleme bei Rubens Barrichello sorgten für den ersten Brawn-Ausfall in dieser Saison.

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