Der alte Mann und die FlexGang

Ole Frerks
01. September 201516:57
Kann Dirk Nowitzki die deutsche Nationalmannschaft noch einmal auf seine Schultern nehmen?getty
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Das DBB-Team hat viel Potenzial, allerdings stellt sich die "Was wäre wenn"-Frage - denn ohne die ganzen Ausfälle wäre noch mehr drin gewesen. Der Traum von einer Medaille ist unrealistisch, ein anderes Ziel könnte mit etwas Glück aber erreicht werden. SPOX macht den Kadercheck.

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Point Guards: Dennis Schröder, Maodo Lo

Man muss nicht lange überlegen, warum die Eins das absolute Prunkstück des DBB-Kaders ist. Über Dennis Schröder ist eigentlich genug gesagt: Seine unglaubliche Schnelligkeit kann jedes Team der Welt vor Probleme stellen, zudem gelingt es ihm immer besser, das Spiel seiner Mannschaft an sich zu reißen.

Wenn der Wurf fällt wie in der ersten Halbzeit des zweiten Frankreich-Tests, ist der 21-Jährige nicht zu halten und fraglos der wichtigste Offensiv-Akteur des deutschen Teams. Und auch defensiv erlauben es ihm seine körperlichen Voraussetzungen, selbst lebenden Legenden wie Tony Parker das Leben schwer zu machen.

Wenn ein etablierter NBA-Spieler auf die Bank geht, ist das logischerweise selten hundertprozentig zu kompensieren, Chris Fleming hat auf der Eins aber mehr und auch bessere Backup-Optionen als auf allen anderen Positionen. Maodo Lo etwa ist zwar vielen Deutschen noch unbekannt, hat sich mit einer starken Vorbereitung allerdings für die Rolle des ersten Backups empfohlen.

Dabei kommt dem College-Studenten (Columbia University) zu Gute, dass er von der Spielweise her relativ ähnlich agiert wie Schröder und Fleming daher kaum Systemumstellungen vornehmen muss. Das Problem: Mit einer Hüftprellung verpasste Lo den Großteil des Supercups und die letzten beiden Tests gegen Frankreich. Erst Mitte dieser Woche wird der 22-Jährige wieder ins Training einsteigen können.

Maodo Lo im Interview: "NBA? Kann noch kein Urteil abgeben"

Sollte Lo nicht wieder hundertprozentig fit werden, wird Heiko Schaffartzik wohl doch wieder mehr auf der Eins spielen. Der Kapitän absolvierte den Großteil der bisherigen Tests eigentlich als Backup-Shooting Guard, kann aber natürlich auch immer noch auf seiner angestammten Position eingesetzt werden.

Das Spiel wäre mit dem eher selten penetrierenden, mehr auf den Wurf fokussierten Schaffartzik als Aufbau ein anderes. Seine Erfahrung und sein exzellenter Distanzwurf sind eigentlich allerdings eine stimmige Ergänzung zur Spielweise der jüngeren Kollegen. Ob mit oder ohne Lo: Verstecken müssen sich die deutschen Point Guards vor keinem Gegner.

Shooting Guards: Anton Gavel, Heiko Schaffartzik, Karsten Tadda

Das Überangebot auf der Eins wird durch folgenden Umstand verdeutlicht: Die beiden ersten Optionen auf Shooting Guard sind eigentlich gelernte Aufbauspieler. Der kürzlich eingebürgerte Anton Gavel hat sich als Starter auf der Zwei etabliert, da Fleming ein großer Fan seiner Defensivstärke ist und seine abgeklärte Art gut zum explosiveren Nebenmann Schröder passt.

Gavel macht extrem wenig Fehler und spielt sehr mannschaftsdienlich. Seine "Naturalisierung" ist für die Deutschen zweifellos ein großer Gewinn, wenngleich natürlich auch er seine Schwächen hat.

Da wäre zum einen sein Distanzwurf, der kommt und geht - regelmäßig wundert man sich, wenn einer seiner nahezu ohne Flugkurve abgefeuerten Dreier überhaupt reingeht. Wenn er jedoch keine Gefahr ausstrahlt, nimmt das vor allem Schröder und Lo Räume für ihre Penetrationen. In solchen Situationen hat Fleming immerhin noch andere Optionen.

Schaffartzik ist mit seinem Wurf und seiner generellen offensiven Explosivität ein Gegenentwurf zu Gavel, dessen zweiter Vorname definitiv nicht "Überraschungsmoment" lautet. Defensiv ist er indes nicht auf dem Level seines Kontrahenten - und wie bereits erwähnt könnte er wieder mehr auf der Eins gefordert sein, falls Lo nicht bei 100 Prozent steht.

Dadurch würden auch zusätzliche Minuten für Karsten Tadda frei, der den "Zweikampf" mit Akeem Vargas dann doch für sich entscheiden konnte. Ihm kommt im Backcourt die Rolle des designierten Energizers zu. Vargas schien die Nase eigentlich vorn zu haben, die letzten beiden Tests verpasste er allerdings mit einer Augenverletzung.

