"Bei Bayer bin ich der Trash Talker"

Von Christian Henkel
Gilt als einer der besten pokerspielenden Fußballprofis des Landes: Stefan Kießling
© ACEMagazin

Stefan Kießling ist einer, das sagen hier in Leverkusen alle,  der sich auf dem Platz für seine Mannschaft "den Arsch aufreißt". Doch Vorsicht: Spätestens am Pokertisch ist es mit dem Altruismus des Stefan Kießling vorbei. Doppelpässe, Torvorlagen oder mal den Gegenspieler eines Mitspielers abgrätschen? Gibt's nicht.

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Auf dem grünen Filz wird der 24-Jährige zum Einzelkämpfer, der auch bei Teamkollegen keine Gnade kennt. Das ACEMagazin traf Stefan Kießling für SPOX in Leverkusen.

Im VIP-Zelt der BayArena ist es kurz nach 23 Uhr, als Kieß, wie er hier von allen nur gerufen wird, vom Pokertisch aufsteht und sich von seinen Mitspielern verabschiedet. Platz 20 bei knapp 80 Teilnehmern ist nicht schlecht. Neben ihm war nur noch ein Spieler von anfangs  sieben Leverkusener Fußballprofis im Turnier, Gonzalo Castro.

Kießling: Bester Poker spielender Fußballer?

Olaf Schimpf, Marketingchef von Everest Poker, hält Kießling immerhin für einen der besten Poker spielenden Fußballprofis des Landes. Lassen wir uns also zunächst berichten, wie das Turnier gelaufen ist: "Also am Anfang habe ich das Turnier ziemlich gut im Griff gehabt und meine Chips ohne große Action vermehrt", so Kießling.

"Dann bin ich allerdings mit einem Flush Ace high in ein Full House gelaufen und war plötzlich Small Stack am Tisch. Ab dann wurde die Sache zu harter Arbeit. Von da an bin ich permanent unter dem Chip-Durchschnitt rumgedümpelt und musste dann irgendwann mit einem niedrigen Pärchen All-In gehen. Und das wars dann", erklärt er.

Im Interview spricht er außerdem über Poker-Duelle im Team-Hotel, intime Anekdoten und darüber, warum immer mehr Sportler dem Poker-Virus verfallen.

ACE: Klingt ja richtig professionell, seit wann pokerst du eigentlich?

Stefan Kießling: Seit ungefähr zwei Jahren. Irgendwann bin ich in der Nacht bei irgendeiner Poker-Sendung auf DSF hängengeblieben. Was ich da gesehen habe, hat mich irgendwie interessiert. Also habe ich mir ein Pokerspiel für meine Playstation besorgt und dann ist mir das passiert, was eigentlich allen Anfängern passiert: Man kassiert eine Abreibung nach der anderen und lernt dadurch ziemlich schnell, worum es geht. Mittlerweile betrachte ich mich als recht passablen Spieler.

ACE: Man hört, Poker soll bei den Bundesliga-Teams mittlerweile die klassischen Rommee-, Schafskopf- und Skatrunden verdrängt haben. Demzufolge wird wohl auch bei Bayer 04 Leverkusen regelmäßig der Pokerkoffer herausgeholt?

Kießling: Ja. Sascha Dum (U-21 Nationalspieler, Red.) war der Erste, der das vor einem guten Jahr bei uns eingeführt hat. Wir schlafen ja vor jedem Heimspiel im Hotel. Und dort gibt es mittlerweile regelmäßig zwei größere Tische. Dort geht es dann zum Teil richtig hoch her. Allerdings nur bis zur angeordneten Bettruhe."

ACE: Klingt ja recht brav. Glaubt man Torhüterlegende Toni Schumacher und seinen Berichten im Skandalklassiker "Anpfiff" (1987), dann soll schon in den 80ern in der deutschen Nationalmannschaft bis in die frühen Morgenstunden gepokert worden sein. Um teilweise immense Summen. Ersatztorhüter Eike Immel soll sich dabei, so Schumacher, wie ein Süchtiger aufgeführt haben. Schumacher schreibt wörtlich: "Nicht selten sah man, wie er sich völlig gerupft auf sein Bett warf." Kennst du so was aus Leverkusen auch?

