Weg vom Retorten-Image

Von Stefan Drescher
"Hier entsteht etwas": Trainer Anton Krinner (Mitte) ist Teil des "deutschen" Konzepts in Wolfsburg
© Getty

Für die Grizzly Adams Wolfsburg ist der Gewinn des deutschen Eishockey-Pokals gegen die Hannover Scorpions der bisher größte Erfolg in der Vereinsgeschichte. SPOX beschreibt den ungewöhnlichen Werdegang des Vereins, die Visionen, welche die Verantwortlichen verfolgen und das Imageproblem, mit dem das Eishockey in Wolfsburg kämpft.

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Wenigstens für einen Abend schien in Wolfsburg so etwas wie Eishockey-Fieber ausgebrochen zu sein: Nur drei Tage nach dem Start des Vorverkaufs zum Pokalfinale waren alle 4500 Karten verkauft.

Ausnahmezustand in der Autostadt. Denn normalerweise spielt man hier im Liga-Alltag trotz einer so brandneuen wie schmucken Arena und attraktivem Eishockey (zweitbester Sturm der Liga) durchschnittlich vor mageren 2300 Zuschauern - nur Tabellenschlusslicht Duisburg hat weniger.

"Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass es in Wolfsburg ein ausverkauftes Haus gab", zeigt sich auch Stürmer Sebastian Furchner im Gespräch mit SPOX überrascht: "In dem Jahr, seitdem ich hier bin, gab es das aber definitiv noch nicht."

Größter Erfolg der Vereinsgeschichte

Zugegeben, die Rahmenbedingungen für eine Finalpartie auf eigenem Eis hätten auch nicht besser sein können: Der letzthin stark schwächelnde DEL-Tabellenführer Hannover als Gegner, Niedersachsenderby und pünktlich dazu, das Saisonziel, sprich den Einzug in die Pre-Playoffs, sechs Spieltage vor dem Ende der DEL-Hauptrunde vorzeitig erreicht. "Für uns ist es das größte Spiel unserer bisherigen Vereinsgeschichte", so Sportdirektor Karl Heinz "Charly" Fliegauf vor der Partie noch gegenüber SPOX. Am Ende sollte gar der erste Titel der Klubhistorie dabei herausspringen.

Dabei ist es wohl kein Geheimnis, dass entgegen der Euphorie bei den Verantwortlichen der Grizzlys für den Großteil des restlichen Eishockey-Deutschlands der sportliche Aufstieg der Niedersachsen etwas befremdend anmutet.

Gerade in den traditionsreichen Eishockey-Hochburgen wie Köln, Düsseldorf und Mannheim hatte man für den Emporkömmling - ohne Historie, ohne Zuschauer, dafür aber mit reichlich finanziellem Support Marke VW - bisher meist nur ein Naserümpfen, allenfalls ein müdes Lächeln übrig. Der Titel "Retortentruppe" gehörte für viele genauso fest zum Wolfsburger Klub wie sein Beiname Grizzly Adams.

Von der Regionalliga ins Oberhaus

Allzu weit hergeholt scheint dieser Vorwurf auch nicht zu sein. Bis zum Beginn des neuen Jahrtausends fristete das Eishockey in Wolfsburg nämlichen ein unbeachtetes Dasein in den Niederungen der Dritt- und Viertklassigkeit.

Es folgte jedoch eine Erfolgsstory, die im deutschen Sport mittlerweile wohl als "Hoffenheim-Phänomen" bekannt ist. 2001 stieg man schließlich in die zweite Bundesliga auf und nur drei Jahre später stand man dank reichlicher finanzieller Unterstützung vom ortsansässigen Autobauer in der DEL.

Zwar sollte das erste Gastspiel im deutschen Eishockey-Oberhaus vorerst nicht lange währen - aufgrund der nicht fristgerechten Fertigstellung einer auflagengerechten Arena entzog die DEL den Niedersachsen trotz des sportlichen Klassenerhalts kurzerhand die Lizenz und schickte sie damit in die zweite Bundesliga - drei Jahre später kehrte man jedoch mit einer neuen sportlichen Führung und dem deutschen Trainer Toni Krinner zurück.

In dieser Saison verfügt man in Wolfsburg laut Fliegauf über einen Etat von 4,3 Millionen Euro - womit man wohl im unteren Drittel der Liga liegen dürfte. Wieviel davon die beiden Hauptsponsoren Skoda und VW beisteuern, will der Sportdirektor zwar nicht verraten, räumt jedoch ein, dass man sich angesichts der Zuschauerzahlen aber wohl denken könne, dass es weit mehr als 50 Prozent sind. Fliegauf: "Da kann man ganz offen sein: Ohne unsere beiden Hauptsponsoren wäre das hier alles so nicht möglich."

