Das DBB-Team hat den Supercup in Hamburg als Zweiter abgeschlossen und dabei zwei sehr unterschiedliche Spiele gezeigt. Alles überstrahlt wurde indes von der komplizierten Kader-Situation. Die Lehren des Turniers.
Deutschland setzte sich im ersten Spiel mit 101:90 gegen Tschechien durch und qualifizierte sich damit für das Finale, das allerdings ohne Dennis Schröder bestritten werden musste, der sich gegen Ende des Halbfinals eine Verletzung zuzog und das ohnehin schon gefüllte Lazarett damit noch vergrößerte.
Im Finale am Samstag war eine weiter dezimierte Mannschaft dann chancenlos gegen Serbien um Superstar Nikola Jokic (56:83). Bundestrainer Gordon Herbert betonte im Anschluss, dass ein Team aus Niederlagen mehr lernen könne als aus Siegen - keine zwei Wochen vor EM-Start hat das Team noch immer viel Arbeit vor sich. Und auch für Herbert stehen noch wichtige Entscheidungen an.
Sportlich war das Gezeigte demnach schwer einzuordnen, die folgenden Lehren blieben dennoch hängen.
1. Die Kader-Situation ist maximal chaotisch
Ursprünglich hatte Herbert vorgehabt, den Supercup bereits mit dem finalen 12er-Kader für die EM zu absolvieren. Dieser Wunsch blieb ihm verwehrt, was schon vor dem Start des Turniers ersichtlich wurde. Und währenddessen verschlechterte sich die ohnehin angespannte Lage noch mehr.
Daniel Theis verpasste das Spiel gegen Tschechien offiziell aus Gründen der "Belastungssteuerung". Einen Tag später hieß es, dass der Big Man mindestens die nächsten beiden Qualifikationsspiele gegen Schweden und Slowenien verpasst und eine Entscheidung bezüglich der EM noch ausstehe.
Sollte Theis nicht rechtzeitig fit werden, wäre er der nächste Ausfall in einer ganzen Reihe prominenter Namen. Moritz Wagner verletzte sich in der Vorbereitung am Knöchel, bereits zuvor meldeten sich aus unterschiedlichen Gründen unter anderem Maxi Kleber, Isaiah Hartenstein, Isaac Bonga, Paul Zipser, Danilo Barthel oder Tibor Pleiß ab.
Eine Situation, die Herbert offensichtlich frustriert und unlängst auch dazu verleitete, gegenüber dem kicker anzudeuten, dass manche Spieler eher nicht wollten als nicht konnten ("kleinere Verletzungssituation"). Der Ärger ist verständlich, selbst wenn es die Kommunikation nicht ist, gerade im potenziell so üppig besetzten Frontcourt gehen dem DBB-Team nach und nach die Spieler aus.
gettyJohannes Voigtmann und Johannes Thiemann (ebenfalls angeschlagen) zeigten beim Supercup gute offensive Chemie, Voigtmann ist ohnehin ein Eckpfeiler dieses Teams, ein Ausfall von (auch noch) Theis ließe sich in einer Vorrunden-Gruppe mit Stars wie Rudy Gobert oder Domantas Sabonis jedoch wohl nur sehr schwer kompensieren.
Gerade defensiv zeigte das deutsche Team beim Supercup große Lücken, in Transition, aber auch unterm Korb, wo ein mobiler Ringbeschützer ohne Theis und Co. fehlt. Leon Kratzer und Gavin Schilling waren eigentlich schon aussortiert - Herbert holte sie zurück, gemeinsam mit Jonas Wohlfarth-Bottermann befinden sie sich nun wieder im Duell um die Backup-Minuten auf den großen Positionen.
Nachdrücklich empfehlen konnte sich noch keiner. Das WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden bringt eine neue Gelegenheit mit, alle gesunden Bigs werden die Reise nach Stockholm mit antreten und bis dato sieht es sehr danach aus, dass Herbert mindestens vier nominelle Bigs mit zum Turnier nehmen möchte, selbst wenn diese nicht zur internationalen Spitzenklasse gehören.
Karim Jallow wurde gestrichen, Niels Giffey stößt wiederum zurück zum Team, nachdem er den Supercup aus privaten Gründen verpasste. Der kürzlich naturalisierte Nick Weiler-Babb absolvierte gegen Serbien sein erstes Spiel für Deutschland, ohne vorher einmal mit der Mannschaft trainiert zu haben. Es bleibt chaotisch.
24 Stunden vor Turnierstart muss der Bundestrainer sein 12er-Aufgebot benennen - und darf es danach nicht mehr ändern, wie er selbst betonte. Die Uhr tickt also, insbesondere für Theis, und Zeit zum Einspielen wird es so oder so nicht in dem Maße geben, wie es ein Team bräuchte, das in der Zusammensetzung noch nie gemeinsam gespielt hat.
