Daniel Albrecht im Interview: „Plötzlich wusste ich nicht, wie man Ski fährt“

Von Lukas Zahrer
Daniel Albrecht zog sich bei seinem Sturz in Kitzbühel ein Schädel-Hirn-Trauma zu.
© getty
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SPOX: Als Sie aus der Klinik entlassen wurden, sprachen die Ärzte ein klares Trainingsverbot aus. Wie lange hielten sie sich daran?

Albrecht: (lacht) Die Richtlinie war, nach der Kopfverletzung nicht über 2.000 Höhenmeter zu kommen. Als ich zu Hause ankam, rief ich meinen Trainer an und sagte ihm, dass ich auf die Piste darf. Eine Woche später stand ich auf den Skiern.

SPOX: Wie ist es Ihnen dabei gegangen?

Albrecht: Die Ärzte sagten mir, es sei möglich, dass aber einer gewissen Höhe schlimme Kopfschmerzen auftreten. Ich fuhr extra ins Kaunertal nach Österreich, denn dort kann man mit dem Auto auf den Gletscher hoch fahren. Das war meine Versicherung: Wenn die Kopfschmerzen bei der Auffahrt kommen, könnte ich immer noch umkehren. Es passierte aber gar nichts.

SPOX: Also ging es sofort auf die Piste?

Albrecht: Ich fuhr den Lift hoch, schnallte die Skischuhe zu, und wollte los fahren. Plötzlich wusste ich aber gar nicht, wie man eigentlich Ski fährt. Ich hatte keine Ahnung, was man machen muss. Die Piste war aber recht breit und nicht allzu steil, deshalb überwand ich mich und fuhr los.

SPOX: Wie verlief die erste Abfahrt?

Albrecht: Auf einmal wurde die Piste dann doch ziemlich schmal. Bis der Körper den Befehl ausführte, eine Kurve zu fahren, wurde es richtig knapp. Ich musste zwar immer wieder stehen bleiben, weil mir schnell übel wurde, aber es hat geklappt. Nach zwei Tagen auf der Piste merkte ich: Das Gefühl des Skifahrens ist einfach nur schön. Ich wollte wieder Weltcup-Rennen fahren.

SPOX: Wie reagierte Ihr Trainer auf diesen Wunsch?

Albrecht: Eigentlich sollte er seine Athleten motivieren und das gleiche Ziel verfolgen. Es war aber schwierig für ihn, mir zu glauben. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal meinen eigenen Rucksack tragen.

SPOX: Gab es anschließend eine Sonderbehandlung von den Trainern, die Ihnen unangenehm war?

Albrecht: Ich bekam davon wenig mit, aber dass es eine gab, war vor allem in den Medien erkennbar. Im Fernsehen sah ich, welche Versprechungen mir die Trainer angeblich machten. Das passt im Nachhinein betrachtet aber nicht mit dem zusammen, was tatsächlich geschehen ist.

SPOX: In welchem Bereich gab es Unterschiede?

Albrecht: Alle wussten, dass eine Schädel-Hirn-Verletzung nicht mit einem Kreuzbandriss vergleichbar ist. Die Genesung dauert Jahre. Sie sagten, ich bekäme die volle Unterstützung. Naja, sagen wir es so: Zum Teil war das einfach gutes Marketing. Am Ende des Tages bin ich aber froh, dass ich dieses Comeback angestrebt hatte. Das Training war ausschlaggebend dafür, dass ich heute wieder mit beiden Beinen im Leben stehe.

SPOX: Glauben Sie, Sie hätten auch nach ihrem Unfall das Zeug zum Siegfahrer gehabt?

Albrecht: Wenn alles perfekt abgelaufen wäre, bin ich fest davon überzeugt, dass es möglich gewesen wäre.

Daniel Albrecht: "Ich würde alles wieder gleich machen"

SPOX: Konnten Sie sich an die einzelnen Weltcup-Pisten erinnern?

Albrecht: Wenn ich es nochmals erleben konnte, waren alle Erinnerungen wieder da. Von meiner Hirnverletzung her kam ein Weltcup-Comeback noch zu früh. Doch je länger ich wartete, umso größer war das Risiko, dass meine ganzen Erinnerungen nie wieder zurückkehren würden und die Automatismen gelöscht wären. Es war ein Teufelskreis, denn beide Optionen waren falsch. Noch bevor ich vollständig genesen war, wurde ich letztlich aus dem Weltcup-Kader herabgestuft.

SPOX: Etwas mehr als zwei Jahre nach Ihrem Comeback verletzten Sie sich bei einem Trainingslauf schwer am Knie. Ein weiteres Jahr später beendeten Sie Ihre Karriere. War es ein ganz normales Karriereende wie jedes andere auch?

Albrecht: Damit der Druck nicht zu groß wird, sah ich mein Comeback gewissermaßen als Therapie. Man ist den gesamten Tag mit sich selbst beschäftigt und versucht, alle Abläufe zu perfektionieren. Nach meiner Knieverletzung wurde die Belastung enorm groß. Ich verlor die Leidenschaft und die Lust am Skifahren. Es entwickelte sich zu einem Kampf. Deshalb beendete ich meine Karriere.

SPOX: Auch in diesem Jahr gab es bereits mehrere heftige Stürze im Weltcup. Wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie diese Stürze sehen?

Albrecht: Mittlerweile sind kaum noch Fahrer aktiv, mit denen ich eine persönliche Verbindung habe. Meine Wahrnehmung dieser Stürze ist nicht mehr dieselbe wie vor meinem Unfall. Klar, es sind schlimme Verletzungen, die einen total aus der Bahn werfen können. Aber so komisch es auch klingen mag: Aus meiner Sicht ist ein Kreuzbandriss eine kleine Verletzung. Es ist doch eigentlich nur das Knie.

SPOX: Bereuen Sie im Rückblick etwas in Ihrer Karriere?

Albrecht: Man könnte alles noch besser machen. Aber ich bin mit meinen Entscheidungen ganz zufrieden, weil sie damals richtig waren. So wie ich mich einschätze, würde ich alles wieder gleich machen.