"Wir sind keine Retorte"

Den Titel "Retortenverein" will der Sportdirektor trotz alledem jedoch nicht gelten lassen: "Eine Retorte sind wir sicherlich nicht. Natürlich haben wir im Vergleich zu vielen anderen Vereinen keine Historie oder Tradition, aber wir arbeiten hart an unserem Nachwuchs. Das ist allerdings ein Weg der kleinen Schritte, bei dem es sicherlich noch zehn Jahre dauern wird, bis man erste Erfolge sieht."

Unabhängig der Retortenfrage, steht jedoch zweifelsohne fest: Die momentane sportliche Lage in Wolfsburg ist bei weitem kein Zufallsprodukt, sondern ein Resultat erfolgreicher sportlicher Planungen und damit unweigerlich mit dem Namen Fliegauf verbunden. Vor zwei Jahren kam der heutige Sportdirektor nach seiner Entlassung bei den Frankfurt Lions zu den Niedersachsen und drückte dem Klub seither seinen Stempel auf.

Nach einer durchwachsenen ersten Saison nach dem Wiederaufstieg sortierte Fliegauf den Wolfsburger Söldner-Kader zum Saisonbeginn gnadenlos aus. 13 Spieler mussten gehen; dafür setzte man verstärkt auf deutsche Spieler mit Perspektive.

"Wir sind auf einem guten Weg"

Als Paradebeispiele gelten wohl Sebastian Furchner und Kai Hospelt, die beide von den Kölner Haien kamen. Ersterer wurde in Wolfsburg als bester deutschen Scorer auf Anhieb zum Leistungsträger. Hospelt, bei Köln nur in der vierten Reihe gesetzt, mauserte sich bei den Grizzlys zu einem der deutschen Shootingstars der Liga und schafft prompt den Sprung in die Nationalmannschaft.

"Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass ich stets versuche, junge deutsche Spieler einzubinden und ihnen eine Chance zu geben. Wir sind damit in Wolfsburg auf einem guten Weg und werden diesen auch konsequent weitergehen" so Fliegauf.

Den Worten folgten bereits Taten. Vor wenigen Wochen gab man die Verpflichtung von Düsseldorfs jungem deutschen Torwart Jochen Reimer für die kommenden Saison bekannt. Während der Verletzung von Stammtorwart Jamie Storr lieferte der 23-Jährige bei den Metro Stars in dieser Saison über Wochen die besten Torwart-Werte der DEL. Nach der Rückkehr des Routiniers blieb ihm jedoch erneut nur der Platz auf der Bank.

In Wolfsburg erhält Reimer nun die Chance, sich dauerhaft in der DEL zu beweisen. Mit dem 19-jährigen Armin Wurm vom Oberligisten EV Füssen gibt man zudem einem in der DEL gänzlich unerfahrenen Verteidiger die Möglichkeit, im Oberhaus Fuß zu fassen.

Unbezahlbarer Imagegewinn

Bisher geht das Konzept in Wolfsburg auf. Zwar liegt der Hauptanteil des sportlichen Erfolgs zweifelsohne nach wie vor auf den Schultern der nordamerikanischen Stars im Team wie Jason Ulmer, Ken Magowan oder Justin Papineau, der Imagegewinn für die Grizzlys ist durch die konsequente Förderung junger deutscher Spieler jedoch unbezahlbar.

Auch skeptische Eishockeyfans müssen letzthin wohl zugeben: In Wolfsburg entsteht eine Mannschaft mit sympatischen Gesicht und Charakter, angesichts der die Retortenfrage mehr und mehr im Hintergrund verschwindet. "Ich denke, wir haben uns in den letzten zwei Jahren einen guten Namen im deutschen Eishockey erarbeitet", weiß auch Fliegauf. "Jetzt wollen wir uns weiter in der Liga etablieren und eine Mannschaft aufbauen, die auch langfristig um die Playoffs mitspielen kann."

Mit der Vertragsverlängerung des kanadischen Topstürmer Ken Magowan hat man bereits einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht. Für Furchner ist klar: "Man spürt, dass in Wolfsburg etwas entsteht. Die Entwicklung geht immer weiter und es ist kein Stillstand zu erkennen."

Die Tabelle der DEL