gettyTabelle: Diese Spieler sind noch dabei
Name | Position | Verein | Rückennummer |
Maodo Lô | GUARD | Alba Berlin | 4 |
Dennis Schröder | GUARD | Free Agent | 17 |
Justus Hollatz | GUARD | CB Breogán | 21 |
Karim Jallow | GUARD | ratiopharm ulm | 35 |
David Krämer | GUARD | Basketball Löwen Braunschweig | 44 |
Andreas Obst | GUARD | FC Bayern München | 42 |
Nick Weiler-Babb | GUARD | FC Bayern München | 6 |
Franz Wagner | GUARD/FORWARD | Orlando Magic | 22 |
Niels Giffey | FORWARD | Zalgiris Kaunas | 5 |
Christian Sengfelder | FORWARD | Brose Bamberg | 43 |
Johannes Thiemann | FORWARD/CENTER | Alba Berlin | 32 |
Daniel Theis | FORWARD/CENTER | Indiana Pacers | 10 |
Johannes Voigtmann | CENTER | ZSKA Moskau | 7 |
Jonas Wohlfarth-Bottermann | CENTER | Hamburg Towers | 18 |
2. Big-Ball muss nicht alternativlos sein
Vor der Theis-Verletzung (und der Rückholaktion von Kratzer und Schilling) hatte Herbert angekündigt, noch zwei kleine Spieler streichen zu wollen, und damit Wohlfahrt-Bottermann gewissermaßen den Platz als zwölften Mann in Aussicht gestellt. Nun ist Jallow weg, von Giffey, David Krämer und Justus Hollatz würden demnach wohl nur zwei den finalen Kader erreichen.
Es stellt sich nur die Frage, ob das angesichts der personellen Situation wirklich ratsam ist. Mit zwei Bigs zu spielen, ist die eine Sache, wenn diese Theis, Thiemann und Voigtmann heißen. Die anderen Kombinationen wirkten insbesondere gegen Serbien oft offensiv harmlos und defensiv nicht mobil genug, zu häufig taten sich riesige Lücken auf.
Vielleicht sollte die Alternative lauten, eher klein zu spielen und auf Geschwindigkeit und Variabilität zu setzen. Giffey oder auch Franz Wagner können durchaus auf der Vier eingesetzt werden, das würde es auch ermöglichen, dass Dennis Schröder und Maódo Lô möglichst viel Zeit gemeinsam auf dem Court verbringen können.
Sicherlich bringt das defensive Herausforderungen mit sich, aber nach dem Personalschwund auf den großen Positionen könnte Deutschland seine verbliebenen Stärken so vielleicht am besten zum Tragen bringen. Zumindest offensiv hätten Lineups wie beispielsweise Schröder, Lô, Wagner, Giffey und Voigtmann großes Potenzial.
Natürlich wäre das eine späte "Neuerfindung" in dieser Vorbereitung ... aber in gewisser Weise muss diese ja notgedrungen sowieso erfolgen.
getty3. Dennis Schröder ist unverzichtbar
Aufatmen konnte man immerhin bei Dennis Schröder, der sich kurz vor Ende des Tschechien-Spiels verletzte und gegen Serbien nur in Zivilkleidung zusehen konnte. Schröder hat eine Knochenprellung erlitten, die ihn zwar für einige Tage pausieren lassen ("im besten Fall drei bis vier Tage"), aber wohl nicht das Turnier kosten wird.
Wie wertvoll und wichtig Schröder für die deutsche Mannschaft ist, zeigten beide Spiele des Supercups. Selbst wenn er nicht selbst scort, ist er derjenige, der oft die Aufmerksamkeit auf sich zieht, der die Maschinerie durch seine Penetration anschiebt, der die Defensive zum Kollabieren bringt.
Es bleibt immens wertvoll, dass im europäischen Basketball kein Gegenspieler vor ihm bleiben kann. Damit sorgt er für Überzahlsituationen, von denen eine Mannschaft zehren kann, die nicht reich ist an individueller Shotcreation. Und er ist in der Lage, an die Freiwurflinie zu kommen ... was gegen Serbien über 38 Minuten kein Deutscher schaffte.
"Wir haben ihnen von Anfang an zu viel Respekt gegeben. Wir haben sie nicht attackiert, wir haben ein wenig klein bei gegeben", sagte Herbert. "Sie waren einfach deutlich physischer als wir." Das deutsche Team wirkte einige Male tatsächlich eingeschüchtert, fast ängstlich.
Und Schröder ist zwar bisweilen ein streitbarer Spieler - ängstlich sein ist aber ein Vorwurf, dem man ihm noch nie machen konnte. Das Team braucht seinen neuen Kapitän, aus vielen Gründen, aber nicht zuletzt deshalb, weil er das Leben auch Spielern wie Lô oder Wagner so viel leichter machen kann.
4. Franz Wagner ist bereit
A propos Wagner. Der 20-Jährige hatte nach 23 Punkten gegen Belgien und 26 gegen Tschechien individuell seinen ersten Dämpfer gegen die Serben, die gerade ihn sehr physisch verteidigten und über weite Strecken aus dem Spiel nahmen (5 Punkte). Das Fehlen von Schröder spielte sicherlich auch hier eine Rolle, dadurch konnte schließlich noch mehr Druck auf Wagner aufgebaut werden.
Dennoch: Der Forward hat bereits angedeutet, dass er einer der Breakout-Stars der EM werden kann. Mit welchem Selbstverständnis er sich bewegt, wie abgeklärt er spielt, wie sauber sein Wurf aussieht und wie athletisch er ist - das alles hebt Wagner ab, gegen Tschechien war der jüngste Spieler recht eindeutig der beste auf dem Court.
Wagner kann punktuell für sich selbst oder andere kreieren, Pick'n'Rolls laufen oder auch isolieren - noch eindrucksvoller ist bisweilen aber sein Off-Ball-Spiel, sein Gespür für den Cut im richtigen Moment. Spieler wie Schröder oder auch Voigtmann dürften ihn immer wieder in Szene setzen können, so kann Wagner schon beim ersten großen Turnier eine richtige Waffe werden.
Bei allem Argwohn zum jetzigen Zeitpunkt: Das sollte Hoffnung machen.