Eishockey-WM - Ex-DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel im Interview: "Das wird eine absolut richtungsweisende WM für das deutsche Eishockey"

Stefan Schaidnagel
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Die größte Leistung von Marco Sturm war es ja, dass er es geschafft hat, dass die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ihre Komplexe ablegte und plötzlich an sich glaubte. Wie würden Sie diesen Prozess beschreiben?

Schaidnagel: Marco hat diese Haltung in der Ansprache an die Mannschaft hereingebracht und ich habe außen herum versucht, das Gleiche zu machen. Das meinte ich mit der guten Ergänzung bei uns. Marco ist ja im positivsten Sinne "amerikanisiert" und hat das positive Denken total verinnerlicht. Wer sagt denn bitte, dass wir das nicht gewinnen können? Diese Einstellung hatten wir ja im deutschen Eishockey nicht. Vorher ging es eher bildlich gesprochen darum, ob wir heute drei, vier oder fünf Stück bekommen. Oder man hat so Rechnungen aufgestellt a la: Wenn wir das eine oder jene Spiel gewinnen und den Rest alles verlieren, haben wir im Prinzip einen guten Job gemacht. Marco hat dann den Wandel gebracht und auch so ein bisschen die Ausreden genommen. Kopf hoch, Brust raus, negative Gedanken haben bei uns gar keinen Platz. Diese Angst vor dem Gewinnen, wenn man in der 58. Minute 3:1 führt und plötzlich die Flatter bekommt, musste raus. Dafür brauchten wir ein paar Schlüsselerlebnisse wie das Drama gegen Lettland bei der WM 2017 mit dem entscheidenden Penalty von Frederik Tiffels oder die Olympia-Quali in Riga mit dem Matchwinner von Tom Kühnhackl. Das hatten wir uns durch die ganze Arbeit im Vorfeld aber auch ein Stück weit erarbeitet und es erzwungen, dass das Pendel für uns ausschlägt.

Nach dem Ende der Amtszeit von Marco Sturm waren Sie es, der als Nachfolger einen Mann aus der Oberliga präsentierte: Toni Söderholm. Wie sind Sie ausgerechnet auf ihn gekommen?

Schaidnagel: Als Sportdirektor musst du dir immer vorausschauend über mögliche Kandidaten Gedanken machen. Zumal in dem Fall klar war, dass Marco einen super Run bei uns hatte, der ihm auch andere Optionen geöffnet hat. Für diesen Moment musst du gewappnet sein. Ich bin sehr strukturiert bei Prozessen wie der Fachpersonalauswahl und hatte ein sehr klares Anforderungsprofil in meinem Kopf.

Wie sah das aus?

Schaidnagel: Der nächste Bundestrainer musste zwingend verstehen, was in den Jahren zuvor bei uns passiert ist. Unser neues Selbstverständnis, was wurde technisch und taktisch an Ideen aufgebaut, wie ist die Atmosphäre - so reduziert sich der Kreis an Kandidaten recht schnell. Dazu kam, dass wir alle Anfang 40 waren. Ich hätte also kaum einen neuen Trainer bringen können, der Anfang oder Mitte 60 ist. Aber das Wichtigste war wirklich, dass der neue Mann ein Gefühl dafür haben musste, welche Reformen wir angestoßen haben und dass er sie versteht. Da muss er ja ansetzen, um überhaupt eine Chance zu haben, selbst erfolgreich wirken zu können. Und der letzte Punkt war, dass ich auch wissen wollte, wie der Kandidat tickt. Woher kommt er? Wie sind seine Eltern situiert? Welche Schulausbildung hatte er? Mit wem umgibt er sich? Wie tritt er auf? Ich wollte mich in gewisser Weise in ihn reinversetzen. Am Ende waren nur noch zwei, drei Kandidaten übrig und Toni ist es geworden. Mit ihm hat es am besten gematcht und wir als Verband haben ihm ein Angebot gemacht.

Söderholm hat seinen Vertrag in diesem Jahr langfristig verlängert. Wie wichtig war das für das deutsche Eishockey?