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Small Fowards: Paul Zipser, Niels Giffey

Der relativ großen Erfahrung auf der Zwei steht auf der anderen Flügelposition ein enorm junges Tandem gegenüber. Mit Bayerns Edeltalent Paul Zipser (21) findet sich dort allerdings auch der vielleicht aufregendste Spieler der gesamten deutschen Mannschaft. Er hat das Potenzial, die EuroBasket zu seiner persönlichen Coming-Out-Party zu machen.

Zipser ist athletisch, kann werfen, scheut den Weg zum Korb nicht und hat auch kluge Pässe im Repertoire. Dass er außerdem ein starker Verteidiger ist, rundet das Gesamtpaket ab und macht ihn zu einem wertvollen Allrounder für ein Team, das von vielen Spezialisten geprägt ist. Auch deshalb hat er sich auf der Drei durchgesetzt und wird von Fleming fest als Starter eingeplant.

Bei den Bayern variierte seine Rolle immer wieder, gelegentlich wurde er auch gar nicht eingesetzt. Dennoch konnte er in der Euroleague und in der BBL schon einige wichtige Erfahrungen sammeln, die ihm bei der EM helfen werden.

Zipser will unbedingt in die NBA und wird im nächsten Sommer automatisch zum Draft angemeldet sein. Die EM könnte die Bühne sein, um sein zweifellos riesiges Potenzial einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. "Die EM ist seine Chance, sich zu zeigen. Mit Paul ist zu rechnen", sagte der frühere Nationalspieler Steffen Hamann kürzlich dem ZDF.

Paul Zipser im Fokus: Größe. Athletik. Übersicht.

Da Robin Benzing bei Fleming eher als Power Forward eingesetzt wird, ist der zweite Mann hinter Zipser Albas Niels Giffey. Auch er ist gerade mal 24 Jahre alt, hat aber ungleich mehr Erfahrung als sein Vordermann: Zweimal wurde er mit UConn NCAA-Champion, in seiner ersten Saison als Berliner war er direkt Leistungsträger in BBL und Euroleague und durfte häufig auch als Starter ran.

Giffey mag vom Potenzial her nicht ganz auf Zipsers Level sein, dafür ist er ein extrem solider Spieler, der sich wenige Fehler leistet. Mit seinem Mix aus Schnelligkeit, Athletik und Kraft kann er mehrere Positionen effektiv verteidigen. Zudem gefällt sein Jumper: Wettbewerbsübergreifend traf er letzte Saison 43 Prozent vom Perimeter. Gegen diese Quote hätte sicher auch Fleming wenig einzuwenden.

Power Forwards: Dirk Nowitzki, Robin Benzing, Alex King

Was hätte das für eine Wahnsinnsrotation auf der Vier sein können. Maxi Kleber. Daniel Theis. Ach, und natürlich noch dieser Dirk Nowitzki. Nun ist der beste europäische Basketballer aller Zeiten aber bekanntlich der einzige aus diesem illustren Trio, der in Berlin tatsächlich dabei ist - die Verletzungswelle hat vor allem auf den großen Positionen zugeschlagen.

Natürlich kann man trotzdem von keiner schlechten Besetzung sprechen, wenn man Nowitzki in seinen Reihen hat. Der mittlerweile 37-Jährige ist immer noch ein grandioser Schütze und Leader, wenngleich er das Team nicht mehr tragen kann wie zu früheren Zeiten. Vielmehr kann seine Präsenz dafür genutzt werden, um Räume für Schröder und Co. zu öffnen.

Wenn das Spiel dann am Ende entschieden werden muss, ist Nowitzki noch immer eine der besten Optionen, die man weltweit haben kann. Dass es bisher durchaus Kommunikationsprobleme gab, sollte nicht überbewertet werden: Für Nowitzki sind schließlich sowohl viele Mitspieler als auch der gesamte Coaching Staff des DBB-Teams neu.

Zuletzt zeigte er außerdem eine ansteigende Formkurve, allzu große Sorgen muss man sich um seine Performance also wohl nicht machen. Nowitzki ist enorm motiviert und würde unglaublich gerne nocheinmal bei Olympischen Spielen dabei sein. Nur sollte eben niemand von ihm erwarten, dass er die Uhr zurückdreht und das Turnier dominiert wie 2005 oder 2007.

Allein schon deshalb, weil er heuer mehr Pausen braucht als früher. Wenn der Dirkster auf die Bank geht, kommt zumeist als erstes Robin Benzing in die Partie - auch wenn er nominell als Small Forward gilt. Der Ex-Bayer kommt mit den meisten defensiven Aufgaben zwar zurecht, einige bulligere Vierer können ihn aber vor Probleme stellen.