Kießling: Natürlich würde ich jetzt gern ein paar Anekdoten zum Besten geben, wo ein Mitspieler sein Eigenheim verzockt oder ein anderer sich nach einem Bad Beat auf dem Boden gewälzt hat. Immerhin gehören diese Stories ja zur allgemeinen Poker-Mythologie. Aber ich muss dich enttäuschen. Wir sind da wirklich ganz harmlos. Mehr als 50 Euro hat in diesen Runden noch keiner verloren. Wir müssen am nächsten Tag ja wieder als Einheit auf dem Platz stehen. Da wäre es wirklich nicht gut, wenn wir uns am Abend zuvor die 500 Euro-Scheine aus den Taschen ziehen.

ACE: Aber zu Hause vor dem Computer wird dann schon mal was riskiert?

Kießling: Natürlich zahl ich gern mal den fünf oder zehn Dollar Buy-in für ein Turnier. Aber in den Cash-Games bin ich vorsichtig. Wie beim Fußball pflege ich auch beim Poker einen offensiveren Stil. Und damit ist man dann ganz schnell mal eine Stange Geld los. Da habe ich dann schon den nötigen Respekt vor den ganzen Prozentrechnern, die sich im Netz so rumtreiben.

ACE: Mit Pot Odds und Ähnlichem beschäftigst du dich demzufolge nicht?

Kießling (lacht): Nö. Ich vertraue da nach wie vor meinen Erfahrungen und meinem Instinkt. An unserem Tisch bei Bayer bin ich der Trash Talker und versuche so von meinen Mitspielern die nötigen Informationen zu bekommen. Mittlerweile habe ich einen ganz guten Blick für die Blattstärke meiner Kollegen. Und ich halte mich für einen guten Bluffer. Zumindest im Verein bin ich das, was man, glaube ich, einen winning player nennt. Das Geld wandert immer öfter aus den Taschen der anderen in meine.

ACE: Viele Poker spielende Fußballer, vor allem Stürmer, vergleichen den Gewinn eines großen Pots im Poker mit dem Rausch, der sich beim Torerfolg einstellt. Wo erlebst du den ultimativen Kick?

Kießling: Vergleichbar ist eigentlich nur das Gefühl vor dem Beginn eines Spiels. Da füllt sich alles mit Adrenalin. Wenn ich dann auf dem Platz ein Tor erziele, ist die Freude kurz, denn du bist auch die restliche Spielzeit voll gefordert. Der Torerfolg ist mehr die Erleichterung von einem Druck, der auf dir als Stürmer lastet. Im Poker gibt es für mich den größten Kick, wenn du eine gute Hand hältst, genügend Chips der Gegner in die Mitte bekommst und dann auch noch auf dem Board triffst. Da ist es wirklich immer schwer, nicht vor Freude zu jubilieren. Wenn der Pot dann auf deine Seite wandert, weißt du, dass ab jetzt wieder alles leichter ist. Da kann man sich dann schon mal ganz entspannt zurücklehnen und wieder ein bisschen seine Gegner zulabern.

ACE: Immer mehr Sportler werden am Pokertisch gesichtet. Ist der Kampf Mann gegen Mann für einen Mannschaftssportler eigentlich wie ein kleiner Urlaub zwischendurch?

Kießling: Das kann man so sagen. Ich bin mit Leib und Seele Fußballer und stelle mich wirklich gern in den Dienst des Kollektivs. Aber am Pokertisch bist du ganz allein für den Ausgang einer Partie verantwortlich. Alle anderen sind für den Moment deine Feinde. Wenn du Pech hast allerdings auch die Karten. Ich halte mich für einen sehr umgänglichen Menschen, der seine Affekte ganz gut im Griff hat. Aber beim Poker kann man die innere Wildsau auch mal mit Vollgas durchs Dorf jagen. Was mir jedoch am besten gefällt, ist die Kommunikation am Tisch. Provokationen und ein gewisses Quantum an Häme und Spott sind im Fußball tabu. Beim Pokern gehören diese Sachen einfach mit dazu.

ACE: Sollten wir uns am Tisch begegnen, vor welcher ungewöhnlichen Hand müsste ich mich in Acht nehmen?

Kießling: Also eine Hand, die ich eigentlich immer spiele, ist König fünf, gern auch offsuite. Jeder Pokerexperte rauft sich da die Haare. Doch auch heute beim Turnier habe ich damit wieder mal zwei Spieler vom Tisch genommen. Sollte auf dem Board also König fünf erscheinen, rat ich dir, den Pot lieber abzugeben.