Surer: "Stunde der deutschen Hersteller"

Von Alexander Mey
BMW-Sauber fuhr in Barcelona als einziges Team mit komplett neuer Aerodynamik
© Imago

Die ersten Wintertests haben schon gezeigt, wie sehr sich die Formel 1 durch die neuen Regeln verändern wird. Slicks, neues Antriebssystem, deutlich beschnittene Aerodynamik mit kleineren Heckflügeln und größeren Frontflügeln. Wie reagieren die Teams auf die Regeländerungen und warum hat Ferrari noch große Probleme? SPOX gibt zusammen mit Premiere-Experte Marc Surer erste Antworten.

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"Wir haben drei Baustellen: Aerodynamik, Slicks und den Hybridantrieb KERS. So viel hatten wir in einem Winter noch nie", sagt Premiere-Experte Marc Surer im Gespräch mit SPOX. "Das werden die interessantesten Wintertests seit langem."

Interessant deshalb, weil sich die Autos für jeden sichtbar von Test zu Test deutlich verändern werden. Alle Teams befinden sich noch in der Experimentierphase.

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"Zu diesem frühen Zeitpunkt geht die Entwicklung noch sehr schnell voran", erklärt McLaren-Chefaerodynamiker Doug McKiernan. "Nach zwei oder drei Wochen kann man einen komplett neuen Unterboden haben. Ein paar weitere Wochen, und man hat einen neuen Frontflügel. Die neuen Regeln sind wie ein 'Reset-Knopf' für die Aerodynamik."

Womit wir auch schon bei der ersten Baustelle wären.

Baustelle 1: Die Aerodynamik:

Der erste Anblick der neuen Studien von Williams und BMW-Sauber bei den Testfahrten in Barcelona mag für manche ein Schock gewesen sein.

Der Heckflügel schmaler und höher, der Frontflügel weiter vorne und breiter. Dazu passte BMW noch die Nase und die Seitenkästen an. Sehr viel hatten die ersten Prototypen für 2009 nicht mehr mit der Formel 1 zu tun, die man aus den letzten Jahren kannte.

Für Surer aber kein großes Problem: "Grundsätzlich gefallen mir die Autos gut, weil die ganzen Zusatzflügelchen endlich weg sind. Bis auf den Heckflügel, der ist doch sehr gewöhnungsbedürftig."

Experimentierfeld Unterboden

Letztlich geht es aber nicht ums Aussehen, sondern um die Vorteile der neuen Abmessungen. Und die sollen sich vor allem beim Überholen zeigen. Bis zu 50 Prozent weniger Anpressdruck haben die Autos bei momentanem Entwicklungsstand.

Experimentierfeld wird 2009 der Unterboden des Autos sein. Denn er unterliegt keinen so strengen Beschränkungen wie die Flügel. "Wenn man mit diesem kleinen Heckflügel leben muss und keine Zusatzflügelchen mehr hat, dann bleibt nur noch der Unterboden. Man kann durch Änderungen am Unterboden zum Beispiel den Anpressdruck weiter nach hinten oder nach vorne verlagern", erklärt Surer.

Autos werden sich noch stark verändern

Zusammen mit den Slicks ergibt das laut McLaren-Renningenieur Pat Fry eine Verschiebung vom klassischen Anpressdruck durch die Flügel hin zu mehr mechanischem Grip. "Das Auto wird dadurch aerodynamisch weniger anfällig", sagt Fry.

Die Folgen hat BMW-Sauber-Testfahrer Christian Klien bereits in Barcelona beschrieben. Es wird leichter werden, dicht hinter dem Vordermann herzufahren, auch deshalb, weil der Fahrer den Frontflügel manuell verstellen kann - alles gut fürs Überholen.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich dieser Trend bis zum Saisonstart Ende März fortsetzt. Denn schon jetzt ist klar: Die Autos, mit denen zurzeit getestet wird, werden nicht viel mit denen zu tun haben, die in Melbourne am Start stehen.

Baustelle 2: Die Slicks

Dank der profillosen Reifen werden die Autos vor allem in schnellen Kurven deutlich mehr Haftung haben als die Rillenreifen. Folge: Die Autos werden in Punkto Rundenzeit nicht annähernd so viel langsamer werden wie man anhand der beschnittenen Aerodynamik vermuten sollte.

"Der Schritt zu Slicks ermöglicht die Wahl weicherer Gummimischungen", erklärt Fry. "Als wir die Slicks testeten, wurden die Rundenzeiten um drei Sekunden schneller - nur wegen der Reifen."

Baustelle 3: Das neue Antriebssystem KERS

Zusätzliche Zehntelsekunden wird derjenige schneller werden, der den besten Hybridantrieb konstruiert hat. KERS ist die größte Unbekannte und könnte für die größten Überraschungen im Kräfteverhältnis sorgen.

Das "Kinetic Energy Recovery System", kurz KERS, speichert beim Bremsen frei werdende Energie in einer Batterie. Diese Energie kann einmal pro Runde in Form von rund 80 zusätzlichen PS für mehrere Sekunden per Knopfdruck abgerufen werden. Das bringt im Idealfall rund vier Zehntel pro Runde.

"Es wird auf jeden Fall ein Vorteil auf der Geraden sein. Je länger die ist, desto spürbarer wird der Vorteil sein. Auch am Start und im Qualifying hat man einen Vorteil", erklärt Surer. "Wenn man bedenkt, wie eng es in diesem Jahr im Qualifying zuging, und weiß, dass KERS drei bis vier Zehntel pro Runde bringt, dann kann das eine Steigerung um drei Startreihen bedeuten."

Ferrari hat Probleme mit KERS

Mercedes, BMW und auch Honda sind in der Entwicklung schon relativ weit, während Ferrari und Renault noch keinen einzigen Testkilometer mit KERS auf dem Konto haben. Wie das Fachmagazin "auto, motor und sport" berichtet, fuhr Ferrari bei den Tests in Barcelona nur mit einer KERS-Attrappe, um die Gewichtsverteilung zu simulieren.

Lieferant Magneti Marelli hat so große Probleme mit der Entwicklung des Systems, dass Ferrari frühestens beim Test in Jerez in der kommenden Woche auf einen Einsatz hoffen kann. Renault, auch von Magneti Marelli abhängig, hat das Unterfangen bereits aufgegeben und wird erst 2009 zum ersten Mal KERS testen.

Für Surer im Moment ein klarer Vorteil für Mercedes und BMW: "Das kann die Stunde der deutschen Hersteller werden. KERS ist die große Chance auf eine Kräfteverschiebung. Vor allem deshalb, weil sie jetzt schon so weit sind."

Fry: "Hierarchie kann durcheinander gewirbelt werden"

Zu Saisonbeginn werden nicht alle Teams auf KERS zurückgreifen, denn der Einsatz des Systems ist keine Pflicht. Und es bringt eben nur Vorteile, wenn es optimal funktioniert.

Glücklich sind dann diejenigen, die den Luxus haben, auf der langen Geraden einfach mal schnell den "Boost-Button" zu drücken und am Vordermann vorbeizurauschen.

"Ich denke, wir werden 2009 größere Leistungsunterschiede im Feld sehen", sagt Fry. "Es gibt Potenzial für Überraschungen, die Hierarchie kann durcheinander gewirbelt werden."

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