Mike Taylor im Interview: "Wollten, dass Benzing der nächste Dirk wird"

Gegen Teams wie etwa Serbien (Nemanja Bjelica, Zoran Erceg) wird es richtig interessant - viel mehr Möglichkeiten hat Fleming aber schlichtweg nicht. Alex King ist zwar ein besserer Verteidiger als Benzing und erst recht Nowitzki, er hat mit 2,01 Metern allerdings auch gegen fast jeden Vierer Größennachteile.

Eigentlich sollte die Vier beim DBB-Team mindestens so stark (und tief) besetzt sein wie die Eins, stattdessen verfügt Fleming eigentlich nur über einen echten Power Forward. Hier ist all seine Kreativität gefragt.

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Center: Tibor Pleiß, Johannes Voigtmann

Auch auf der Fünf gab es mit der Verletzung von Maik Zirbes einen bitteren Ausfall zu verkraften. Der bullige Center von Roter Stern Belgrad war eigentlich fest als Backup eingeplant, zumal sich sein Skillset gravierend von dem von Starter Tibor Pleiß unterscheidet. Wo Pleiß mit Finesse glänzt, tankt Zirbes sich lieber durch und lebt von der und für die Drecksarbeit. "Nach dem Ausfall von Maik wird's eng", sagte Hamann.

Durch seinen Ausfall rückt nun der Frankfurter Johannes Voigtmann zum designierten Backup auf, auch wenn Nowitzki wohl ebenfalls einige Minuten auf der Fünf spielen soll. Der 22-Jährige hat offensiv eine überragende Saison hinter sich und feierte vor allem in der EuroChallenge seinen persönlichen Durchbruch (16 Punkte pro Spiel).

Er hat allerdings noch nicht wahnsinnig viele Spiele gegen die stärksten Gegner absolviert und ist generell nicht gerade erfahren. Mit seiner unbekümmerten Art dürfte er einige richtig gute Spiele machen können, es fragt sich aber, wie konstant er auf dieser in der Deutschland-Gruppe so stark besetzten Position bestehen kann. Es war kein Zufall, dass er vor Zirbes' Verletzung noch als heißer Streichkandidat galt.

Umso wichtiger wird es sein, dass Pleiß nicht in alte Muster verfällt und sich unnötige Fouls abholt, die Fleming dazu zwingen, seine Spielzeit zu begrenzen. Der Neu-Jazzer ist dafür einfach viel zu wichtig, sowohl vorne, als auch in der Defensive.

Seine starke Leistung im zweiten Test gegen Frankreich und Rudy Gobert machte Hoffnung: Deutschland wird den 25-Jährigen in Bestform brauchen, wenn die Vorrunde geschafft werden soll. Offensiv ist sein Mix aus gutem Wurf und Länge einfach richtig schwer zu verteidigen, wenn der Jumper fällt.

Fazit: Fleming hat eine gute Truppe beisammen - allerdings wird das DBB-Team wohl noch lange mit der "Was wäre wenn"-Frage konfrontiert werden. Die Ausfälle auf den großen Positionen wiegen schwer und sind vor allem wegen des enorm komprimierten Spielplans (5 Spiele in 6 Tagen) doppelt bitter.

In voller Mannsstärke wäre dieses Team vermutlich die talentierteste deutsche Mannschaft seit vielen Jahren, vielleicht sogar aller Zeiten. Das wäre nicht gleichbedeutend mit einer sicheren Medaille oder dergleichen gewesen, hätte die Chancen aber natürlich sehr erhöht.

Mit dem finalen Kader ist es letztendlich unrealistisch, solche Träume zu hegen. Vielmehr sollte es das Ziel sein, unter die ersten sieben zu kommen, um eine Chance auf Olympia im nächsten Jahr zu haben. Und das wird angesichts der brutalen Gruppe schon schwer genug, in der man schließlich mindestens Vierter werden muss.

An guten Tagen von Nowitzki und Schröder kann das DBB-Team es mit fast jeder Mannschaft der Welt aufnehmen und hat eine realistische Siegchance. Nur weiß eben niemand, wie viele dieser "guten Tage" es tatsächlich geben wird. Und wenn die Jumper von Schröder, Gavel und Co. nicht fallen, kann das DBB-Team gleichzeitig gegen jede Mannschaft der Welt verlieren.

Nowitzki wird nicht in jedem Spiel die Kohlen aus dem Feuer holen können wie früher, ob Schröder es konstant durch seine Drives schaffen kann, muss sich erst zeigen.

Mit etwas mehr Zeit zur Vorbereitung und natürlich etwas mehr Gesundheit wäre das DBB-Team wahrscheinlich in der Lage gewesen, das Alter von Nowitzki zu kompensieren und die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen. Nun sind es letztendlich doch wieder wenige Spieler, die den Großteil der Last übernehmen müssen. Schade.

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Der EM-Spielplan im Überblick