Schaidnagel: Kontinuität ist auf so einer Position immer wichtig und ich bin nach wie vor total davon überzeugt, dass Toni im richtigen Setup um ihn herum eine sehr gute Leistung als Bundestrainer abrufen kann. Die entscheidende Frage ist, ob der jetzige Weg immer noch kongruent ist mit der Vision, die man hat. Für die Mannschaft, für die Sportart insgesamt. Wenn Toni das für sich als weiterhin deckungsgleich gesehen hat, ist es auf jeden Fall zu begrüßen, dass er weiter dabei ist.

Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Stefan Schaidnagel mit Bundestrainer Toni Söderholm und Ex-Präsident Franz Reindl.
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Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Stefan Schaidnagel mit Bundestrainer Toni Söderholm und Ex-Präsident Franz Reindl.

Schaidnagel: "Das ist der Grund, warum ich mir Sorgen mache"

Söderholm galt immer als Ihr Mann, zuletzt wurde aber auch geschrieben, er hätte sich der Reindl-Fraktion angeschlossen. Wie ist Ihr Verhältnis?

Schaidnagel: Wir hatten seit meinem Ausscheiden nicht mehr viel Kontakt, aber das ist überhaupt nicht negativ zu interpretieren. Wir haben mal geschrieben, das war es dann auch, was aber auch normal ist. Aber zwischen uns ist alles gut.

Am vergangenen Wochenende wurde Peter Merten zum neuen DEB-Präsidenten gewählt und Franz Reindl emotional und nahezu euphorisch verabschiedet. Was haben Sie dabei gedacht? Immerhin galten Sie lange als Reindls Kronprinz, ehe sich alles anders entwickelte.

Schaidnagel: So viel habe ich ehrlich gesagt gar nicht mitbekommen. Ich bin aber der Meinung, dass neue Leute an entscheidenden Positionen immer eine neue Chance eröffnen für einen Verband oder eine Sportart. Die Mitglieder werden sicher gute Gründe gehabt haben, diese Mannschaft zu wählen. Herrn Merten kenne ich aus einigen gemeinsamen Sitzungen und halte ihn für einen sehr guten und fähigen Mann für das Amt des Präsidenten. Wichtig wird sein, dass das neue Team schnell versteht, wie groß der Aufgabenbereich ist. Es ist ähnlich, wie ich es beim Trainerposten beschrieben habe. Auch sie müssen jetzt sehr schnell wissen, welche Stellschrauben zu drehen sind. Ich wünsche ihnen viel Glück.

Jetzt steht erstmal die WM in Finnland auf dem Programm und das DEB-Team steht doch unter einem gewissen Druck nach den katastrophalen Olympischen Spielen. Wie blicken Sie auf die WM?

Schaidnagel: Meiner Meinung nach wird das eine absolut richtungsweisende WM für das deutsche Eishockey. Da können die letzten fünf, sechs Jahre insgesamt noch so positiv gewesen sein, der Sport ist so schnelllebig, dass wir dennoch an einem kritischen Punkt angekommen sind. Wie vorhin schon erwähnt ist die Kunst Nachhaltigkeit. Wir brauchen konstant gute Ergebnisse, Jahr für Jahr, ohne extremen Ausschlag nach unten. Und wenn wir uns die Leistung von Peking anschauen, muss das natürlich knallhart analysiert werden, ohne jetzt auf die Mannschaft einzuschlagen. Aber es muss ganz genau hingeschaut werden, wo Fehler gemacht wurden und wo Einflüsse nicht kontrolliert werden konnten. Es geht auch im Sport in der Essenz um die Kontrolle von Störvariablen. Der Begriff stammt aus der Wissenschaft, trifft aber auch absolut auf den Sport zu.

Der Trend war zuletzt nicht gut, nicht nur wegen der A-Nationalmannschaft.

Schaidnagel: Das ist genau der Grund, warum ich mir Sorgen mache. Wir haben das Abschneiden in Peking, wir haben die Nicht-Quali der Frauen für Peking und wir haben zuletzt eine U18-Heim-WM, bei der wir in vier Spielen fast 30 Tore bekommen haben. Nur auf Corona können wir das nicht schieben, das wäre zu einfach. Es gibt ganzheitlich betrachtet einen negativen Trend, das ist Fakt. Eine schlechte WM jetzt könnte dafür sorgen, dass man in der Weltrangliste noch weiter abrutschen würde und damit wiederum die direkte Olympia-Quali für 2026 gefährdet.